(Mexiko-Stadt, 11. Februar 2020, la jornada).- Das Quietschen der Notbremse des Maya-Zuges hat die Alarmglocken der Investor*innen schrillen lassen. Gemeinden aus dem mexikanischen Bundesstaat Campeche haben auf den juristischen Knopf gedrückt, um die Regierungslokomotive zu stoppen. Die Bundesgerichtsbarkeit hat die einstweilige Aussetzung der Projektumsetzung verfügt. Der Antrag auf die einstweilige Verfügung wurde am 6. Januar gestellt. Die in Xpujil, dem Hauptort des Landkreises Calakmul, ansässige Maya- und Ch’ol-Bevölkerung belegt darin „die simulierte und betrügerische von der Regierung angeordnete indigene Befragung, die zum Schaden der indigenen Bevölkerung in Campeche, Yucatán, Quintana Roo, Tabasco und Chiapas durchgeführt wurde“.
Die einstweilige Verfügung, so die Kläger*innen, beruht darauf, dass der Konsultationsprozess die internationalen Normen der ILO-Konvention 169 nicht erfüllt hat. Zudem habe er gegen Entscheidungen des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes verstoßen. Die von der Bundesregierung organisierte Befragung habe weder das Merkmal „informiert“ noch das Merkmal „frei“ erfüllt. Denn „wir haben weder mit ausreichender Zeit vorherige detaillierte Informationen erhalten, noch wurde unser Recht auf Partizipation respektiert. Die Struktur der Foren der angeblichen Informationsphase wurde einseitig ausgearbeitet und angewendet. Art und Vorgehensweise liefen den Formen der Beratschlagung und Entscheidungsfindung der Gemeinden zuwider.“ Statt die Meinung der gesamten Bevölkerung aufzunehmen, konzentrierten sich der Nationale Fonds zur Tourismusförderung (Fonatur) und die Nationale Behörde der Indigenen Völker (INPI) darauf, die Gemeinde- und Ejidoautoritäten zu konsultieren. Die Befragung wurde weder in Treu und Glauben noch kulturell angemessen durchgeführt.
Kirchliche Basisgemeinden gegen regierungsnahe Ejido-Beauftragte
Den Antrag auf einstweilige Verfügung stellte der Regionale Indigene und Populäre Rat von Xpujil (Cripx). Der Rat gründete sich 1995 mit mehr als 3000 Oberhäuptern indigener und mestizischer Familien. Seine Mitglieder sahen sich umgehend mit dem Monopol konfrontiert, das die Ejido-Beauftragten in Agrar- und Sozialfragen hatten. So wie viele andere soziale Bewegungen auf dem mexikanischen Land konstituierten sie sich als Verein, um sich auf eine rechtliche Figur stützen zu können, über die sie Gelder entgegennehmen und zu einem politischen Gesprächspartner werden konnten. Sie verdrängten den regierungsnahen Rat von Zoh Laguna, der jahrelang die Region politisch kontrollierte.
Die Aktivist*innen des Cripx kamen von der Befreiungstheologie und den kirchlichen Basisgemeinden (CEB). Bei ihrer Schulung kam José Martín del Campo, Pfarrer aus der Gemeinde Candelaria, eine Schlüsselrolle zu. Er zog 1983/84 mit einigen Männern nach Xpujil, später zogen deren Familien nach. Zusammen mit anderen Siedler*innen bauten sie die Genossenschaft Sa‘clajel Ty Maty‘el (ungefähre Übersetzung aus dem chol: Neuer Sonnenaufgang des Landbaus) auf. Sie stießen wichtige Protestaktionen an. Dazu gehörte die Blockade der Landstraße im April 1995, um Wasser, Gesundheitsversorgung und Bildung für die Bevölkerung einzufordern. Nach dem Aufstand der EZLN 1994 vervielfachte die Armee ihre Präsenz im Landkreis. Mitglieder des Cripx wurden immer wieder beschuldigt, Verbindungen zu den Zapatist*innen zu haben. Aufgrund der Mobilisierungen wurden einige Führungspersönlichkeiten verhaftet.
Bildung und Spaltung des Landkreises Calakmul
Der Landkreis Calakmul liegt im Süden der Halbinsel Yucatán. Er entstand 1996 und befindet sich in den Händen der Partei der Institutionalisierten Revolution PRI. Bis zum Ende der 1960-er Jahre wies Calakmul eine sehr niedrige Bevölkerungsdichte auf. Aber die von der Regierung von Luis Echeverría (1970-76) geförderte Besiedlung des Urwaldes änderte diese Struktur. Es kamen Migrant*innen aus gut zwei Dutzend anderen Bundesstaaten in die Region. Die Bewohner*innen leben von der Subsistenzwirtschaft und vom Handel, teilweise vom Tourismus – jährlich kommen etwa 40.000 Tourist*innen in die Zone. Fast 40 Prozent der Bevölkerung befinden sich in einer Situation der Ernährungsarmut. Die Macht, die Entscheidungsgewalt sowie die finanziellen Ressourcen im Landkreis konzentrierten sich früher auf die Ejidatarios. Die Mehrheit der Bevölkerung blieb außen vor: Frauen, junge Leute, später Zugezogene. Die Gemeinden spalteten sich. 1989 verkomplizierte das Dekret über die Einrichtung der Biosphäre Calakmul die Lage weiter.
Als einer unter vielen Migrant*innen kam 1989 Romel González nach Calakmul. Geprägt von der Befreiungstheologie nahm er an der urbanen Volksbewegung in San Agustín teil, gehörte zur Führung der Nationalen Koordination Plan de Ayala auf der Halbinsel Yucatán und begleitete die Gründung des Cripx. Heute ist er einer der Sprecher der Organisation. Die Genossenschaft Neuer Sonnenaufgang brach auseinander, als einige der Gründer*innen und Berater*innen sich ganz in die Parteipolitik stürzten, mehrere im Gefolge der Politikerin Layda Sansores. Andere verweigerten sich diesem Weg. Sie sind heute Teil des Cripx und haben weiterhin den Aufbau einer populären Bewegung verfolgt. So brachten sie alternative und modellhafte Entwicklungsprojekte, Gemeindeschulen, kommunitären Tourismus und Projekte zur Kontrolle von Waldbränden auf den Weg.
Ihre alten Weggefährt*innen und heutigen Gegner*innen arbeiten in der Landkreisregierung und treiben, ohne die Gemeinden zu fragen, den Maya-Zug voran. Sie haben, wie im Fall der Siedlung Nuevo San José, Druck auf diejenigen ausgeübt, die den Antrag auf einstweilige Verfügung mittragen. Sie sollen ihre Unterschrift zurückziehen und erklären, dass sie zu dieser gezwungen wurden. Dafür wird ihnen angeboten, einen Landkonflikt der Siedlung ohne für sie entstehende Kosten zu lösen. Der vom Cripx eingebrachte Antrag bringt die Stimmung eines großen Bevölkerungssektors von Calakmul zum Ausdruck, der weder vom Ejido noch in der Landkreisregierung vertreten wird und dessen Meinung bei der Befragung nicht berücksichtigt wurde. Es handelt sich um eine legitime Manifestation der Unzufriedenheit über eine Befragung, die (auch) laut des UNO-Menschenrechtshochkommissariats die entsprechenden internationalen Menschenrechtsstandards nicht erfüllte.
Übersetzung: Gerold Schmidt
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