Ein neues Modell für soziale und wirtschaftliche Integration

von Marina González

(Montevideo, 28. November 2012, la diaria-poonal).- Die Regierung von Rafael Correa genießt unter der Bevölkerung Ecuadors starken Rückhalt. Umfragen zufolge bewegt sich der Präsident auf eine zweite Amtszeit zu, wobei jedoch einige Themen unerledigt blieben. Etwa jene, die in Verbindung mit dem Recht auf Land oder Wasser, Umweltangelegenheiten und Gleichberechtigung der Geschlechter stehen, erklärt Alison Vásconez im Gespräch mit la diaria.

Vásconez ist Doktorin der Wirtschaftswissenschaften und Beamtin des Ministeriums für wirtschaftliche und soziale Integration MIES (Ministerio de inclusión Económica y Social).

In ihr Amt gelangte Vásconez nach einer akademischen Laufbahn, die stark an die Lateinamerikanische Fakultät für Sozialwissenschaften FLACSO (Facultad Latinoamericana de Ciencias Sociales) in Ecuador gekoppelt war. Ihre Aufgabe im Ministerium ist im Wesentlichen fachlicher Art. Sie arbeite an Politiken für die Gleichberechtigung der Geschlechter, für Gleichstellung bei der Arbeit und alternatives Wirtschaften, sagte sie am 21. November gegenüber la diaria, bevor sie an der Konferenz „Regionale Sozialpolitik. Erfahrungen und Herausforderungen in Lateinamerika und Europa“ (“Políticas sociales regionales. Experiencias y desafíos latinoamericanos y europeos”) teilnahm, die unter anderem vom Lateinamerikanischen Zentrum für Beziehungen zu Europa CELARE (Centro Latinoamericano para las Relaciones con Europa) organisiert wurde.

Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben als Hauptkoordinatorin im Bereich Wissensmanagement des Ministeriums für wirtschaftliche und soziale Integration?

Der Bereich ist in diesem und in anderen Ministerien neu. Er wurde kurz vor meinem Amtsantritt gegründet, etwa vor einem Jahr. Gewöhnlich werden von den Ministerien Beratungsunternehmen unter Vertrag genommen. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit füllt die Ordner der Regierungen mit Studien, die nicht immer angemessen sind oder mit deren Agenda übereinstimmen. Die Idee ist nun, innerhalb des Ministeriums Kapazitäten zu schaffen, die es ermöglichen, hinsichtlich öffentlicher Politik besser informierte Entscheidungen zu treffen.

In diesem Zusammenhang gibt es zwei Arbeitsbereiche: der eine beschäftigt sich mit der Forschung, der andere mit fachlich-akademischer Hilfestellung. Dies bedeutet, Diskussionen über neue politische Konzepte einzuleiten und beschränkt sich nicht nur auf den öffentlichen Bereich. Des Weiteren wird versucht, die Verbindung zwischen Universitäten und dem öffentlichen Sektor zu stärken. Genau genommen handelt es sich um eine beratende Funktion innerhalb des Ministeriums.

Wie geht die ecuadorianische Regierung vor, um die wirtschaftliche und soziale Integration zu verbessern?

Die Agenda der sozialen Entwicklung ist etwas umfangreicher und schließt ebenso Bildung, Gesundheit und weitere Sektoren ein, die als „traditioneller“ bezeichnet werden können und der Agenda in anderen Ländern entsprechen. Das Ziel hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Integration ist es jedoch, sich von vorherigen Institutionen zu lösen. Früher hieß das Ressort „Ministerium für sozialen Wohlstand“, wobei es sich allerdings um ein etwas korruptes Ministerium handelte, innerhalb dessen sich regierungsnahe politische Sektoren herausbildeten. Obwohl das Ministerium viele Mittel verwaltete, erwies es sich im Bereich der Armutsbekämpfung generell als wenig erfolgreich.

Um das Thema verstärkt vom Blickpunkt der Bürger aus und von deren Rechten ausgehend Angriff zu nehmen, soll es moralisch saniert werden. Aufgrund der bisher starken Auslagerungen von Dienstleistungen, wird außerdem versucht, den öffentlichen Sektor wieder zu stärken. Das Ministerium kümmert sich beispielsweise um die betreute Entwicklung von Kleinkindern, jedoch arbeitete es früher mit privaten Kinderzentren zusammen (Elterninitiativen, sozialen Organisationen), die finanzielle Mittel erhielten. Nun wird versucht, die direkte Unterstützung durch den Staat wieder herzustellen.

Außerdem ist das Ressort für Bereiche der sozialen Sicherheit verantwortlich, um beispielsweise Menschen, die mit Behinderungen oder in Armut leben, ein Mindesteinkommen zu ermöglichen. Dies deckt sich mit den Empfehlungen zur sozialen Sicherung, mit denen auch die internationale Arbeitsorganisation ILO arbeitet. Des Weiteren leiten wir das nationale Pflegesystem.

Wir haben uns aufgrund der Erfahrung Uruguays bei der Schaffung dieser Politik, stark an deren Beispiel orientiert. Die Personen, um die wir uns kümmern, sind Kinder und behinderte Menschen. Während wir das System überdenken, wollen wir von dem Grundprinzip ausgehen, jene zu versorgen, die sich um andere kümmern. Folglich arbeiten wir mit geschlechterspezifischem Fokus, da es seit jeher Frauen gewesen sind, die Fürsorge leisten. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Integration wurde früher davon ausgegangen, dass Armut durch finanzielle Zuschüsse bewältigt werden könne. Dies erzielte jedoch keine Erfolge und endete vielmehr in einem widersinnigen Abhängigkeitsverhältnis. Daher die Überlegung, sich stufenweise ganz von diesem System zu lösen.

Wie soll diese Loslösung bewerkstelligt werden?

Das Konzept basiert auf einer Rahmenpolitik, die wir „soziale Mobilität“ nennen. Das bedeutet Organisationsfähigkeit zu schaffen und die Bildung von Zusammenschlüssen unter der Bevölkerung durch eine starke Bindung an die Wirtschaftspolitik voranzutreiben.

Dies ist ein weiteres wichtiges Thema, denn die Sozialpolitik getrennt von der Wirtschaftspolitik zu betrachten, bedeutete, die Toten aufzusammeln, die die Wirtschaftspolitik gefordert hatte. Es ist unerlässlich, diese beiden Bereiche der Politik parallel zu betrachten, vor allem um Arbeitsplätze zu schaffen.

Gibt es eine bessere soziale Mobilität als jene, die sowohl Selbstständigkeit mit sich bringt als auch die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften? Zu diesem Punkt erarbeiten wir gerade Vorschläge, wobei wir vom Institut für Volkswirtschaft und Solidarität IEPS (Instituto de Economía Popular y Solidaria) unterstützt werden, das dem Ministerium untersteht.

Das IEPS fördert die Schaffung von Unternehmen und Vereinigungen sowie die Integration im finanziellen Sektor und die wirtschaftliche Organisation kleinerer Gruppen. Der Hintergedanke ist, uns etwas mehr auf die gesamte Bevölkerung zuzubewegen, wobei die Initiativen sehr klein sind und nicht so starke Auswirkungen haben. Zu diesem Zweck schließt unsere Arbeit finanzielle Mechanismen mit ein, wir vergeben ein Anfangskapital und machen Aufrufe und Ausschreibungen, damit die Menschen, vor allem Frauen und Mütter, an die schließlich auch die Gelder überwiesen werden, sich zusammenschließen.

Das ecuadorianische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, dass die Anhebung der Sozialleistungen bedeutet. Widerspricht das nicht dem Ziel, sich vom System der Fürsorge trennen zu wollen?

Grund der Anhebung war eine Anpassung der Grundversorgung an gestiegene Preise. Die Erhöhung gilt jedoch nicht für die gesamte Bevölkerung, sondern nur für die ärmsten Schichten. Der andere Teil der zur Verfügung stehenden Mittel wird in den Mobilitätsprozess investiert.

Welche Herausforderungen hat Ecuador im Bereich der Sozialpolitik noch nicht bewältigt?

Wie in der gesamten Region, konnte auch in Ecuador die Armut verringert werden, vor allem bezüglich der Einkünfte, wobei jedoch auch die Bedürfnisse berücksichtigt werden. Dies ist eine gute Nachricht, denn sie zeigt, dass der Zugang zu Dienstleistungen und Bildung gestiegen ist. Dank einiger, genau darauf abzielender Steuerreformen ist auch die Ungleichheit zurückgegangen.

Dies wiederum verdeutlicht, dass auch die Steuerpolitik am Thema Umverteilung ausgerichtet war. Trotz der Anstrengung scheint mir jedoch, dass hinsichtlich der Umverteilung noch ein langer Weg vor uns liegt. Ich denke, wir müssten uns mit der Umverteilung anderer Ressourcen wie Land, Wasser, Aktivgeschäfte und Wissen, auseinandersetzen. Ebenso müssen wir an der starken Konzentration von finanziellem Kapital in Ecuador arbeiten.

Auch wenn es Verbesserungen gab, existiert hinsichtlich der Situation der indigenen und afroecuadorianischen Bevölkerung, die historisch immer benachteiligt waren, nach wie vor eine Kluft. Noch immer liegt der Unterschied zwischen dem Armutsniveau dieser Gruppen und dem Rest der Bevölkerung bei zehn Prozent.

Ein weiteres Thema, an dem gearbeitet werden muss, ist die Gleichstellung der Geschlechter, auch wenn das Thema in einigen Bereichen der Politik bereits Eingang gefunden hat. Es ist immer einfacher, die Dinge von oben statt von unten her anzugehen, zum Beispiel ausgehend vom Bildungssystem. Angesichts der Tatsache, dass eine Wiederwahl Correas am wahrscheinlichsten ist, muss meiner Meinung nach dieses Thema weiter vertieft werden.

Was wird getan, um die Integration der indigenen Bevölkerung zu verbessern, deren Präsenz in der Regierung heute scheinbar größer ist?

Indigene sind bereits seit geraumer Zeit in Regierungen vertreten und meiner Ansicht nach hat diese Beteiligung ihrer Organisation geschadet. In Verbindung mit einer Bewegung, die in den neunziger Jahren interessante Veränderungen hervorbrachte, machten sie damals starke, solide und innovative Vorschläge. Als sich jedoch einige ihrer Mitglieder mit den Regierungen zusammenschlossen, fingen die Organisationen an, sich zu spalten.

Wie ist die Beziehung zwischen den indigenen Bewegungen und der Regierung Correas?

Einige unterstützen die Regierung, andere nicht. Ich glaube aber, die Mehrheit besteht aus Regierungsgegnern. Viele unterstützen Correa und entfernten sich später, da manche ihrer Forderungen nicht erfüllt werden konnten. Diese standen im Zusammenhang mit den Themen Land, Wasser oder Umwelt, die wie bereits erwähnt, unerledigt blieben. Die betreffenden Sektoren treiben sogar eine alternative Kandidatur für das Präsidentenamt voran, jene von Alberto Acosta von der Plurinationalen Koordinationsstelle für die Einheit der politischen Linken (Coordinadora Plurinacional por la Unidad de las Izquierdas).

Weiß man, wie die Sozialpolitik Correas in einer weiteren Amtszeit aussehen würde?

Wir wurden diesbezüglich als Fachkräfte um Input gebeten. Ich habe das vorgeschlagen, was ich hier bereits schon genannt habe: das Thema der sozialen Mobilität stärken, hinsichtlich des nationalen Pflegesystems einen Unterbau für soziale Sicherheit zu errichten, sowie an tief greifenden Themen, wie der Verteilungsstruktur, der Demokratisierung des Zugangs zu Land und dem Produktionsinput zu arbeiten.

Das sozialpolitische Programm wird allerdings an anderer Stelle erstellt, im Ministerium für Nationale Planung und Entwicklung (Secretaria Nacional de Planificación y Desarrollo). Ich glaube, Ecuador braucht eine Agrarreform, denn der Landbesitz ist enorm konzentriert. Auch meine ich, dass ein neues Projekt für ländliche Entwicklung nötig wäre, um die soziale Integration zu fördern.

 

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