(Berlin, 16. Dezember 2024, npla).- Im Hamburger Museum am Rothenbaum läuft gerade die spannende Ausstellung Weißes Wüstengold, Chiles Salpeter und Hamburg. Das Mineralsalz war zum Beginn des 20. Jahrhunderts sehr wertvoll, und einige deutsche Unternehmer wurden damit sehr reich. Ein Besuch der Sonderausstellung lohnt sich, denn unter welchen Umständen natürliche Ressourcen abgebaut und global gehandelt werden, ist auch im Lithiumzeitalter eine dringende Frage.
Das Hamburger Museum am Rothenbaum, auch bekannt unter dem knackigen Kürzel MARKK, residiert in einem prächtigen Jugendstilbau im Herzen Hamburgs. Wer den zentralen Aufgang in den Gewölbesaal nimmt, findet sich schnell staunend unter ozeanischen Masken und Booten wieder, ein beeindruckender Vorgeschmack der riesigen ethnographischen Sammlung. Durch die Tür eines Seitenflügels fällt den Besucher*innen derzeit jedoch ein unerwartetes Bild ins Auge: die großformatige Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Hamburger Architekturdenkmals, des Chilehauses.
Chile-Salpeter: unverzichtbar für die Herstellung von Düngemitteln, Sprengstoff und Schießpulver
Um zu verstehen, was ein historisches Hochhaus der Hansestadt im MARKK verloren hat, lädt Christine Chávez, die Kuratorin für die Sammlungen aus den Amerikas, dazu ein, sich die ikonische Fotografie genauer anzuschauen. In die zeitlose Aufnahme sind drei Männer montiert, mit freien Oberkörpern und Werkzeugen, Sie stehen in einer Art Grube und scheinen die Besuchenden unvermittelt anzuschauen. „Die drei sind Salpeter-Arbeiter, die in der Atacama-Wüste in Chile Anfang des 20. Jahrhunderts den Boom von Chile Salpeter ermöglicht haben“, sagt Chávez. Damals war Chile-Salpeter unverzichtbar für die Herstellung von Düngemitteln, Sprengstoff und Schießpulver. „Und diese Arbeiter, die man da sieht, zählten zu dem Heer der unzähligen Wanderarbeiter, die in dieser trockenen Wüste unter extrem harten Bedingungen diesen natürlichen Chile-Salpeter abgebaut und damit den Reichtum von den sogenannten Salpeterbaronen wie Henry Braren Sloman oder Hermann Konrad Völsch, beides Hamburger Unternehmer, ermöglicht haben.“ Die Atacamawüste ist eine karge Landschaft, halb so groß wie Deutschland und damals wie heute dünn besiedelt. Die chilenische Regierung lädt Ende des 19. Jahrhunderts aktiv ausländische Investoren ein, in der Gegend Bodenschätze abzubauen, und obwohl Chile zu diesem Zeitpunkt ein souveräner Staat war, seien schnell „quasi koloniale Strukturen entstanden“, erklärt Chávez. Umso wichtiger sei es der Ausstellung deshalb, eine kritische Perspektive auf dieses Thema zuzulassen, „wobei wir sagen müssen, dass alle Nachfahren, die uns Material zur Verfügung gestellt haben, dem gegenüber sehr aufgeschlossen waren. Sonst hätten wir das auch nicht so bewerkstelligen können.“ Die Familiengeschichten der Salpeterbarone spielen in der Ausstellung keine zentrale Rolle. Auch der Frage, wie stark der Salpeter die europäische und globale Geschichte beeinflusste, wird nicht nachgegangen: Hätte Napoleon III. ohne das weiße Gold aus Chile die Pariser Commune zusammenschießen können? Oder das Deutsche Kaiserreich die Aufstände im heutigen Namibia? Hätte die weltweite Agrarwirtschaft ohne die Millionen Tonnen Salpeter-Dünger einen anderen Lauf genommen? Und was war Hamburgs Rolle bei all dem? Hier bremst Kuratorin Chávez bewusst die Erwartungen: „Da ist auch sicherlich noch mehr Forschungsarbeit nötig, wie dann die weiteren Wege des Salpeters nach ganz Europa waren. Aber Hamburg war da auf jeden Fall ein zentraler Knotenpunkt, das sieht man auch in den Korrespondenzen und in den Materialien, die Sloman und Völsch hinterlassen haben.“
Der Blick der Unternehmer
Man sieht es auch auf den Werbeplakaten aus den 20er Jahren, die in der Ausstellung gezeigt werden. Salpeter sei in der ganzen Welt vermarktet worden, sagt Chávez, „nicht nur über Hamburg, aber eben auch“. Die Exponate im MARKK dokumentieren dagegen vor allem Produktionsstätten in Chile: Fabrikhallen, Wellblechbaracken, Eisenbahnstrecken, Staudämme, Sprengungen, Schlackebecken. Dazwischen die Arbeitenden: mal festgehalten in Momentaufnahmen, mal in inszenierten Bildkompositionen und Porträts. Wie kamen diese Fotos zustande? Wer gab sie in Auftrag? Was sollte gezeigt werden? Kuratorin Chávez stellt klar, dass die ausgestellten Bilder in der Regel vom Unternehmen beauftragte Fotografien oder Privatfotos von leitenden hohen Angestellten seien. „Und die dokumentieren natürlich ganz bestimmte Dinge, und andere lassen sie weg.“ So finde man sehr viele Fotografien von Maschinen, Sinnbilder der kapitalistischen Modernität und Produktivität. „Was man nicht findet oder kaum findet, sind beispielsweise Fotos der Unterbringung der Leute.“ Eingefärbte Bildausschnitte lenken den Blick zudem auf sichtbare Probleme: Kinderarbeit, die Inszenierung männlicher Muskelkraft, den Fetisch der Maschinenparks. Videos ausgewählter Dokumentarfilmer und Künstler*innen intensivieren die kritische Auseinandersetzung noch weiter. Der sterbende Mann mit der Staublunge im Hospital: Für wie viele ähnliche Schicksale steht er? Oder die feministische Kritik am Ressourcenraub, vorgetragen im Reggaeton-Stil: Die chilenische Erde wird gefickt, damals wie heute. So ist es nur konsequent, dass die Ausstellung mit einer ganz aktuellen Problematik schließt, bei der erneut Chile ein zentraler Schauplatz ist: dem Lithiumabbau.
Lithium, das Weiße Gold des 21. Jahrhunderts
Lithium, das neue Weiße Gold in der Atacama-Wüste, ist ein wichtiges Element der Batterieherstellung. Ob in Handys, Computern oder E-Autos, Lithium-Ionen-Batterien sind aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Und im sogenannten Dreieck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile finden sich einige der größten Lithium-Vorkommen der Welt. Einerseits verspreche das natürlich Arbeitsplätze und Wohlstand für Chile, meint Chávez. „Auf der anderen Seite ist es aber mit massiven Umwelteingriffen verbunden und hat auch sehr starke Auswirkungen, weil man für den Abbau von Lithium, ähnlich wie auch für Salpeter im Übrigen, enorme Mengen an Wasser braucht. Und das in einer Region, die wie gesagt zu den trockensten der Erde zählt…“ Und Hamburgs Rolle bei diesem neuen Rohstoffzyklus? Darüber ist in der Ausstellung leider nichts zu hören. Fest steht: In der Lithiumlieferkette von morgen ist Hamburg als Drehscheibe für deutsche Batteriewerke auf jeden Fall vorgesehen. Liegt da nicht der Schluss oder zumindest die Gefahr nahe, dass sich Geschichte wiederholt? Kuratorin Chávez gibt sich zuversichtlich: „Es ist natürlich einfach, auf die Vergangenheit zu gucken und ein Urteil zu fällen. Aber wenn wir sehen, wie wir heute mit Ressourcen umgehen, wie wir alle davon auch abhängig sind und wie weit auch der einzelne, aber auch der globale Norden bereit ist, da Veränderungen herbeizuführen, dann sehen wir, dass das alles sehr schwierige Fragen sind. Das wollen wir zumindest anreißen in der Ausstellung und dazu anregen, darüber nachzudenken und damit rauszugehen, sozusagen.“
Einen Audiobeitrag zu diesem Thema findet ihr hier.
Übrigens: Wer mehr wissen möchte über die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Lithium-Booms: Es gibt einen tollen Beitrag von Steffen Heinzelmann, ihr findet ihn auf der onda-Seite.
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