Von Diego Andreucci und Helga Grunberg Cazón
(Quito, 12. Mai 2016, alai).- Der Bergbau hat schwerwiegende soziale und ökologische Auswirkungen. In Bolivien können die Menschen vor Ort ein Lied davon singen. Was hatte die neue Verfassung aus dem Jahr 2009 nicht alles versprochen: Rechte für die Indigenen und für die lokalen Gemeinschaften, Umweltschutz und die Nutzung des Wassers vor allem für lebensnotwendige Zwecke. Mit Initiativen wie diesen weckte die Regierung von Evo Morales viele Hoffnungen in indigenen bzw. kleinbäuerlichen Gemeinden Boliviens.
Doch trotz allen politischen Wandels hat sich eines nicht verbessert: Die Bewältigung der Auswirkungen des Bergbaus auf Mensch und Umwelt. Exemplarisch lässt sich dies am Fall der Gemeinden im Gebiet des Beckens Uru-Uru Poopó im Herzen des Altiplano zeigen. Der Lago Poopó geriet international in die Schlagzeilen. Der zweitgrößte See Boliviens, einer der größten in Südamerika, trocknete aus. Seit Ende 2015 gibt es ihn einfach nicht mehr.
Kein Respekt vor der vielzitierten „Mutter Erde“
Die Gemeinden der Region haben seit Jahren die schwerwiegenden sozialen und ökologischen Folgen des Bergbaus angeprangert. Im Diskurs der Regierung ist immer wieder die Rede vom Vivir Bien (Gutes Leben), von Pacha Mama (Mutter Erde) und der Umwelt. Die vom Bergbau verursachten Schäden werden währenddessen nicht geringer, im Gegenteil. Vergleicht man die Lage im Becken des Lago Poopó mit jener zu Zeiten der neoliberalen Vorgänger-Regierungen Boliviens, so sind keine großen Fortschritte festzustellen.
In den Lago Poopó werden einem jüngst in Cochabamba veröffentlichten Bericht zufolge deutlich mehr Schwermetalle eingeleitet als zulässig: täglich 39 Kilogramm Kadmium, 3.969 Kilogramm Zink, 821 Kilogramm Arsen und 73 Kilogramm Blei. Das sind alarmierend hohe Werte. Die Schwermetalle im Wasser verseuchen Pflanzen und Vieh. Die Folgen: Eine deutliche Abnahme der Produktivität in der Landwirtschaft und verendete Tiere sowie solche mit Missbildungen. Menschen, die mit dem stark verunreinigten Wasser kochen oder sich damit waschen, haben gesundheitliche Probleme. In unserer Untersuchung fanden wir heraus, dass selbst Kinder einer Bildungseinrichtung das hochgradig verschmutzte Wasser aus dem Fluss konsumierten.
Bergbauunternehmen nutzen die Schwäche des Staates aus
Einige dieser Probleme sind längst bekannt, es kommt aber auch zu Schwierigkeiten und Verzögerungen bei den Plänen, die Umweltschäden zu beheben. Dank der Massenmobilisierungen im Jahr 2009 war aufgrund der Auswirkungen des Bergbaus der Umweltnotstand ausgerufen worden. Für das Gebiet um den Lago Poopó gab es mit dem Dekret Nr. 0335 einen eigenen Plan. Doch bis heute ist nicht viel erreicht worden. In den betroffenen Gemeinden sind keine wirklichen Verbesserungen sichtbar.
Bergbauunternehmen nutzen die Schwäche bei der Umweltgesetzgebung und den Mangel an strikten Kontrollen in Bolivien dazu aus, ihre Kosten zu senken. Hierbei tun sich vor allem private Unternehmen hervor. Nach Ansicht vieler bieten sie ein Beispiel für „gutes Management“, da formal die Regeln eingehalten werden, doch es gehen große Umweltschäden auf ihr Konto. Zu nennen wäre hier beispielsweise der Betreiber der Mine Bolívar, das transnationale Unternehmen Sinchi Wayra-Illapa. Die lokalen Gemeinden meldeten schwere Verstöße dieses Unternehmens, das lange zum Schweizer Konzern Glencore gehörte und an dem nun der bolivianische Staat beteiligt ist, die auch von zuständigen staatlichen Stellen bestätigt wurden.
Eigentumsform der Unternehmen sagt nichts über Umweltbewusstsein
Aber diese Probleme wiederholen sich bei allen Eigentumsformen. Auch Unternehmen, die auf dem Papier Kooperativen sind und sich deshalb als Alternative zu konventionellen Unternehmen darstellen, widersetzen sich den Kontrollen des Staates und verletzen systematisch Normen zum Schutz von Mensch und Umwelt. Und die staatlichen bolivianischen Bergbauunternehmen wie Huanuni zählen laut der Studie zu den größten Verschmutzern im Land.
Doch auch bei einer formalen Einhaltung der Vorschriften ist eine Verringerung der Auswirkungen des Bergbaus nicht garantiert. Interviews mit einer ganzen Reihe von Beteiligten, Betroffenen und Expert*innen ergaben, dass es unter der Regierung Morales keine bedeutsamen Fortschritte gegeben hat. Aus all diesen Gründen lautet das Urteil: Der Bergbau in Bolivien hat nach wie vor soziale und ökologische Folgen, die nicht zu verantworten sind.
Teilweise noch Regelungen der neoliberalen Regierungen in Kraft
Warum aber scheitern die Regelungen, die Kontrollen und die staatlichen bolivianischen Kontrollen, die doch eigentlich für eine Verbesserung der sozialen und ökologischen Folgen des Bergbaus zuständig wären? Wie die Studie zum Gebiet des Lago Poopó zeigt, gibt es keinen nennenswerten Fortschritt bei der Gesetzgebung, die den sozialen und ökologischen Rahmen des Bergbaus regelt. Gesetze und Regelungen stammen teilweise noch aus der neoliberalen Ära, wie etwa das Umweltgesetz aus dem Jahr 1992. Das Bergbaugesetz der Regierung Morales von 2014 wiederum lässt die lokale Bevölkerung noch stärker außen vor und begrenzt die Anwendung der Rechte der Indigenen.
Als zweiter Punkt ist zu sehen, dass dem bolivianischen Staat institutionelle Grenzen gesetzt sind, um wirksame Veränderungen zum Schutz von Mensch und Umwelt vor den Auswirkungen des Bergbaus vornehmen zu können. Die staatlichen Akteure räumen ein, dass ein chronischer Mangel an Personal und Ressourcen herrscht, um die Bergbauaktivitäten wirksam kontrollieren zu können.
Boliviens Abhängigkeit vom Bergbau als Klotz am Bein
Und nicht zuletzt besteht ein klarer Interessenskonflikt. Der Bergbau ist für Bolivien nach wie vor ein strategisch wichtiger Wirtschaftssektor; die Bergbauunternehmen sich wichtige Partner für die Regierung. Das beeinflusst die eingeschränkten Umweltkontrollen und die Anwendung der Rechte der Gemeinden, um den angeblichen ökonomischen Nutzen für das Land nicht zu gefährden. Ein Beispiel: Die Versuche der Regierung des im Altiplano gelegenen Departements Oruro, gegen das staatliche Bergbauunternehmen Huanuni wegen der offenkundigen Umweltverschmutzung vorzugehen, stießen auf den massiven Widerstand sowohl der Regierung Morales als auch auf jenen der Minenarbeiter*innen.
Die in Bolivien vom Bergbau betroffenen Gemeinden nehmen eine systematische Begünstigung des Bergbausektors durch die Regierung in verschiedener Weise wahr und dies gehe zu Lasten der Umwelt. Weder machten sich die Regierungsstellen die Forderungen der Betroffenen zu eigen, noch seien sie bereit, sich diese auch nur anzuhören. Boliviens Regierung betreibt eine Art Politik des „Teile und herrsche“: Jene bäuerlichen und indigenen Gemeinden, die ihre Unterstützung geben, werden begünstigt, jene dagegen rüde angegangen, die die sozialen und ökologischen Verschlechterungen anprangern. Das hat mit dazu beigetragen, dass sich die indigene andine Föderation CONAMAQ (Consejo Nacional de Ayllus y Markas del Qullasuyu) gespalten hat und die lokalen Gemeinden an Einfluss verloren haben.
Entwicklungsbegriff auf den Prüfstand stellen
Die zunehmende Abhängigkeit Boliviens vom Export von Erzen, der von vielen Beteiligten als unabdingbar für den Wohlstand des Landes angesehen wird, hat in Wirklichkeit die Lebensbedingungen der Gemeinden auf dem Land verschlechtert. Zugleich nehmen die Spannungen zwischen dem Bergbausektor und den indigenen Völkern und Campesinos zu. Die Studie zeigt, dass es mit vereinzelten Verbesserungsaktionen des Staates nicht getan ist. Es geht um die Frage, wie das Leben in den Regionen aussehen soll, in denen in Bolivien traditionell Bergbau betrieben wird, ebenso wie um den Entwicklungsbegriff, der zugrunde gelegt wird. Zum Einen beweist der Bergbausektor seine chronische Unfähigkeit, seine sozio-ökologischen Auswirkungen zu verbessern, was durch die Schwächen des Staates noch verstärkt wird; zum Anderen ist der wirkliche Beitrag des Bergbaus zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sehr begrenzt.
Angesichts aktuell niedriger Preise für Erze wäre die Gelegenheit günstig, sich über Alternativen Gedanken zu machen und Debatten anzustoßen, wie sich die Produktion im bolivianischen Altiplano sinnvoll umstellen ließe – um der zerstörerischen Abhängigkeit von einem unverantwortlichen und räuberischen Bergbau zu entkommen. Hierfür müssen die Diskussionen über Alternativen zur sogenannten Entwicklung wieder aufgenommen werden.
Diego Andreucci forscht am Instituto de Ciencia y Tecnología Ambiental der Universidad Autónoma in Barcelona.
Helga Gruberg Cazón ist als Umweltingenieurin auf Entwicklungsfragen spezialisiert.
Die Folgen des Bergbaus sind nicht zu verantworten von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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