
Foto: urban_lenny via flickr
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(Bogotá, 22. Februar 2024, la diaria).- Warum vereitelt die Guerilla in der Region Catatumbo den umfassenden Frieden, das erklärte Ziel der Regierung Petro? Und welche Rolle spielen die Verbindungen zum Drogenhandel, die Nutzung venezolanischen Territoriums als Zufluchtsort und die eigene konföderale Struktur der ELN?
Seit dem 16. Januar befindet sich die Region Catatumbo an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela in einer schweren humanitären Krise. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums hat die von der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) entfesselte Gewalt innerhalb von drei Wochen 56 Menschenleben gefordert; mehr als 54.000 wurden vertrieben. Bis zum Ausbruch der Gewalt galt die Lage in Catatumbo als Erfolgsgeschichte des „umfassenden Friedens“: Beide bewaffnete Gruppen, die die Region beherrschten, die ELN und die FARC-Abspaltung Frente 33 hatten 2022 einen Waffenstillstand vereinbart und Gespräche mit der nationalen Regierung aufgenommen. Was also ist passiert? Wie konnte es zur schlimmsten Gewaltkrise seit 2016 kommen, dem Jahr, in dem das Friedensabkommens mit der FARC unterzeichnet wurde?
Gespräche mit dem ELN: eine Friedensverhandlung?
Der ELN ist die älteste Guerillagruppe in Kolumbien und auf dem Kontinent, und er war zugleich die erste bewaffnete Gruppe, die mit der aktuellen nationalen Regierung am Verhandlungstisch saß. Seit Beginn seiner Amtszeit hat Präsident Gustavo Petro deutlich gemacht, dass das Bemühen um einen dauerhaften Frieden eine seiner wichtigsten Prioritäten sein wird. Zur Politik des „umfassenden Friedens“ gehörte, durch gleichzeitige Verhandlungen mit allen bewaffneten und Gewalt ausübenden Akteuren die Unversehrtheit und Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Dazu wurde am 21. November 2022 in Caracas ein Dialogtisch zwischen der Regierung und der ELN eingerichtet, der an die Erfolge anknüpfen sollte, die bereits während der Regierung von Juan Manuel Santos erzielt worden waren.
Mehrere Monate lang schienen die Gespräche der ELN mit der Regierung Petro größere Fortschritte zu machen als die mit früheren Regierungen. Es wurden einige wichtige Vereinbarungen getroffen, darunter ein anfänglicher Waffenstillstand für sechs Monate, der später um weitere sechs Monate verlängert wurde. Darüber hinaus wurden Fortschritte bei der Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung des Friedensprozesses, einer Beobachtungsstelle für Paramilitarismus und des Grundsatzes der „Umsetzung des Vereinbarten“ sowie einer Vereinbarung über die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Gesprächen erzielt. Bald zeigte sich jedoch, dass der Friedenswille der Regierung von der ELN nicht erwidert wurde. Der Frieden war für die Guerilla kein vorrangiges Ziel, insbesondere war sie nicht bereit zur Entwaffnung und Demobilisierung. Im Gegenteil; bei den Gesprächen erklärten ihre Vertreter mit Nachdruck, dass sie die Waffen nicht niederlegen würden, solange keine tiefgreifenden wirtschaftlichen und politischen Veränderungen erreicht seien, die sie für einen dauerhaften Frieden für notwendig erachteten. Heute ist klar, dass der ELN bei den Verhandlungen eigene Prioritäten verfolgte: zum einen die Stärkung seiner territorialen Position, insbesondere entlang der kolumbianisch-venezolanischen Grenze, wo er seit jeher präsent ist, und zum anderen die Verteidigung der Integrität und Einheit der Organisation, ein paradoxes Element angesichts der Tatsache, dass der ELN eine sehr föderale, auf einer „Konföderation von Kriegsfronten“ beruhende Struktur hat, die entsprechend den eigenen Plänen, Interessen und Kapazitäten sowie den Bedingungen der jeweiligen Gebiete auf unterschiedliche Weise vorgeht.
Ursprünglich sollte der Verhandlungsprozess mit der Regierung dazu dienen, die Kontrolle und Entscheidungsbefugnis des Zentralkommandos über die verschiedenen Gruppen zu stärken und durch den vereinbarten Waffenstillstand den militärischen Druck zu reduzieren. Jedoch veränderte sich die Ausgangslage Anfang 2024 durch die Ankündigung eines neuen Verhandlungsprozesses mit den Comuneros del Sur, einer Untergruppe des ELN, die im Departement Nariño an der Grenze zu Ecuador operiert, da sie für eins der strategischen Ziele eine Bedrohung Gruppe darstellte. Obwohl Comuneros del Sur die Anerkennung als unabhängiger Akteur anstrebte, um den Demobilisierungsprozess zu beschleunigen, beschuldigte der ELN die Regierung, die Gruppe infiltriert zu haben, um die Guerilla zu spalten, und darüber hinaus die getroffenen Vereinbarungen nicht einzuhalten. Die Spannungen führten zu einer Krise am Verhandlungstisch, die nie überwunden wurde.
Die Gründe für die Krise
Tatsächlich waren die Gespräche für den ELN nicht mehr von Bedeutung, insbesondere für die von Gustavo Giraldo alias Pablito befehligte Östliche Kriegsfront. Dieser hatte sein Misstrauen gegenüber dem Verhandlungsprozess deutlich gemacht. Diese Front, die mächtigste des ELN, hat die Strukturen zu verantworten, die nach mehreren relativ friedlichen Monaten die Gewalt in Catatumbo auslösten.
Die Gründe für das Scheitern des Waffenstillstands, den die ELN mit dem Frente 33 geschlossen hatte und die anschließende Aufteilung des Territoriums unter den beiden Gruppen sind vielfältig. Da ist zum einen die wachsende Macht des Frente 33, der seine territoriale Präsenz verstärken und sich zum eigenständigen Akteur konsolidieren und dem ELN das Terrain streitig machen konnte. Hinzu kam die allmähliche Wiederbelebung des Kokablätter-Markts in dem Gebiet. Der Drogenhandel, eine wichtige Einnahmequelle für alle bewaffneten Gruppen in Kolumbien, war viele Jahre lang eine der wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten in Catatumbo. Im Jahr 2022 ging jedoch der Absatz von Kokablättern und Kokapaste zurück, und die so genannte „Kokakrise“ führte nicht nur zu Hunger unter der bäuerlichen Bevölkerung, sondern auch zu einem Rückgang der Einnahmen für ELN und Frente 33. Die Spannungen zwischen den bewaffneten Gruppen nahmen zu, und der ELN beschloss zu handeln. Ein weiterer Schlüsselfaktor für die derzeitige Situation in Catatumbo ist seine strategische Lage an der Grenze zu Venezuela. Seit Jahren ist der ELN im Nachbarland ohne Druck seitens des kolumbianischen Militärs aktiv und verfügt dort über eine strategische Nachhut. Obwohl die Beziehungen zum Regime von Nicolás Maduro nicht unproblematisch waren, setzt sich der ELN für die Verteidigung der Bolivarischen Revolution ein. Erst im Juni 2024 bezeichnete der ELN auf seinem Sechsten Kongress, dem höchsten politischen und militärischen Entscheidungsgremium der bewaffneten Gruppe, die Bolivarische Revolution als „Vorhut der revolutionären lateinamerikanischen Linken“.
Gleichzeitig machen die umstrittene Wahl von Nicolás Maduro für eine dritte Amtszeit, die unter anderem von Präsident Gustavo Petro nicht als rechtmäßig anerkannt wird, und die geopolitische Verschiebung durch die zweite Präsidentschaft von Donald Trump in den USA den ELN zu einem wichtigen Verbündeten für das venezolanische Regime. All‘ das hat dazu geführt, dass sich die Vermittlerrolle Venezuelas im Verhandlungsprozess zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN zu einer politischen Waffe entwickelt hat. Zugleich verliert die Frage, ob in den Gesprächen konkrete Fortschritte erzielt werden, für die Guerillagruppe an Bedeutung. Es ist kein Zufall, dass die Offensive in Catatumbo wenige Tage nach Maduros Amtsantritt begann, auch wenn sie schon seit mehreren Monaten geplant war und der ELN schon vorher Truppen aus Arauca, einer etwas weiter südlich gelegenen Region an der langen kolumbianisch-venezolanischen Grenze, herangezogen hatte, um ihre Position zu stärken. Ein weiterer Faktor, der zur Krise beitrug, war die Untätigkeit des Staates. Im Jahr 2024 hatten das Frühwarnsystem des Büros des Bürgerbeauftragten sowie mehrere Menschenrechtsorganisationen, die lokale Bevölkerung und Analyst*innen vor der wachsenden Spannung beim ELN und der Angst vor der raschen Ausbreitung des Frente 33 gewarnt und auf die Folgen hingewiesen, die daraus für die Kontrolle der Koka-Wirtschaft und der Bevölkerung in der Region entstehen könnte. Trotz der Warnungen blieb eine politische Reaktion der nationalen Regierung aus; der Staat leistete lediglich humanitäre Arbeit, als die Gewalt bereits ausgebrochen war. Der Hochkommissar für Frieden Otty Patiño räumte öffentlich ein, dass die Warnung des Bürgerbeauftragten nicht richtig eingeschätzt worden sei: „Es gab die Warnung vor einer Verschärfung des Konflikts, aber, und da müssen wir sehr selbstkritisch sein, es wurde nicht genau geguckt, warum es zur Verschärfung kam“.
Wie geht es weiter?
Viele Analysen der jüngsten Ereignisse in Catatumbo weisen übereinstimmend darauf hin, dass der ELN die Zivilbevölkerung wahllos mit Gewalt überzieht. Ihre Taktiken erinnern an den Terror der paramilitärischen Überfälle in den Anfängen der 2000er Jahre: Dabei ging es nicht um den Zusammenstoß zweier bewaffneter Gruppen, sondern der ELN ging mit einer Liste in der Hand von Haus zu Haus, suchte Personen, die sie beschuldigte, Kollaborateure des Frente 33 zu sein und exekutierte sie. In einem Dorf in der Region wurde der Bestatter zusammen mit seiner Frau und seinem neun Monate alten Baby ermordet, weil er sich dem Befehl widersetzt hatte, die Opfer dieser Angriffe unbestattet liegenzulassen. Bisher hat der Frente 33 nicht auf die Gewalt reagiert, einige ihrer Mitglieder haben die Gruppe verlassen, um ihr Leben zu schützen, aber es ist nicht auszuschließen, dass der Frente 33 angesichts der Angriffe beschließt zu handeln. In jedem Fall ist das brutale Vorgehen des ELN ein Hinweis auf seine tiefe Durchdringung mit kriminellen Aktivitäten. Es verdeutlicht die korrumpierende Wirkung, die die Erlöse aus illegalen Geschäften auf die Gruppe haben, und verweist auf ihre Geringschätzung gegenüber den Friedensverhandlungen. Angesichts der ersten Lage war es notwendig, die Gespräche auszusetzen, und es ist besorgniserregend, dass die Regierung so viel politisches Kapital und Mühe in diese Dialoge gesteckt und nur sehr geringe Ergebnisse erzielt hat, nicht nur mit dem ELN, sondern auch mit den übrigen Gruppen, die an den Verhandlungstischen sitzen.
Der improvisierte Versuch des „umfassenden Friedens“ und seine fehlende Verbindung zur Sicherheitspolitik haben eine Situation heraufbeschworen, in der eine historisch vom Konflikt betroffene Region erneut Opfer einer Gewaltwelle wird, die die Ereignisse der letzten zwei Jahrzehnte in den Schatten stellt. Dazu besteht die Gefahr, dass in anderen Gebieten das gleiche passieren könnte wie in Catatumbo, nämlich überall dort, wo sich zwei bewaffnete Akteure inmitten einer angespannten Ruhe die Kontrolle über ein Gebiet mit seiner Bevölkerung und seinen illegalen Einnahmen teilen. Am 19. Januar kam es im Departement Guaviare im kolumbianischen Amazonasgebiet zu Zusammenstößen zwischen zwei Fraktionen von FARC-Dissidenten, bei denen rund 20 Kämpfer starben, viele Menschen wurden vertrieben und mehrere verwundet. Hintergrund war die Kontrolle von Drogenhandelsrouten nach Brasilien. Der Ernst der Lage in Catatumbo führte dazu, dass die Ereignisse weitgehend unbeachtet blieben, doch es steht zu befürchten, dass es in anderen Regionen wie Caquetá, Huila, Putumayo, Meta, Cauca und dem südlichen Córdoba zu ähnlichen Auseinandersetzungen kommen könnte.
Angesichts der Eskalation in Catatumbo verhängte die nationale Regierung die conmoción interior, einen außergewöhnlichen rechtlichen Ausnahmezustand, der nur 90 Tage lang in Kraft bleiben kann und vor dem Kongress begründet werden muss. Dieses Instrument ermöglicht es zwar, an verschiedenen Fronten zu agieren, um die Krise abzuwenden, doch die Wiederherstellung der Sicherheit in dem Gebiet ist von grundlegender Bedeutung, um in anderen Bereichen Fortschritte erzielen zu können. Die Herausforderung ist komplex, denn wie die Regierung selbst erklärt, sind die Streitkräfte erheblich von den Haushaltskürzungen aufgrund der schwierigen Finanzlage betroffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die US-Regierung die Finanzhilfe für die kolumbianischen Sicherheitskräfte im Rahmen der internationalen Drogenbekämpfung und Strafverfolgung (INL) des Außenministeriums vorübergehend eingefroren hat.
Darüber hinaus stellt die derzeitige Situation in Venezuela ein weiteres Hindernis für die Lösung der Krise in Catatumbo dar. Maduros Entscheidung, sich für eine dritte Amtszeit vereidigen zu lassen, und die damit verbundenen Äußerungen wie die des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe über die Notwendigkeit eines militärischen Einmarschs im Nachbarland machen den ELN zu einem attraktiven Akteur für das venezolanische Regime. Entsprechend verringert sich auch Maduros Interesse an einer Verhandlungslösung mit der Guerillagruppe. Mit der Herausforderung, die Ruhe in Catatumbo wiederherzustellen und die Rückkehr Tausender Vertriebener zu sichern, steht die Regierung Petro also ziemlich allein da. Sie muss entscheiden, wie sie dem ELN gegenübertreten will, und gleichzeitig an den verschiedenen Verhandlungstischen mit den verschiedenen bewaffneten Gruppen konkrete Schritte erarbeiten, um die Spannungen zu deeskalieren, die in anderen Regionen zu neuen Gewaltausbrüchen führen könnten. Die Politik des „umfassenden Friedens“ ist in einem kritischen Moment. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung die durch die Aktionen der ELN ausgelöste Warnung beherzigt und die richtigen Schritte unternimmt.
Catalina Niño Guarnizo ist Projektkoordinatorin der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Kolumbien und für das Regionale Sicherheitsprojekt der FES für Lateinamerika. Sie ist Mitglied von Amassuru, einem Netzwerk von Frauen, die auf Sicherheit und Verteidigung in Lateinamerika und der Karibik spezialisiert sind.
Warum torpediert die Nationale Befreiungsarmee den Frieden? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
jetzt ist die Zeit unter Genosse Pedro Frieden zu schließen, dabei muss der ELN Autonomie für besetzte Gebiete gewährt werden für 4 Jahre wobei gleichzeitig die Integration der ELN Kämpfer in die Kolumbianische Gesellschaft organisiert werden muss. Ich würde mich als politischer Beobachter gern dazu einbringen
unter:01575 9634489
Herr Loganey
Hamburg 14.3.2025 um 7uhr 29