(Bogotá, 20. Januar 2022, colombia informa/poonal).- Am späten Abend des 19. Januar erhielten Mitglieder der sozialen Basisbewegung Ostkolumbiens MSP (Movimiento Político de Masas Social y Popular del Centro Oriente de Colombia) eine Warnung: Eine Autobombe sei vor dem Sitz ihrer Organisation deponiert worden, in dem sich mehrere Führungspersonen befanden. An dem Abend gab es in dem Viertel der Stadt Saravena im ostkolumbianischen Department Arauca keinen Strom. Noch während des warnenden Anrufs explodierte die Bombe. Zudem waren Schüsse zu hören.
Zwar hatten Aktivist*innen zuvor bereits die Straße abgesperrt, allerdings explodierte die Bombe direkt vor dem Kolumbianischen Agrarinstitut ACA. Der Nachtwächter Simeón Delgado wurde bei dem Terroranschlag getötet; weitere fünf Menschen wurden verletzt, sechs Gebäude demoliert. Es wird davon ausgegangen, dass der „Frente 10“, eine Abspaltung der ehemaligen FARC-Guerilla, hinter dem Anschlag steckt.
Angriff auf die Zivilgesellschaft
Die Autobombe wurde mitten im Zentrum der Stadt Saravena mit 50.000 Einwohner*innen platziert, nur 200 Meter von einer Polizeistation entfernt. Bei dem Anschlag am Abend des 19. Januar wurden die Büros mehrerer sozialer Einrichtungen beschädigt, wie die Vereinigung der Nachbarschaftsräte (Asojuntas), der Zusammenschluss indigener Räte von Arauca, das Transportunternehmen Sugamuxi, sowie mehrere Gewerkschaften und Bildungseinrichtungen. Zudem soll das selbstverwaltete Unternehmen für Wasserversorgung und Kanalisation der Gemeinde Ecaaas beschossen worden sein. Ecaaas war bereits in der Vorwoche angegriffen worden.
Bei dem Anschlag wurden auch die Büros von zwei unabhängigen Medien getroffen, das online-Portal Trochando Sin Fronteras und das Gemeinderadio Sarare Stereo. Die Menschenrechtsstiftung „Joel Sierra“ hat ihr Büro ebenfalls in dem angegriffenen Gebäude. Ihre Organisation werde bedroht, weil sie wiederholt Anzeige gegen die Disidencias der ehemaligen FARC-Guerilla erstattet habe, beklagt die Vorsitzende der Stiftung, Sonia Díaz: „Sie haben uns zur roten Zone erklärt.“ Erst am selben Nachmittag war bekannt geworden, dass einer der Vorsitzenden der Stiftung, José Avelino Pérez Ortiz, in einem ländlichen Gebiet in Arauca ermordet wurde.
Der Anführer des „Frente 10“, alias Antonio Medina, hatte die soziale Bewegung in Arauca zuvor in einer über die sozialen Netzwerke verbreiteten Nachricht direkt bedroht: „Der Plan ist, die Unternehmen dieser Typen in die Luft zu jagen“, sagte Medina demnach. Und weiter: „Diese Vereinigungen, Asojuntas, deren Anführer, diese ganze Scheiße muss umgebracht werden.“ Sämtliche zivilgesellschaftlich organisierten Menschen bezichtigte er, Mitglieder der ELN-Guerilla zu sein.
Krieg in Arauca
Das ostkolumbianische Department Arauca liegt an der Grenze zu Venezuela und ist schon länger umkämpft. Einem Bericht des kolumbianischen Friedensforschungsinstituts Indepaz zufolge sind in Arauca und im benachbarten venezolanischen Bundesstaat Apure verschiedene bewaffnete Gruppen in unterschiedlichen Allianzen aktiv. Entlang der Grenze verlaufen wichtige Schmuggelrouten für Drogen, aber auch Lebensmittel und Treibstoff. Dort verläuft zudem eine Ölpipeline, die mehrfach zum Ziel von Anschlägen geworden ist, um Schutzgeld zu erpressen.
Derzeit kämpft die FARC-Abspaltung „Frente 10“ gegen die in Arauca starke ELN und hat sich auch schon Gefechte mit der venezolanischen Armee geliefert. Beide werfen sich vor, mit der kolumbianischen Armee zu kollaborieren. Die kolumbianische Regierung wirft Venezuela hingegen vor, die Guerillagruppen zu unterstützen. Außerdem gibt es Hinweise, die auf eine Präsenz des US-Geheimdienstes in dem Grenzgebiet hindeuten.
Obwohl die kolumbianische Regierung in dem Gebiet präsent ist und weitere 600 Soldaten geschickt hat, um den Schutz in der Region zu verstärken, werden Einwohner*innen von Arauca immer wieder zum Opfer bewaffneter Angriffe und sehen sich gezwungen zu fliehen. Die Bevölkerung und die sozialen Organisationen von Arauca fordern die Anwesenheit von Monitoring-Gruppen und Garantien für einen wirklichen Schutz. Sie rufen den kolumbianischen Staat auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben der Bewohner*innen, Aktivist*innen und Menschenrechtler*innen von Arauca zu garantieren.
In Arauca sind in diesem Jahr bislang 27 Menschen erschossen worden. In ganz Kolumbien wurden nach Angaben von Indepaz allein in den ersten 17 Tagen des Jahres neun soziale Führungspersonen ermordet.
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