(Berlin, 29. April 2010, npl).- Eine Friedenskarawane aus internationalen MenschenrechtsbeobachterInnnen, Aktivist*innen aus sozialen Organisationen und der indigenen Bewegung, die sich auf dem Weg in die autonome Gemeinde San Juan Copala im Bundesstaat Oaxaca befand, wurde am frühen Nachmittag des 27. April am Ortseingang zur Gemeinde von Paramilitärs der Gruppe Vereinigung für das Gemeinwohl der Region Triqui UBISORT (Unión de Bienestar Social de la Región Triqui) beschossen. Dabei sind mindestens zwei Personen getötet und mehrere Menschen verletzt worden. Weitere Teilnehmer*innen gelten als vermisst. Weder die genaue Zahl der Toten noch der Verletzten ist bisher bekannt und die Informationen sind derzeit noch widersprüchlich.
In einer am 28. April um 13 Uhr mexikanischer Ortszeit von den Organisationen Zentrum der zur Unterstützung der Gemeindezusammenarbeit CACTUS (Centro de Apoyo Communitario Trabajando Unidos A.C.), Netzwerk Indigener Comunitärer Radios im Südosten Mexikos (Red de Radios Indígenas Comunitarias del Sureste Mexicano) und der Mexikanischen Vereinigung für die Selbstbestimmung der Völker AMAP (Alianza Mexicana por la Autodeterminación de los Pueblos) herausgegebenen Erklärung heißt es, bis jetzt sei lediglich der Tod von zwei Aktivist*innen bestätigt.
Bei den Toten handelt es sich um die Leiterin der mexikanischen Menschenrechtsorganisation CACTUS, Bety Cariño Trujillo sowie um den finnischen Menschenrechtsbeobachter Juri Jaakkola von der finnischen Organisation Uusi Tuuli Ry. Bety Cariño arbeitete seit mehr als 15 Jahren als Menschenrechtsaktivistin und war Mitbegründerin des Netzwerks Indigener Comunitärer Radios im Südosten Mexikos. Da sich die Aktivistin aufgrund ihrer Arbeit für die indigenen Rechte in akuter Lebensgefahr befand, wurde sie zu ihrem Schutz seit geraumer Zeit von einer internationalen Menschenrechtsorganisation begleitet.
Noch mindestens sechs Personen aus der Karawane gelten laut der Erklärung als vermisst. Bei ihnen handelt es sich um den Belgier Martin Sautan, David Venegas und Nóe Batista von der Organisation Stimmen Oaxacas für Autonomie und Freiheit VOCAL (Voces Oaxaqueñas Construyendo Autonomía y Libertad), Fernando Santiago von der Organisation Indigene Brigaden (Brigadas Indígenas) sowie die beiden Journalist*innen David Cilia und Ericka Ramírez von der Zeitschrift Contralinea. Die 22-jährige Mónica Citlalli aus Oaxaca konnte verletzt in ein Krankenhaus gebracht werden.
Presseberichten aus Mexiko zufolge fand sich die aus knapp 40 Aktivist*innen bestehende Karawane mit Teilnehmenden aus Mexiko, Deutschland, Italien, Belgien und Finnland am Ortseingang zur Gemeinde San Juan Copala vor einer Straßenblockade wieder und wurde von etwa 30 Vermummten mit Maschinengewehren beschossen. Der Kugelhagel soll eine Stunde gedauert haben, hätten Augenzeugen berichtet.
In der abgelegenen Region des indigenen mixtekischen Volkes der Triqui kommt es seit mehreren Jahren zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Vereinigung Bewegung zur Vereinigung um den Kampf für ein Unabhängiges Triqui MULT-I (Movimiento de Unificación de Lucha Triqui-Independiente) hatte in Folge des Aufstandes in Oaxaca im Jahr 2006 die Region Anfang des Jahres 2007 zum autonomen Gebiet erklärt. MULT-I gehört sowohl der zapatistischen Anderen Kampagne an als auch der APPO an. Offiziell gehört das Dorf jedoch zum Bezirk Santiago Juxtlahuaca. Die Paramilitärs der UBISORT arbeiten mit der Partei der Institutionellen Revolution PRI zusammen, die in Oaxaca regiert und die Region um jeden Preis kontrollieren will.
Die Situation verschärfte sich im November 2009, als die UBISORT die Straße in Höhe der Gemeinde Sabana Copala blockierte, dem einzigen Zugang zum Ort San Juan Copola und damit verhindern wollte, dass Mitglieder des Bündnisses Völker zur Verteidigung der Erde aus Atenco (Frente de Pueblos en Defensa de las Tierras), in das Dorf gelangten. Seit Anfang des Jahres kam es zu mehreren politischen Morden. Erst am vergangenen 18. April war ein Aktivist der MULT-I von bewaffneten Männern der UBISORT im Rathaus des Ortes erschossen worden.
Die UBISORT habe außerdem Straßensperren errichtet, Wasser- und Stromversorgung sowie die Telefonverbindungen gekappt und einen Belagerungsring um den Ort errichtet, berichtet der Bürgermeister des Ortes, Jesús Martínez Flores, gegenüber der mexikanischen Tageszeitung La Jornada. Durch die Belagerung sei es lebensgefährlich für die Familien, die etwa sieben Kilometer zwischen einem Wald und ihren Feldern zurückzulegen, um sich dort Feldfrüchte zum Essen zu holen. Wasser würden die Einwohner*innen aus den Bächen entnehmen.Auch die Schulen des knapp 700 Einwohner*innen zählenden Ortes und das Gesundheitszentrum sind seit drei Monaten geschlossen.
Die Karawane hatte sich in Ciudad de Huajuapan de León unter dem Applaus von Lehrer*innen der Brigade 22 der Volksvertretung der Völker Oaxacas APPO (Asamblea Popular de los Pueblos de Oaxaca) und zuvor noch mit Vertreter*innen der Presse gesprochen. Die Friedenskarawane hatte den Belagerungsring durchbrechen, Lebensmittel in die Gemeinde bringen und sich ein Bild von der Situation im Ort machen wollen. Vor dem Start der Karawane hatte der Leiter der UBISORT, Refino Juárez, offen gedroht, er könne für nichts garantieren, denn es würde niemand ins Dorf hineingelassen. In einer Presseerklärung der Organisatoren der Karawane vom 26. April heißt es jedoch, man werde sich davon nicht einschüchtern lassen. Die Behörden und Gouverneur Ulises Ruis werden des Weiteren aufgefordert, die Unversehrtheit der Menschenrechtsbeobachter*innen und den freien Zugang zum Dorf zu garantieren.
Die Eskalation ereignete sich kurz vor den am 2. Mai stattfindenden Gouverneurswahlen in Oaxaca. Die PRI regiert dort seit fast 80 Jahren ununterbrochen. Ulises Ruis befindet sich trotz eines Gerichtsurteils des Obersten Verfassungsgerichts, das ihn für schuldig erklärt, seinen Gouverneurspflichten nicht nachgekommen zu sein und eine Mitschuld am Tod von zwölf Lehrern zu tragen die während des Aufstandes in Oaxaca im Jahr 2006 umgekommen waren, noch an der Macht (vgl. poonal 868). In einer Erklärung der Bundesregierung von Oaxaca heißt es, man bedaure die Vorfälle, habe aber zu keinem Zeitpunkt offiziell Kenntnis von der Karawane, deren Zielen und Teilnehmenden gehabt. Javier Rueda, vom Amt für Öffentliche Sicherheit des Bundesstaates Oaxaca SSP (Secretaría de Seguridad Pública) erklärte gegenüber der Presse, das Nichtvorhandensein der Polizei in der Region sei nicht Vernachlässigung, sondern Strategie.
Erst im vergangenen März hatte das Europaparlament die Menschenrechtslage in Mexiko insgesamt kritisiert (vgl. poonal 887). Staatpräsident Calderón befindet sich am 2. und 3. Mai auf Staatsbesuch in Deutschland.
Friedenskarawane in Oaxaca von Paramilitärs beschossen: Mindestens zwei Tote von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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