(Chocó, 5. Dezember 2018, Colombia Informa).- Erster Teil der Reportage über die Guerilla ELN und das tiefe Innere Kolumbiens aus der Sicht von Journalist*innen. Sie reisten für Brasil de Fato, Peoples Dispatch, Marcha und Colombia Informa in die Wälder des Chocó und sprachen mit Männern und Frauen der Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejército de Liberación Nacional).
María. Den Namen habe ich mir ausgesucht. Ein bisschen Angst habe ich schon, dass ich am Ende diejenige sein werde, die ihn vergisst. Kurz nach der Landung in Cali wird dieser Name für die nächsten Tage meine neue Identität sein. Ich werde das Handy ausschalten und mich allein auf mein Gedächtnis und mein kleines Notizbuch verlassen müssen, um zu dokumentieren, was ich in den nächsten Tagen erleben werde. Auch die neuen Namen meiner Mitreisenden werde ich mir merken müssen. Ich betrachtete sie, während ich geradezu obsessiv die Decknamen im Geiste wiederhole. Schließlich will nicht ich diejenige sein, die den Plan zum Scheitern bringt.
Im Zick-Zack-Kurs zur ELN
Bei unserer Ankunft werden wir von einer freundlich lächelnden Frau empfangen. Sie und ihr Begleiter stellen sich vor. Ganz sicher ist sie ebenso wenig Yaneth wie ich Maria, aber das Lächeln und eine Umarmung schaffen Vertrauen, so als wäre sie eine Verwandte, vielleicht eine Tante. Die Gruppe macht sich in einem Lieferwagen auf den Weg durch die Straßen von Cali, durchquert mehrere Stadtviertel. Bei jedem erzählt Yaneth etwas über die regionalen Speisen und Getränke der Region. Die Zeit rast, und es bleibt nicht einmal Zeit für einen gemeinsamen Kaffee. Nach einer halben Stunde verabschieden sich Yaneth und der Fahrer und ein anderer Mann setzt sich ans Steuer. Die nächsten paar Stunden fahren wir kreuz und quer, bleiben unaufhörlich in Bewegung. Ich versuche nachzuvollziehen, wohin wir fahren, betrachte die Straßenschilder. Die Karte hatte ich bereits tags zuvor studiert. Ich wusste nur, dass wir Richtung Pazifik reisen würden. Nach einigen hundert Kilometern erreichen wir eine kleine Ortschaft, fahren hinein, passieren einige Häuserblocks. Ich bin froh, dass ich nicht gefrühstückt habe, von den vielen Kurven ist mir etwas schwindelig, und eine mehrstündige Bootsfahrt steht uns noch bevor. Eine junge Frau mit einer gepiercten Augenbraue scheint unsere Reiseleiterin zu sein. Sie fragt uns, ob wir Saft wollen oder Joghurt oder irgendetwas anderes zu essen. Nein danke, wir sind alle versorgt. Wir steigen in ein Boot mit Holzbänken. Wir sind zu viele und haben zu viel Gepäck. Viele Wasserflaschen in einer Tasche, etwas Obst und neue Menschen, die uns anlächeln. Selten habe ich mich so verloren und seltsamerweise auch so sicher gefühlt. Ich muss niemanden irgendetwas fragen, sondern einfach die Anweisungen befolgen und mich unterordnen.
Der Wind bläst mir kräftig ins Gesicht und verwuschelt mein Haar. Immer wenn das Boot auf dem Fluss San Juan Fahrt aufnimmt, ist es, als würden wir über eine unbefestigte Straße rumpeln. Die Luftfeuchtigkeit legt sich auf meine Haut, um uns herum dichte Vegetation. Der Fluss führt der Jahreszeit entsprechend sehr viel Wasser. An den Ufern und neben uns im Boot Schwarze und Indígenas. Weiße gibt es keine außer uns: Dass wir nicht von hier sind, ist uns von weitem anzusehen. Nun tauchen die ersten Pfahlhütten in der Uferlandschaft auf. Wir passieren Kanus und Boote, die von Kindern, Männern, Frauen und alten Menschen gesteuert werden. Viele haben einen Hund dabei. Ich schaffe es nicht, den Blick von dem abzuwenden, was um mich herum geschieht, bis das gleichmäßige Schwanken des Bootes mich in den Schlaf wiegt. Wir haben unser Ziel erreicht, das heißt, fast. Zusammen mit uns steigen noch weitere Personen aus dem Boot. Ein fast gespenstisch anmutendes Dorf empfängt uns. Da wir etwa zur Mittagszeit ankommen, vermute ich, dass die Bewohner*innen gerade beim Essen sind oder eine Siesta halten, um der großen Hitze zu entkommen.
Im Gebiet der Nationalen Befreiungsarmee ELN
“Welche Schuhgröße haben Sie?” Die Frage lässt mich vermuten, dass meine Turnschuhe für den weiteren Weg nicht ausreichen würden. Ich bekomme ein paar schwarze Stiefel mit hohem Schaft, wie sie bei der Landarbeit getragen werden. Ich denke: „Vielleicht gehen wir nun ein längeres Stück zu Fuß durch ein Flussbett“, aber im Gegenteil: Wir nehmen ein anderes Boot, ein kleineres diesmal, und stellen uns mit unseren neuen Namen einander vor. Ich versuche, meine aufsteigende Anspannung zu kontrollieren, indem ich mir die Umgebung ansehe. Auf einmal saust ein Motorboot durchs Bild, darin junge Leute in militärischer Kleidung, mit Gewehren und schwarzroten Armbinden mit dem weißen Schriftzug ELN darauf. Ich schaue zu Gustavo, zu Jorge und den anderen. Und wir beginnen zu lachen. Wir wussten es die ganze Zeit, hatten es uns aber bis zu diesem Moment nicht klargemacht: Wir befinden uns im Gebiet der Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejército de Liberación Nacional), der größten aktiven Guerilla in Lateinamerika. Gründungsjahr: 1964.
Ich frage einen der Reisebegleiter, ob wir uns noch im Cauca-Tal befinden. Er erwidert, nach der Strecke, die wir bereits zurückgelegt haben, müssten wir eigentlich schon im kolumbianischen Departement Chocó sein. Einige Kilometer weiter nördlich sei dann die Grenze zu Panama. Minuten später wird der Motor gedrosselt, und wir nähern uns einem Haus. Eine junge Indígena mit modischem Haarschnitt, uniformiert mit ELN-Armbinde und einem Gewehr in der Hand folgt uns mit den Augen. „Vor einigen Jahren wäre dieser Haarschnitt noch verboten gewesen”, lautet Santiagos amüsierter Kommentar. Wir springen aus dem Boot, erklimmen einen kleinen Lehmhügel und werden von einem älteren Ehepaar in ihr Haus gebeten. Die beiden leben hier mit ihrem kleinen Enkel und weiteren Mädchen und Jungen. Allgemeines Händeschütteln, freundliches Lächeln auf beiden Seiten und wieder zurück ins Boot. Dass wir immer wieder das Transportmittel wechseln, hat sicher einen Sinn. Ich vermute, es geht darum, uns zu verwirren, so dass wir später nicht mehr in der Lage sind, den Weg zurückzuverfolgen, den wir gekommen sind. Wir fahren ein kurzes Stück und erreichen unser nächstes Ziel: Hier empfängt uns ein hochgewachsener Mann in Uniform mit der schwarz-roten ELN-Armbinde. Er stellt sich uns als Comandante Uriel vor. Dutzende meist junge Männer und Frauen mit Gewehren kommen, um uns zu begrüßen und uns die Hand zu schütteln. Alle sagen: „Hallo Maria, angenehm.“ Ich merke, wie meine neue Identität Besitz von mir ergreift. Auf dem großen Balkon, der um das Haus herumführt, lege ich mich in eine Ecke und lächle in mich hinein, betrachte den Wald, der uns umgibt und denke an die Begegnungen der letzten Stunden, gespannt, was als nächstes passieren wird.
An der Westfront der ELN, Departement Chocó
Nach der Begrüßung bekommen wir eine Hafermilch serviert und man bietet uns an, uns herumzuführen. Plaudereien über die geladenen Gewehre hinweg – eine Situation, die sich in den nächsten Tagen noch oft wiederholen wird. Wieder stellen wir uns einander vor. Ich, Maria aus Brasilien, meine beiden argentinischen Begleiter und mehrere Guerilleros und Guerilleras aus allen Teilen Kolumbiens. Schwarze, Indígenas, Weiße, Leute aus der Gegend und aus anderen Teilen des Landes. Ich möchte gern mehr über die ELN erfahren und Interviews machen, sage ich, als ich an der Reihe bin. Nach der Vorstellungsrunde laden sie mich ein, mit Lucía zu sprechen, einer jungen hübschen Frau. Wenn sie spricht, hört man ihr an, dass sie aus der Stadt kommt. Offensichtlich hat sie sich entschieden, auf dem Land zu leben, als militante Guerillera. Wir beginnen ein Zweiergespräch, ohne Aufnahmegerät, nur meinen Notizblock habe ich dabei. Lucia erklärt mir, wo wir sind: An der Westfront „Omar Gómez“ der ELN.
Das Departement Chocó befindet sich im Westen Kolumbiens. Es ist der einzige Teil des Landes mit einer direkten Anbindung an das Karibische Meer des Atlantiks und an den Pazifik, wo der Fluss San Juan mündet. Es ist auch der ärmste Teil des Landes. Die etwa 500.000 Einwohner*innen haben überwiegend indigene und afrikanische Wurzeln. Nach Angaben des staatlichen Statistikamts DANE haben 82 Prozent der Einwohner*innen afrikanische Vorfahren. Nach einem Bericht der Behörde aus dem Jahr 2011 sind bei 79 Prozent der Menschen die Grundbedürfnisse nicht gedeckt. Der Landesdurchschnitt liegt bei knapp 28 Prozent. Der Elendsindex innerhalb der als arm eingestuften Bevölkerung liegt bei 32 Prozent. Der von der staatlichen Ombudsstelle erstellte Bericht mit dem Titel „Humanitäre Krise im Chocó” aus dem Jahr 2014 dokumentiert schwerwiegende Unterernährung bei Kindern, mangelnde medizinische Versorgung, unzureichende Bildungsangebote sowie Beeinträchtigungen des Ökosystems. Der Bericht zeigt außerdem, dass Kinder und Jugendliche, Frauen und alte Menschen, schwarze und indigene Gemeinden sowie Menschen in Haftanstalten besonders gefährdet sind. „Die Achtung der Menschenrechte ist im Chocó auch heute noch nur in sehr begrenztem Umfang gegeben”, heißt es im Bericht. Alles, was der Bericht dokumentiert, bestätigt sich, wenn man sich am Ufer des Flusses San Juan umsieht, und so schildert es auch Lucía in unserem Gespräch.
Armut durch Ausbeutung und Korruption
Dabei ist der Chocó eigentlich reich an natürlichen Ressourcen: Gold, Silber, Wald, Ölvorkommen, viele Flüsse und direkte Anbindungen an zwei Ozeane. Hier kommen die Interessen des Staates und der nationalen und transnationalen Konzerne ins Spiel. „Der Staat folgt den Interessen der transnationalen Unternehmen“, erklärt Lucía und zählt eine Reihe von Bergbau- und Infrastrukturprojekte auf, die in der Region geplant sind oder bereits umgesetzt wurden, so wie der neu ausgebaute Transportweg zwischen Kolumbien und Panama. Um die Interessen der Unternehmen zu wahren, wird die Bevölkerung immer wieder getäuscht und betrogen, damit sie sich aus ihren Gebieten zurückzieht. Oder, was noch schlimmer ist, die Menschen werden mit Gewalt von ihrem eigenen Land vertrieben. Neben dem kolumbianischen Militär erwähnt Lucía auch die Rolle der Paramilitärs, die ihr zufolge den Drogenhandel beherrschten und den Transport der Drogen durch die kolumbianische Pazifikregion Richtung Mittelamerika organisierten. Was die offizielle Politik in den Departements angehe, so sei es überall das gleiche: „Egal, um welche Partei es geht– einzig das Geld bestimmt die Richtung“, so Lucía und sie fügt hinzu: „Hier ist die Korruption so hoch wie nirgendwo sonst im Land.“ Das Sagen hätten hier ausschließlich die Konservativen, meint die Guerillera.
Und wie positioniert sich die ELN in diesem Kontext? Die Guerilla habe sich der Ausbreitung der Multis und der Ausbeutung der Bevölkerung und der Natur entgegengestellt und Widerstand geleistet, erzählt Lucía. Dies sei der kolumbianischen Regierung ein Dorn im Auge, und sie setze darauf, den Konflikt militärisch zu lösen. Die ELN sei in fast allen der 30 Landkreise im Chocó vertreten, so Lucia weiter. Neben ihrem Selbstverständnis als bewaffnete Einheit, konzentriere sich die Guerilla auf politische Bildungsarbeit und den Aufbau organisierter Strukturen in den Gemeinden. Außerdem gebe es Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Teilen der katholischen Kirche, die sich der Befreiungstheologie verbunden fühlen.
Finanziert werde die Guerilla-Aktivität durch die Erhebung von „Steuern auf wirtschaftliche Tätigkeiten, wie z.B. den Kauf und Transport von Holz, Bodenschätzen und Kokablättern. Aber wir besteuern nicht die Produzent*innen, das hat keinen Sinn“, so Lucía. Denn sie seien hier, um die Gemeinden zu schützen und gemeinsam mit ihnen zu agieren.
Medien im Kriegsgebiet
Innerhalb der Guerilla sind Fotos und Videos bis auf wenige Ausnahmen verboten. Bei Aufnahmen dürfen die Gesichter nicht zu erkennen sein. Von Besucher*innen erwartet man Respekt und Verständnis für die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen. Gustavo und Jorge, die die Fotos machen, halten sich an diese Vorschriften, und so entstehen Bilder von ihrem militärischen Training, von Formationen und Übungsgefechten.
Mitte 2017, beschloss die Westfront „Omar Gómez“ der ELN, sich besonders auf den Ausbau des strategischen Bereichs der Kommunikation zu konzentrieren. Es wurden Accounts in sozialen Netzwerken eröffnet und ein eigener Blog eingerichtet, über den die Einheit den direkten Dialog mit der kolumbianischen Bevölkerung und anderen Ländern aufnimmt. Seither posten sie Kommuniqués, Fotos von Aktivitäten in den Gemeinden und künstlerische Zeichnungen, die sich auf historische Ereignisse beziehen, Kampfansagen und Anklagen. Lucía erzählt, dass es eine bewusste Entscheidung war, einige Seiten personenbezogen zu gestalten, um klarzumachen, dass hinter der Guerilla authentische Personen stehen. Das erleichtere auch die Identifikation mit der ELN. Daher sieht man nun das Konterfei von Comandante Uriel in den Profilen von Twitter und Instagram, auf Vimeo und ihrem Blog (der mittlerweile entfernt wurde, Anm. d. R.) sowie auf der offiziellen ELN-Website. Es gab auch Versuche, bei Facebook und Youtube Informationen einzustellen, aber „nach fünf Minuten waren die Accounts wieder gelöscht, ohne Angabe von Gründen”, erzählt Lucía.
Zwar werden ihre Seiten nicht oft angeklickt, sind aber trotzdem eine Möglichkeit, mit der Bevölkerung in Verbindung zu treten, die sich in teils großer räumlicher Distanz zu den Camps der Guerilla befindet. Comandante Uriel kommuniziert daher per WhatsApp und E-mail mit allen, die mehr über diese ELN-Einheit wissen möchten. Über WhatsApp führt die Guerilla mit allen Interessierten einen Diskussions- und Bildungsaustausch, genannt Virtuelle Bildungs- und Arbeitsgemeinschaften. Es werden viele Texte und auch Bilder hin- und hergeschickt, und die Guerilla erwartet von ihren virtuellen Genoss*innen, dass sie Informationen und Bildcollagen weiterverbreiten und so mehr Unterstützung für die ELN in den sozialen Netzwerken gewinnen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Interessierten eingeladen werden, die ELN-Gebiete zu besuchen. Wie wir erfahren, sind nicht nur Kolumbianer*innen interessiert, sondern auch Menschen aus anderen Ländern. Eine größere Öffnung und Einladung an Journalist*innen im In- und Ausland hat bereits stattgefunden. In der letzten Zeit waren etwa 20 verschiedene Medien bei unterschiedlichen ELN-Kommandos zu Besuch. Nicht alle, die über die Guerilla berichten wollen, werden eingeladen. Die Interessierten müssen zunächst eine Dialogrunde durchlaufen, mittels derer die Guerilla die Absichten und die Ausrichtung der jeweiligen Medien einschätzen kann. Es ist notwendig, zumindest eine minimale Vertrauensbasis zu schaffen, auch um Fragen per Mail zu beantworten und Videos zu schicken. Auf die Frage, wie zufrieden sie mit der Darstellung der ELN in der Presse nach einem solchen Besuch sind, antworten sie, dass es insgesamt sehr ehrlich zugehe: Auch wenn die Journalist*innen die Arbeit der ELN nicht unterstützten, so werde sie auch nicht diffamiert. Es komme schon manchmal vor, „dass die Interviews manipuliert werden. Erklärungen werden gekürzt oder sie verändern den Sinn dessen, was gesagt wurde“, erzählt Lucía, aber das sei ein Risiko,das sie bereit seien einzugehen, wie so viele andere.
Ich frage, wie sie im Untergrund mit der digitalen Sicherheit umgehen. Comandante Uriel und Lucía sind diejenigen, die sich am meisten mit diesem Thema befassen: Mit den Kenntnissen, die sie sich selbst beigebracht haben und mit der Unterstützung von vertrauenswürdigen IT-Leuten versuchen sie, durch Verschlüsselung und über Satelliten-Internet eine sichere Kommunikation zu ermöglichen. Viele hier besitzen Handys, und ab und zu sieht man, wie sie damit ein Foto schießen oder auf den Bildschirm gucken. Der Kontakt zu den sozialen Netzwerken erfolge aber über andere Handys. Diese wiederum würden ständig ausgetauscht und auch nur zu bestimmten Gelegenheiten eingeschaltet. Wer einen Computer hat, arbeite so viel wie möglich offline und logge sich nur ein, um Texte abzuschicken und zu empfangen.
In manchen Gegenden, wo es Empfang per Satellit gibt, spielt das Fernsehen eine große Rolle. Gemeinsam mit der Familie, bei der wir untergebracht sind, sehen wir jeden Abend eine Nachrichtensendung im Fernsehen, die Neuigkeiten aus allen Teilen des Landes bringt, in etwa vergleichbar mit den „Tagesthemen“. Man kann grob sagen, dass sich von zehn Nachrichtenthemen etwa sieben auf die Guerilla und auf aktuelle Friedensgespräche mit der ELN oder auf die Abkommen mit der Ex-Guerilla FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) beziehen. Die FARC hat die Waffen niedergelegt und sich als Partei der Alternativen Revolutionären Kraft der Allgemeinheit (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común) unter der gleichen Abkürzung neu organisiert.
Die junge Guerilla
Ohne Uhr und mit ausgeschaltetem Handy vergeht während unserer Gespräche der Tag wie im Flug. Und während es langsam dunkel wird, gibt es auch schon Essen; Mittag- und Abendessen in einem: Huhn mit Reis, ein Hauptnahrungsmittel in dieser Gegend. Wenn es dunkel wird, ist der Tag vorbei, zumindest für uns. Die Nachtwache nimmt ihre Plätze ein, und im Schein der Taschenlampen nehmen junge Guerilleros ihre Rucksäcke und Gewehre, stellen Stühle zusammen und spülen das Geschirr am Ufer des Flusses.
Um zu der Stelle zu kommen, wo wir schlafen, fahren wir mit einem sehr schmalen Boot, das kaum zwei Menschen nebeneinander Platz bietet. Der kleine Motor macht fast keinen Lärm. In der nächtlichen Dunkelheit durch die Schlucht zum Boot zu gehen, ohne zu sprechen und auch im Boot weiter still zu sein, war für mich die bisher größte Herausforderung. Auf einmal, mitten auf dem Fluss, schaltet sich der Motor aus. Im schwachen Licht einer Laterne, um möglichst keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schauen die Guerilleros nach, was das Problem sein könnte. Mit jedem Schritt schwankt das Boot, intuitiv und ohne Worte gleichen wir das Gewicht zur entgegengesetzten Seite hin aus. Der Motorenlärm zerschneidet die Stille im feuchten Wald. Während der Fahrtwind mir erneut ins Gesicht bläst, bewundere ich den majestätischen Sternenhimmel und betrachte die Umrisse der Büsche und Bäume. Venus, ein Mischlingshund mit schlammverschmiertem Fell, leistet mir Gesellschaft. Ihr Lieblingsplatz ist ganz vorn im Kanu. Vielleicht genießt sie auch die frische nächtliche Brise.
Nun kommt auch mein Inneres wieder zur Ruhe, und ich entspanne mich, wie das nur jemand kann, der keine Ahnung hat, was es bedeutet, sich in einer Gegend des bewaffneten Konflikts aufzuhalten. Ich bin schon so sehr daran gewöhnt, mit jungen Menschen in Tarnuniform zu plaudern, die schwarz-rote Armbinden und ein Gewehr in der Hand tragen.
Reportage: Vivian Fernandes. Journalistin, Brasil de Fato.
*Fotos und Vídeos: Gustavo Roque und Jorge Dalton
Den zweiten Teil der Reportage findet ihr hier.
Eingetaucht in das Herz des kolumbianischen Widerstands: eine Begegnung mit der Guerilla von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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