(Cali, 19. März 2018, colombiaplural).- Mit unerschöpflicher Widerstandskraft, einer Zukunftsvision, die auf einem reichen kulturellen Erbe und einer nicht weniger als 65 Sprachen umfassenden Vielsprachigkeit basiert, haben die überlebenden 102 indigenen Völker Kolumbiens im Jahr 2003 mit der gigantischen Aufgabe begonnen, ihre eigene Kommunikationspolitik zu begründen. Mittlerweise haben sie ihre Hausaufgaben gemacht: In Kolumbien existiert bereits ein konkretes kommunikationspolitisches Konzept von und für Indígenas. Das letzte Wort hat nun die Regierungspolitik.
Der Traum, den Angehörigen der indigenen Kulturen die Türen zum “Universum des öffentlichen Lebens” zu öffnen, wie es Jeremías Tunubalá, Wortführer des Volkes der Guambianos im März 2004 in Silvia, Cauca, ausgedrückt hatte, könnte dieses Jahr Wirklichkeit werden – falls die Regierung von Juan Manuel Santos mitspielt.
Indigene fordern eigene Medien
Um ihren ehrgeizigen Plan, das „Wort zu dekolonisieren”, in die Praxis umzusetzen, mussten die indigenen Völker ihre Idee in den 96 Abkommen des Nationalen Entwicklungsplans 2010-2014 unterbringen und beim MPC (Mesa Permanente de Concertación), dem Ständigen Runden Tisch zum Dialog indigener Bevölkerungsgruppen und Organisationen mit der Regierung vorlegen, wo im Dezember 2017 endlich ein Vorschlag zur Kommunikationspolitik indigener Völker in Kolumbien (Política Pública de Comunicación de y para los Pueblos Indígenas de Colombia) formuliert wurde.
Nach Ansicht der Indígenas sind die vom Staat zugeteilten Kommunikationsmedien (vor allem die Radiosender) von schlechter technischer Qualität, haben eine geringe lokale Reichweite und hohe Betriebskosten; daher fordern sie ein gesondertes Gesetz, das es ihnen ermöglicht, ihre Sprache, ihre Identität und ihre gesellschaftliche, politisch und kulturelle Organisierung zu fördern.
“Zur Stärkung der indigenen Kommunikationspolitik gehört auch die Forderung nach einer aktiven Entschädigung für den bisherigen Linguizid und Ethnozid” heißt es weiter in dem Dokument. Da „das eigentliche Problem die gesendeten Inhalte“ der traditionellen Medien betreffe, die über eine einseitige schwarzweiß-Darstellung nicht hinausgingen, sei ein gleichberechtigter Zugang zu den Medien “nicht-indigenen Ursprungs” (Radio, Fernsehen, Internet, Presse, Fotografie, Kino, Literatur) der Traum der indigenen Völker; zur Bildung einer eigenen Informationsagenda, jedoch auf der Grundlage ihrer eigenen Sprache, ihrer Sitten und Gebräuche und ihrer Vorstellung von der Entstehung der Welt.
Die indigene Kommunikation ist ein lebendiges Geflecht, immer in Bewegung. Die Einheit von Zeit und Raum lebt im Wort, das lehrt, lernt und erzählt. Sie ist ein kollektiver spiritueller und sozialer Prozess, der die Harmonie zwischen dem Leben und der Natur erhält
„Die indigene Kommunikation ist ein lebendiges Geflecht, immer in Bewegung. Die Einheit von Zeit und Raum lebt im Wort, das lehrt, lernt und erzählt. Sie ist ein kollektiver spiritueller und sozialer Prozess, der die Harmonie zwischen dem Leben und der Natur erhält”, so der Text, der aus dem II. Kontinentalen Kogress zur Indigenen Kommunikation 2014 hervorgegangen ist. Von der Begründung einer eigenen Kommunikationspolitik erhoffen sich die indigenen Völker außerdem den verbindlichen Schutz ihres traditionellen Wissens und ihres kollektiven intellektuellen Eigentums.
Medien bedienten sich „aus unehrenhaften Motiven“
Da sie es leid waren, zuzusehen, wie traditionellen Medien sich ihrer Musik, ihrer Tänze, ihrer Überlieferungen und der indigenen Kultur im allgemeinen “aus unehrenhaften Motiven” bedienten, versuchen die indigenen Völker nun, dieses Modell zu unterwandern, wobei der Schutz, die Verbreitung und die Würdigung der Kreativität, Ritualität und der Weitergabe von Wissen im Vordergrund stehen.
Sollte das im Jahr 2018 gelingen, hätten das indigene Kolumbien, die Kommunikationspolitik und der Journalismus einen enormen Sieg errungen. Für die traditionellen Medien hingegen wäre es ein ernüchternder, aber notweniger Ruf nach Vielfalt und verbesserter Qualität. Auch wenn für die kolumbianischen Indígenas nicht alles vielversprechend aussieht.
Angriffe auf indigene Medien und Journalist*innen
Bei den Feierlichkeiten zum Tag der Journalist*innen am 9. Februar brachte die Stiftung für Pressefreiheit FLIP (Fundación para la Libertad de Prensa) den Bericht “Eine gewaltgeprägte Situation” (Un Estado Depredador) heraus, der sich mit dem Zustand der Pressefreiheit im vergangenen Jahr befasst und die gewalttätige Beschneidung der Presse- und Meinungsfreiheit dokumentiert, unter denen indigene Medien zu leiden haben.
Laut der Flip waren die gewalttätigsten Gegner der indigenen Medien und Journalist*innen im vergangenen Jahr die Polizist*innen der Spezialeinheit zur Bekämpfung von Unruhen Esmad (Escuadrón Móvil Antidisturbios) und das Ministerium für Informationstechnologie (MinTic). Letzteres hatte paradoxerweise am Aufbau der Kommunikationspolitik mitgearbeitet, behindert die kommunalen Sendestationen aber nun mit verwaltungstechnischen Barrieren.
Repression statt Meinungsfreiheit im Cauca
Dazu kommt, dass die Provinz Cauca laut FLIP zu den Provinzen gehört, in denen das Recht auf freie Meinungsäußerung besonders stark missachtet wird. Der indigene Anteil der Bevölkerung ist hier mit 190.000 Menschen am höchsten; in 26 von 39 Landkreisen gibt es indigene Gemeinden, und insgesamt sind acht offiziell anerkannte Ethnien hier vertreten: Paez, Totoró, Guambiano, Yanakona, Kokonuco, Inga, Pubenense und Eperara Siapidara.
Die Ermordung von María Efigenia Vásquez Astudillo bei einer Demonstration am 8. Oktober 2017 in Puracé, Cauca, zeigt die Gewaltbereitschaft des Esmad, der ausgesandt worden war, um die Proteste brutal niederzuschlagen. Vásquez Astudillo war als Journalistin für den Sender Renacer Kokonuco (HJZ87 90.7 FM und Tunei.com) tätig.
Das Sonderreferat für das Recht auf freie Meinungsäußerung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte CIDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) brachte in einer Presseerklärung seine “tiefe Besorgnis angesichts der Ermordung von Vásquez Astudillo zum Ausdruck und forderte die kolumbianische Regierung auf, das Verbrechen “zügig und mit der gebotenen Sorgfalt“ aufzuklären.
“Im Kontext von Demonstrationen und sozialen Konflikten (…) ist besonders auf die Sicherheit der Journalist*innen zu achten, damit diese ihrer Aufgabe [nämlich der Weitergabe von Informationen an die Öffentlichkeit] nachgehen können“, wies der CIDH die Regierung an.
Repression von Polizei und Ministerium
Wie der Bericht zeigt, gab es schon vor der Ermordung Efigenias gewalttätige Angriffe auf ihren Sender: Einmal hatten Esmad-Kräfte das Gebäude mit Steinen beworfen, und bei einer anderen Gelegenheit stellten die Polizisten für mehrere Stunden den Strom ab, um die Berichterstattung über die Gemeindeproteste zu verhindern: Die Bevölkerung hatte für den Verbleib eines Grundstücks in kollektivem Besitz gestritten, das mittlerweile der Zuckerindustrie zugesprochen wurde.
Eine weitere massive Aggression gegenüber den indigenen Sendeanstalten in Cauca geht laut FLIP vom MinTic aus, das durch verwaltungstechnische Blockaden wie das Verbot von Netzwerkübertragungen und ökonomische Beschränkungen bereits sieben der elf indigenen Sendestationen der Provinz an den Rand des Ruins gebracht hat.
Diese als kommunitäre Radios eingestuften Sendeanstalten sind überfordert mit den Schulden, die für die Lizenzen zur Nutzung der Radiowellen zustande gekommen sind, was zur Pfändung der Bankguthaben von drei rechtlichen Vertreter*innen der Sendestationen durch das MinTic geführt hat. Daher fordern die Indígenas den Erlass der Schulden, die durch die Nutzung der Radiowellen und durch die Zahlungen für die Rechte an die Verwertungsgesellschaft Sayco-Acinpro zustande gekommen sind.
In Kolumbien ist es von fundamentaler Bedeutung, den indigenen Völkern das Wort zu erteilen, in ihrer eigenen oder in der spanischen Sprache. Sie werden nicht nur über “Indigena-Angelegenheiten” berichten sondern über das gesamte Land.
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