Anton De Kom. Schriftsteller, Agitator und Freiheitskämpfer

Antikoloniale Literatur
Die Statue von Anton de Kom am Anton de Komplein in Amsterdam Zuidoost
Foto: Ceescamel via wikimedia
CC BY-SA 4.0 Deed

(Berlin, 4. April 2024, reparaciónafricana).- Warum ist es so wichtig, die Erinnerung an unsere afrikanischen Ursprünge zu erhalten? Welche Bedeutung haben diese Narrative für Menschen afrikanischer Abstammung heute? Will man verstehen, wie unsere Gesellschaft funktioniert und wie sie von der Vergangenheit geprägt ist, muss die Geschichte der transatlantischen Sklaverei betrachtet werden. Vor einigen Jahren besuchte ich die niederländische Stadt Amsterdam und den Stadtteil Zuidoost, das so genannte surinamische Viertel. Nur wenige Meter vom Marktplatz entfernt steht dort eine Statue, die an Anton de Kom erinnert. De Kom, Schriftsteller und Nationalheld mit afrikanischen Wurzeln, gilt als Begründer der panafrikanistischen Bewegung in Surinam; sein Werk „Wir Sklaven von Suriname“ zählt zu den Klassikern der antikolonialen Literatur der Karibik und der Westindischen Inseln und steht in einer Reihe mit: „Die schwarzen Jakobiner“ (1938) von C.R.L. James, „Kapitalismus und Sklaverei“ (1944, dt. Fassung erscheint Ende 2024) von Eric Williams, „Über den Kolonialismus“ (1951/2) von Aimé Cesaire und „Die Verdammten der Erde“ (1961, dt. 1969) von Frantz Fanon. De Koms Buch wurde ursprünglich 1934 auf Niederländisch veröffentlicht; 1981, lange nach de Koms Tod, erschien eine spanische Fassung in Havanna/Kuba, die deutsche Fassung wurde 2021 vom Transit Buchverlag herausgegeben.

Anton de Kom starb am 24. April 1945 im so genannten Stalag X-B, einem Kriegsgefangenenlager in der Nähe von Sandbostel nordöstlich von Bremen. Cornelis Gerard Anton de Kom wurde am 22. Februar 1898 in Paramaribo, der Hauptstadt des ehemaligen Niederländisch-Guayana, heute Surinam, geboren. Sein Vater kam 1862 als Sklave zur Welt und arbeitete in den Goldminen, seine Mutter wuchs als Kind ehemaliger Sklaven auf, die sich hatten freikaufen können. Nach erfolgreicher Absolvierung der St. Paulusschool erwarb er ein Diplom als Finanzbuchhalter. Schon damals beherrschte er mehrere Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, Sranantongo und Papiamentu.

Cimarronaje. Schwarzes Bewusstsein und die Selbstbefreiung aus der Sklaverei

Zwischen 1916 und 1920 arbeitete De Kom als Büroangestellter in Balata in der Kautschuk-Produktion. Das Leid und die Armut der Einwohner*innen beeindruckten ihn tief. 1920 reiste De Kom in die Niederlande, wo seinerzeit kaum Schwarze Menschen lebten. Trotz großer Schwierigkeiten gelang es ihm, immer wieder Arbeit als Hilfsbuchhalter zu finden. Kom leistete den freiwilligen Militärdienst ab und heiratete 1926 die weiße Niederländerin Petronella Catherina Borsboom. Das Paar bekam vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter.

Durch das Leben in den Niederlanden wurden ihm die Unterdrückung und die elende Lage seines Volkes umso bewusster. Allzu offensichtlich war der scharfe Kontrast zwischen der Armut seines Landes und dem Reichtum der Menschen in Europa. De Kom informierte sich so gut es ging über die Ereignisse und Entwicklungen in Surinam. Seine Liebe zu Freiheit und Gerechtigkeit veranlassten ihn, sich immer mehr mit politischen Themen zu beschäftigen, was damals für Menschen aus Surinam und Schwarze Menschen überhaupt eine große Gefahr darstellte. Im Jahr 1931 wurde De Kom entlassen mit der Begründung: „Umorganisation des Unternehmens und zu großes Interesse an der Politik“. De Kom schrieb für die Zeitschrift Links Richten, ein Forum für progressive Schriftsteller und Dichter. Er verbrachte viele Stunden seiner Freizeit in der Königlichen Bibliothek und arbeitete intensiv an seinem ersten Buch „Wir Sklaven von Suriname“, einer eindrucksvollen Anklage gegen die koloniale Ausbeutung und eins der besten Werke unserer Literatur. Während seiner Zeit in den Niederlanden überlegte De Kom, wie er seinem Volk helfen könnte. Er wollte Unstimmigkeiten ausräumen und die Idee der Solidarität und die Bedeutung der Organisierung vermitteln, beides betrachtete er als wesentliche Voraussetzungen für das Vorankommen seinem Volk. Er wollte, dass sich die Söhne und Töchter Surinams im Kampf für ein würdiges Leben zusammenschließen.

Kämpfe gegen Rassismus

Eine schwere Erkrankung seiner Mutter zwingt De Kom 1932, unerwartet nach Surinam zurückkehren; als er am 4. Januar 1933 in Surinam ankommt, ist sie bereits tot. Die sozial und wirtschaftlich desolate Situation zwingt die Menschen in ein grausames und entwürdigendes Leben. Die Hauptstadt Paramaribo ist eine Ansammlung von Hütten und schlechten Straßen, ein Abwassersystem gibt es nicht. Das Leben auf dem Land ist die Hölle: Die medizinische Situation ist erschreckend, die Bevölkerung lebt in extremer Armut, oft reicht das Geld nicht einmal, um ein einfaches Medikament zu bezahlen. Der Wochenlohn auf den Plantagen beträgt 4,80 Gulden für Männer und 3,60 Gulden für Frauen, in schweren Zeiten 1,80 Gulden bzw. 1,20 Gulden. Bildungsmöglichkeiten bestehen weder auf dem Land noch in der Stadt. Die Behausungen der nicht-weißen Menschen haben nicht einmal einen Fußboden, dennoch müssen Abgaben dafür gezahlt werden. Die Angestellten der Finanzämter sind unerbittlich. Von Soldaten begleitet, treiben sie die Pacht ein und entledigen die Menschen ihrer letzten Lebensmittelvorräte. Die Transportwege, die die Menschen nutzen, um ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse an den Mann zu bringen, sind in einem schlechten Zustand und gefährlich. Die koloniale Elite, die Plantagenmanager und hohen Beamten aus Europa hingegen leben im Überfluss. Hier und da gibt es Widerstand gegen diese Ungerechtigkeit, in Paramaribo und auf vielen Plantagen brechen Hungerrevolten aus, die von der Polizei und dem Militär stets mit brutalsten Mitteln niedergeschlagen werden. Diese bittere Realität findet De Kom bei seiner Rückkehr vor. Als er das Schiff verlässt, wird er mit großem Applaus begrüßt. Hunderte von Sympathisanten haben sich am Kai versammelt, um ihn willkommen zu heißen.

Kommunistischer Aufwiegler

Die Kolonialbehörden reagieren panisch: Da kommt ein Surinamer auf die Idee, die verschiedenen Ethnien des Landes zu konsolidieren, um als solides Bündnis für die Befreiung des Landes zu kämpfen. Es geht das Gerücht, De Kom sei ein „kommunistischer Aufwiegler“. Tag und Nacht wird De Kom observiert, die Zeitung „Der Surinamer“ schreibt 1933:

 „Wo immer er auch hinging, anhielt oder angetroffen wurde, waren ihm die Ermittler auf den Fersen. Die Polizeibeamten Baal, Leeuwin und Kolf wurden vom Dienst freigestellt und ausschließlich für De Koms Observierung rekrutiert. Diese Maßnahme erntete breite Kritik.“

De Kom war täglich von Hunderten von Menschen umgeben, darunter auch Menschen aus Indonesien, Java und Indien. In allen Teilen der unterdrückten Bevölkerung bestand ein großes Bedürfnis, gehört zu werden. In De Kom fanden sie eine Person, die ihnen Aufmerksamkeit schenkte und ernsthaft bereit war, mit aller Kraft für die Interessen des surinamischen Volkes zu kämpfen. De Kom beschloss, eine Rechtsberatung einzurichten, wo seine Landsleute ihre Sorgen berichten und Hilfe erhalten konnten. Innerhalb weniger Tage kam etwa 1500 Menschen. Die Beratung fand im Schatten eines Laubbaums im Garten der Familie statt. Jeden Tag kamen weitere Hunderte. De Kom nahm ihre Beschwerden auf und überlegte, wie er ihnen am besten helfen konnte. Die Polizei ließ ihn auch abends nicht in Ruhe, die Ermittler klopften an sein Fenster, um zu sehen, ob er zu Hause war; wo immer er vor Publikum sprechen sollte, wurden Beamte postiert, die ihn am Sprechen hindern sollten. Nach mehreren Ausschreitungen und Störaktionen wurde De Kom ohne konkrete Beweise verhaftet, was eine Welle der Empörung in der Bevölkerung auslöste. Javanische und indonesische Bauern strömten in großen Gruppen in die Stadt, um sich den Protesten anzuschließen, ihre Solidarität zu bekunden und die Forderung nach De Koms Freilassung zu unterstützen.

Ein Volk ohne Kenntnis seiner Vergangenheit, Herkunft und Kultur ist wie ein Baum ohne Wurzeln(Marcus Garvey)

Der Geist von Marcus Garvey und der UNIA-ACL reichte bis in die Karibik. Es kam zu Unruhen, Schießereien, Hetzjagden, es gab Tote, Verwundete und Verhaftungen. Auch De Kom wurde ins Gefängnis gesteckt und erst am 10. Mai 1933 wieder freigelassen. Man verbrachte ihn unverzüglich auf ein Schiff, das ihn zurück in die Niederlande bringen sollte. Offiziell war er nicht verurteilt oder bestraft, ja nicht einmal angeklagt worden, dennoch deportierte man ihn aus seinem Heimatland. Zurück in den Niederlanden beendete De Kom sein Werk „Wir Sklaven von Surinam“ und verarbeitete darin die Erfahrungen aus seiner Zeit in Surinam. 1934 fand er einen Verleger für sein Werk, musste jedoch aufgrund einer polizeilichen Verfügung die dem Buch beigefügten Auszüge weglassen. Im Zuge der Beschlagnahmungsaktionen in seinem Heimatland waren Teile seiner Notizen verloren, nicht aber das Manuskript, das sich in den Niederlanden befand. Vergeblich gruben die Ermittler seinen Garten auf der Suche nach den Dokumenten um. Auch in den Niederlanden setzte De Kom sich für sein Volk ein, agitierte gegen Rassismus und koloniale Unterdrückung und machte in Artikeln, Aufsätzen, Vorträgen und Reden auf die Lebensbedingungen der Menschen in Surinam aufmerksam.

Tod in Nazi-Deutschland

Während der nationalsozialistischen Besetzung der Niederlande schrieb De Kom weiter Artikel für die Presseorgane im Widerstand. Am 7. August 1944 wurde er von deutschen Nazis verhaftet und in verschiedene Konzentrationslager gebracht. Am 24. April 1945 starb Anton De Kom in einem Kriegsgefangenenlager bei Bremen. Seine Leiche wurde in einem Massengrab in Sandbostel gefunden. In den 1960er Jahren, zur Zeit der Black-Power-Bewegung, wurden seine sterblichen Überreste von Sandbostel in die Niederlande überführt, wo sie in einem zu seinen Ehren angelegten Grab auf dem Friedhof von Loenen am Fluss Veluwe beigesetzt wurden. Heute ist die Universität von Paramaribo nach ihm benannt. Das Land verehrt De Kom offiziell als Nationalheld und als einen der verlorenen Söhne Surinams, der gegen Rassismus, gegen Armut, Unterdrückung und Ausbeutung gekämpft und sich für die am stärksten benachteiligten Menschen seines Landes eingesetzt hat.

„Wir Sklaven von Surinam“

Das Buch enthält die Schilderungen prägender Ereignisse, beginnend mit den Anfängen allen Übels, der so genannten „Entdeckung“: Bei ihrem Eintreffen finden die weißen Eroberer ein wunderschönes Land vor, das von seinen Bewohner*innen „Sranang“ genannt wird. Es folgen koloniale Auseinandersetzungen, der Beginn der Sklaverei und des Widerstands. Einige der heldenhaften Cimarrones sind Baron, Joli Couer, Bonni.

Für die heutige Generation hat das Buch nichts von seinem Wert verloren. Die Befassung mit der Geschichte der Sklaverei aus einem afrobasierten und panafrikanischen Blickwinkel mit dem Fokus auf die eigenen Protagonisten verändert die Perspektive und damit das gesamte Narrativ. Es ist wichtig, dass wir unsere eigene Geschichte anhand unserer eigenen Quellen verstehen und begreifen, wie das derzeitige herrschende System funktioniert und wie wir mit dem umgehen, was uns hinterlassen wurde. Unverzichtbare Lektüre.

 

CC BY-SA 4.0 Anton De Kom. Schriftsteller, Agitator und Freiheitskämpfer von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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