(Oaxaca, 27. März 2023, taz).- 87 Tote an einem Wochenende, darunter Straßenhändler*innen, Busfahrgäste und weitere Menschen, die durch willkürlich abgefeuerte Kugeln starben. Es waren El Salvadors blutigste Tage seit Langem. Genau vor einem Jahr, zwischen dem 25. und dem 27. März 2022, traten kriminelle Banden des mittelamerikanischen Landes mit diesem Massaker wieder offensiv auf, nachdem zuvor auffällig wenig von ihnen zu hören war. Präsident Nayib Bukele reagierte schnell und setzte die Zustimmung des Abgeordnetenhauses für den Ausnahmezustand durch. „Wir sind mit Ihnen, zählen Sie auf uns“, erklärte Parlamentspräsident Ernesto Castro. 67 der 84 Abgeordneten stimmten zu. Obwohl zunächst auf 30 Tage befristet, ist der Ausnahmezustand bis heute gültig. Monat für Monat wurde er vom Parlament verlängert, das von Bukeles Partei Nuevas Ideas dominiert wird. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf geschützte Kommunikation sind seither ausgesetzt. Sicherheitskräfte können Menschen ohne Begründung festnehmen und ohne richterliche Anweisung inhaftieren. Über 65.000 Mitglieder der Banden Barrio 18 und Mara Salvatrucha 13 (MS13) wurden seither festgenommen. Etwa 3.000 Gefangene seien wieder freigelassen worden, sagt Bukele.
Allein in den ersten 7 Monaten starben 90 Menschen in Haft
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht von „willkürlichen Festnahmen, erzwungenem Verschwindenlassen sowie Folter und Misshandlungen im Gefängnis“. Dabei handele es sich nicht um Einzelfälle. „Sowohl Soldaten als auch Polizisten verübten über Monate hinweg wiederholt ähnliche Übergriffe im ganzen Land“, so HRW. Allein bis November 2022 seien 90 Menschen in Haft gestorben. Bukele, der vor allem über Twitter kommuniziert, kratzt die Kritik nicht. Er schüttet vielmehr noch Öl ins Feuer. „Soll die böse Diktatur den Gefangenen einen Smoking geben?“, erklärte er zu Vorwürfen über die Behandlung der Häftlinge. Und: „Jetzt gleich ziehen wir Geld vom Haushalt für Kinderkrankenhäusern ab, um ihnen Schuhe zu kaufen.“ Internationale Kritiker*innen seien „Partner der Banden“. Immer wieder verbreitet er Fotos, auf denen die Demütigung zur Schau gestellt wird: aneinandergedrückte tätowierte Körper in weißen Unterhosen auf dem Boden kniend oder wie Vieh durch vergitterte Gänge getrieben. Auch als Bukele vor zwei Wochen das Hochsicherheitsgefängnis Cecot eröffnete, in dem 40.000 mutmaßliche Maras einsitzen sollen, machten solche Aufnahmen die Runde. Per Twitter verschickte er ein Video, das die erniedrigenden Bilder mit dramatischer Musik inszeniert. „Sie werden das Licht der Sonne nicht mehr sehen“, so Bukele.
Repressiver Präsident inszeniert sich als cooler Typ
Das repressive Vorgehen des 41-Jährigen, der sich gerne im lockeren Outfit und mit Basecap als coolen Typen zeigt, kommt an. Zwischen 80 und 90 Prozent der Bevölkerung stehen Umfragen zufolge hinter ihm, 70 Prozent befürworten seine Wiederwahl 2024, obwohl die Verfassung das nicht vorsieht. Dass die Partei Nuevas Ideas durch ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament unabhängige Institutionen geschwächt und die Richter der Verfassungskammer des Obersten Gerichts ausgetauscht hat, schadet der Zustimmung nicht, und das ist kaum verwunderlich: Jahrelang haben Barrio 18 und Mara Salvatrucha 13 die Menschen terrorisiert. Sie mordeten, kassierten Schutzgeld und verkauften Drogen. Nicht wenige Väter flüchteten mit ihren Söhnen Richtung USA, um zu verhindern, dass diese von den Banden rekrutiert oder getötet werden. Bukeles „Politik der harten Hand“ konnte der Macht der Kriminellen Grenzen setzen. Lange Zeit galt El Salvador als eines der gefährlichsten Länder weltweit. 2015 wurden im Jahresschnitt 103 Menschen pro 100.000 Einwohner ermordet. Heute sind es noch 7,8. Zum Vergleich: In Mexiko sind es 12, in Deutschland lag die Zahl 2021 bei 0,3. Immer wieder verkündet Bukele auf Twitter stolz Tage, an denen niemand eines gewaltsamen Todes starb.
Die Mordraten gingen drastisch zurück
Bereits 2019, dem ersten Jahr seiner Amtszeit, gingen die Mordraten in dem 6,3-Millionen-Einwohner-Land deutlich zurück. Wie das salvadorianische Portal El Faro aufdeckte, beruhte das auf einem Abkommen zwischen Bukele und den Banden: Die „Pandillas“ verzichteten auf Gewalt, dafür wurden Haftbedingungen verbessert, Inhaftierte freigelassen und die Polizeipräsenz in den Barrios verringert. Doch im März 2022 war damit Schluss. Die Banden beklagten, dass Mitglieder wider die Absprachen verhaftet worden seien. Seither setzt Bukele auf „Krieg gegen die Terroristen“. Kritiker*innen bezweifeln einen langfristigen Erfolg der Repression. Denn Gefängnisse seien immer wichtige Rekrutierungsorte für die Gangs gewesen. El Faro sieht in den Banden den ungeschminkten Ausdruck einer zerstörten Gesellschaft, die von fehlender Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit geprägt sei. Daran habe sich unter Bukele nichts geändert. „Die Demokratie war für die arme Bevölkerung El Salvadors über Jahrzehnte hinweg, wenn überhaupt, etwas Abstraktes“, erklärte das Blatt, „die Banden dagegen waren jeden Tag in erdrückender Weise präsent.“
Kein „Smoking“ für Gefangene – Bukeles harte Hand von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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