
Pepe Mujica und Lucia Topolansky
Foto: Casa Rosada via wikimedia
CC BY 2.5 AR
(Bonn, Februar 2024, ila).- Vor 40 Jahren endete in Uruguay die zivil-militärische Diktatur. Von einer umfassenden Aufarbeitung der verübten Verbrechen kann jedoch bis heute keine Rede sein. Das ist auch das Ergebnis einer Mauer des Schweigens seitens des Militärapparats, die bis heute besteht. Gleichzeitig kritisieren die Militärs alle juristischen Versuche, schwere Menschenrechtsverbrechen zu ahnden, als politisch motivierte Rache der Linken. Unterstützung erhalten sie dabei ausgerechnet von prominenten Mitgliedern der ehemaligen Guerillaorganisation „Movimiento de Liberación Nacional-Tupamaros“(MLN-T).
Prominente Tupamaros diskreditieren die Aufklärung der Verbrechen der uruguayischen Diktatur
Sie sind ohne Zweifel das bekannteste Politpaar Uruguays, waren Mitglieder der MLN-T und über zwölf Jahre lang politische Gefangene, trugen in den 1980er-Jahren maßgeblich zur Transformation der Guerilla in eine politische Partei bei und wurden später in höchste Staatsämter gewählt. Er war zwischen 2010 und 2015 Präsident, sie von 2017 bis 2020 Vizepräsidentin. Die Rede ist von José „Pepe“ Mujica und Lucía Topolansky. Während Topolansky außerhalb der Region den Wenigsten bekannt sein dürfte, genießt Mujica seit Jahrzehnten auch innerhalb der internationalen Linken hohe Popularität. In zahlreichen Artikeln, Büchern und Filmen wurde nicht nur sein beeindruckender Lebensweg festgehalten, sondern auch das Bild einer bescheidenen, unbeugsamen und der Menschlichkeit verpflichteten Person gezeichnet, ein Idol für alle, die für eine gerechtere Welt eintreten. Ausgeblendet wurde dabei, dass er bei vielen Verfolgten der Diktatur mittlerweile als „persona non grata“ gilt, da er und Topolansky im Zweifel den Täter*innen näherstünden als den Opfern. Eine Einschätzung, die sich im Dezember 2024 einmal mehr bestätigte.
Skandal nach Buchveröffentlichung
Selten dürfte eine Buchveröffentlichung in Uruguay höhere Wellen geschlagen haben als „Los Indomables“ (Die Unbeugsamen) im Dezember. Das Buch basiert auf Interviews, die der uruguayische Journalist Pablo Cohen mit Mujica und Topolansky geführt hatte. Darin stellt Topolansky die bisherige Aufarbeitung der Diktaturverbrechen infrage. Sie wisse, dass Zeug*innen vor Gericht vorsätzlich falsche Anschuldigungen erhoben hätten, um eine Verurteilung von Militärangehörigen zu erwirken. Mujica bestätigte diesen Vorwurf gegenüber der Presse. Beide verzichteten jedoch darauf, konkrete Prozesse zu benennen, in denen dies der Fall gewesen sein soll. Damit traten sie eine Debatte über die generelle Rechtmäßigkeit der Verurteilungen los, die bislang lediglich erfolglos von der extremen Rechten eingefordert worden war.
Eine der ersten Reaktionen auf die Veröffentlichung kam von Seiten des Sonderstaatsanwalts Ricardo Perciballe, der für die Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen zuständig ist. Er wies die Aussagen kategorisch zurück: „Die Staatsanwaltschaft bleibt bei ihrer absoluten Überzeugung, dass die Opfer die Wahrheit gesagt haben. Ebenso, dass es keine Verschwörung gibt, um irgendjemandem zu schaden, am allerwenigsten einer unschuldigen Person.“ Sichtlich genervt erklärte er, dass solche Anschuldigungen nicht über eine Buchveröffentlichung erhoben werden sollten, sondern gegenüber der Staatsanwaltschaft. Allein sie sei dafür zuständig, die Glaubwürdigkeit zu überprüfen und entsprechend zu handeln. Entsprechend werde Topolansky in naher Zukunft zu einer Zeugenaussage vorgeladen.
Zustimmung, Schadensbegrenzung und Empörung
Ob die Aussagen von Mujica und Topolansky juristische Relevanz besitzen, bleibt abzuwarten. Der politische Schaden in Bezug auf die notwendige Aufarbeitung der Diktaturverbrechen ist hingegen bereits unübersehbar. Für General a. D. Guido Manini, Vorsitzender der rechtsextremen und eng mit dem Militärapparat verbandelten Partei Cabildo Abierto, sind die Aussagen ein Beleg dafür, dass „die Gerechtigkeit aufgehört hat, Gerechtigkeit zu sein, und zur Rache geworden ist“. Auch aus dem Militärapparat gab es Zustimmung für Mujica und Topolansky. So verkündete Emilio Mikolic, Anwalt des Instituts „Centro Militar“, Verurteilungen von Ex-Militärs, die an Menschenrechtsverbrechen beteiligt waren, juristisch zu überprüfen: „Fast alle Strafverfolgungen und Verurteilungen erfolgten auf der Grundlage von Zeugenaussagen.“
Widerspruch kam aus den Reihen des Linksbündnisses Frente Amplio, das nicht nur dem Justizsystem demonstrativ den Rücken stärkte, sondern auch sein Versprechen erneuerte, die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen weiter voranzutreiben. Auf eine offene politische Konfrontation mit Mujica und Topolansky wurde hingegen verzichtet, wohl nicht zuletzt, weil der künftige Präsident, Yamandú Orsi, gemeinhin als politischer Ziehsohn Mujicas gilt. Stattdessen wurde versucht, die Aussagen zu relativieren, um den Schaden zu begrenzen. Alejandro Sánchez, designierter Leiter des Präsidialamtes, erklärte, die Aussagen seien zwar „unglücklich“ gewesen, da sie die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen delegitimieren könnten. Er schloss aber dezidiert aus, dass dies absichtlich geschehen sei. Diese Sichtweise teilen viele Diktaturopfer nicht und verweisen auf eine politische Kontinuität von Mujica und Topolansky. So schrieb der Journalist und Autor Samuel Blixen, der als MLN-T-Mitglied selbst über zwölf Jahre lang politischer Gefangener gewesen war, in der Wochenzeitung Brecha: „Diese jüngste Initiative bestätigt eine hartnäckige Haltung von Pepe und Lucía, die eher der der Täter als der der Opfer entspricht. Es ist eine Tatsache, dass das Ehepaar, das daran gewöhnt ist, jenseits von Gut und Böse zu stehen, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, seit langem kein Wort über das Schicksal ihrer engsten Weggefährten, die verschwunden bleiben, verloren hat. Im Gegenteil, sie zeigen eine starke Sensibilität für die Unterdrücker.“
Nähe zu Rechtsextremen
Tatsächlich gab es in der Vergangenheit eine Reihe von Beispielen, die auf ein enges Verhältnis zwischen dem Politpaar und dem Militärapparat verweisen. Ganz besonders gilt das für den Cabildo-Abierto-Vorsitzenden Manini. Mujica war es, der ihn damals in seiner Funktion als Präsident zum Befehlshaber der Streitkräfte ernannte. Als Manini später seiner Posten enthoben wurde, da er die Weitergabe von militärinternen Dokumenten über das Schicksal von „Verschwundenen“ an die Justiz behindert hatte, stärkte Mujica ihm den Rücken. Zuletzt unterstützte er eine Gesetzesinitiative von Cabildo Abierto, die darauf abzielt, dass alle Gefängnisstrafen bei Menschen ab 65 in Hausarrest umgewandelt werden. Profitieren würden davon in erster Linie die verurteilten Täter der Diktatur.
Auffällig ist zudem der Zeitpunkt, zu dem die Anschuldigungen veröffentlicht wurden. Die Wahlen im vergangenen Herbst brachten komplizierte Verhältnisse hervor: Der Frente Amplio stellt künftig zwar den Präsidenten und die Mehrheit im Senat, ist aber im Abgeordnetenhaus auf zwei Stimmen außerhalb des eigenen Lagers angewiesen, um Gesetzesvorhaben durchzubringen. Entsprechend aufmerksam wurde registriert, dass Manini unmittelbar nach den Wahlen Mujica und Topolansky privat aufsuchte. Ignacio Errandonea von der Organisation der Angehörigen der Verschwundenen, „Madres y Familiares de Detenidos Desaparecidos“, äußerte die Befürchtung, dass Manini versuchen könne, „die Stimmen seiner beiden Abgeordneten im Austausch für die Freilassung der inhaftierten Militärs zu verkaufen“.
Ob sich der Frente Amplio auf einen solchen Deal einlassen würde, bleibt abzuwarten. Dadurch würde er zwangsläufig einen erheblichen Vertrauensverlust in Kauf nehmen müssen. Die von Mujica und Topolansky betriebene Diskreditierung der juristischen Aufarbeitung spielt auch in dieser Frage Cabildo Abierto und dem Militär in die Hände. Eine Umwandlung aller Gefängnisstrafen in Hausarrest als Gegenleistung für die Anerkennung der bisherigen Rechtsprechung könnte durchaus als „Königsweg“ in Betracht gezogen werden. Eine künftige Zusammenarbeit mit der extremen Rechten ist auch insofern nicht auszuschließen, da Mujica, der innerhalb des Frente Amplio noch immer viele Anhänger*innen besitzt, schon seit geraumer Zeit darauf hinarbeitet. Bereits vor zwei Jahren warb er dafür, Manini als „freien Verbündeten“ zu sehen, den er als einen „ziemlich fortschrittlichen Nationalisten“ betrachtet.
Nun ließe sich darüber spekulieren, was Mujica und Topolansky (und auch einige andere aus der damaligen Führungsriege der MLN-T) dazu angetrieben hat, sich nach dem Ende der Diktatur wiederholt schützend vor den Militärapparat zu stellen. Hypothesen darüber gibt es viele, von informellen Absprachen bei den Verhandlungen zum Ende der Diktatur über inhaltliche Schnittmengen zwischen beiden Lagern im Bereich des Nationalismus oder den Wunsch, einen „Schlussstrich zu ziehen“ (was die Opfer ignorieren würde), bis hin zum Vorwurf des blanken Opportunismus zum Zwecke des Machterhalts. Worin die Motivation aber auch gelegen haben mag, das Resultat bleibt dasselbe. Es schwächt die Position der Opfer und stärkt die der Täter*innen, selbst 40 Jahre nach Ende der Diktatur. Zumindest eine Konsequenz sollten die aktuellen Ereignisse jedoch endlich zeitigen: Menschen, die sich selbst als links definieren, wären gut beraten, künftig etwas umsichtiger zu agieren, bevor sie jemanden zu einem politischen Idol überhöhen. In Uruguay wie in Deutschland.
Zweifelhafte Idole von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar