(Rio de Janeiro, 23. Januar 2019, amerika21).- Der Sohn von Präsident Jair Bolsonaro, der jüngst gewählte Senator Flávio Bolsonaro, hat bis vor kurzem offenbar engste Familienangehörige eines der Hauptverdächtigen im Mordfall Marielle Franco beschäftigt. Als Abgeordneter von Rio de Janeiro soll er bis Mitte November 2018 die Ehefrau und Mutter eines in den Mordfall involvierten Auftragsmörders beschäftigt haben. Bei ihm handelt es sich um den Ex-Polizisten Adriano Magalhães da Nóbrega, berichtet die Tageszeitung „O Globo„. Die Mutter sei für Bolsonaros illegale Finanztransaktionen zuständig gewesen. In dieser Sache laufen seit Mitte Januar Ermittlungen gegen den Präsidentensohn.
Marielle Franco war eine Stadträtin der linksgerichteten Partei für Sozialismus und Freiheit PSOL (Partido Socialismo e Liberdade). Sie und ihr Fahrer Anderson Gomes wurden am 14. März 2018 erschossen.
Zentrale Figur einer paramilitärischen Miliz
Nóbrega gilt als zentrale Figur einer paramilitärischen Miliz namens „Büro des Verbrechens“ (Escritório do Crime). Diese soll im Auftrag der organisierten Kriminalität Morde durchgeführt haben. Sie sei auch für die Hinrichtung Francos und Gomes’ verantwortlich. Die Justiz erließ am Montag Haftbefehl gegen Nóbrega und zwölf weitere Mitglieder seiner Miliz, die meist aus Reihen der Polizei stammen. Medienberichten zufolge nahmen die Ermittler fünf Verdächtige fest. Nóbrega, der untergetaucht ist, gehörte früher der Spezialeinheit Bope (Batalhão de Operações Especiais) an. Eine Festnahme wegen Verwicklungen in illegale Glücksspielgeschäfte und Geldwäsche führte im Jahr 2011 zu seiner Entlassung aus dem Polizeidienst.
Die jüngsten Verbindungen zwischen dem organisierten Verbrechen und der Familie Bolsonaro scheinen über dessen Ex-Assistenten Fabrício Queiroz zusammenzulaufen. Dieser habe die Einstellung der Mutter und Ehefrau des Auftragskillers empfohlen, behauptet der Sohn des Präsidenten. „Ich bin weiter das Opfer einer Verleumdungskampagne mit dem Ziel, die Regierung von Jair Bolsonaro zu treffen. (…) Ich kann nicht für Handlungen verantwortlich gemacht werden, die mir nicht bekannt waren“, teilte Bolsonaro Junior über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Dabei schätzt Flávio Bolsonaro den früheren Polizisten Nóbrega nachweislich seit 2003 für dessen Arbeit. Damals würdigte er ihn sowie den verhafteten Ex-Polizisten und Milizionär Ronald Paulo Alves Pereira im Parlament für deren „selbstlose Dienste für die Gesellschaft und ihr außerordentliches Verhalten“, zitiert ihn das Nachrichtenportal Congresso em Foco. Bereits damals waren beide beschuldigt, in Morde verwickelt zu sein. Pereira war Monate zuvor für ein Massaker an fünf Jugendlichen in São João de Meriti verantwortlich gemacht worden.
Ermittlungen gegen Flávio Bolsonaro und Queiroz
Nun laufen die Ermittlungen zu zwei Verbrechen bei Bolsonaros Assistenten Queiroz zusammen. Die Hinweise verdichten sich, dass sowohl die Morde an Franco und ihrem Fahrer als auch die illegalen Finanztransaktionen von Bolsonaro im Kontext von Geldwäsche und kriminellen Immobiliengeschäften stehen.
Seit kurzem wird gegen Bolsonaro und Queiroz wegen Korruption, Geldwäsche und fragwürdigen Immobilienkäufe ermittelt. Beide haben in den vergangenen Jahren verdächtige Finanztransaktionen in Millionenhöhe getätigt, die sie nicht erklären können. Bei Queiroz wurden zwischen 2014 und Januar 2017 Überweisungen von sieben Millionen Reais (1,8 Millionen Euro) festgestellt, die weder durch sein Gehalt noch durch sein Privatvermögen zu erklären sind. Flávio Bolsonaro gab in den letzten drei Jahren 4,2 Millionen Reais (rund eine Million Euro) für Immobilien aus. Er erklärte dies mit Einnahmen aus seinen unternehmerischen Aktivitäten. „Dabei schuf er sein Vermögen, bevor er zum Unternehmer wurde“, erwiderte die Tageszeitung Folha de São Paulo unter Berufung auf Grundbucheintragungen. Bereits im Januar vergangenen Jahres berichtete dieselbe Zeitung über erste Verdachtsmomente gegen ihn. Das Blatt identifizierte 19 fragwürdige Immobiliengeschäfte im wohlhabenden Süden von Rio de Janeiro.
Ermittlungen zufolge soll Bolsonaros Angestellte, Raimunda Veras Magalhães, die Mutter von Nóbrega, die ermittlungsrelevanten Überweisungen durchgeführt haben. Über sie und Nóbregas Frau habe ein mittelbarer Kontakt zwischen Politik und den mutmaßlichen Mördern von Franco, den Milizen in Rios Südwesten, bestanden, schreibt die Zeitung El País Brasil. Diese sind insbesondere in illegalen Immobiliengeschäften tätig. Auch die fünf Mitglieder der Miliz, die jetzt festgenommen wurden, sollen auf Grundbuchfälschungen, Landraub und Geldwäsche durch Immobilienkäufe spezialisiert sein.
Die Leiterin der Sonderkommission organisiertes Verbrechen (Gaeco), Staatsanwältin Simone Sibilio, geht davon aus, dass die fünf in „direkter Verbindung zur Ermordung“ der Abgeordneten Franco und ihres Chauffeurs Gomes stehen.
Marielle Franco könnte illegale Geschäfte der Milizen gestört haben
Mehrfach war der Verdacht laut geworden, die Milizen im Westen und Südwesten von Rio fürchteten, durch das starke Engagement der Aktivistin und Linkenpolitikerin politischen Einfluss zu verlieren. Auch der Sicherheitschef von Rio, Armeegeneral Richard Nunes, vertritt die These, dass Franco ermordet wurde, weil sie durch ihre politische Basisarbeit in den Randgebieten die Geschäfte der Milizen bedroht hat. Nunez hatte im Dezember bestätigt, dass die Milizen davon ausgingen, Marielle Franco könne die illegalen Geschäfte der Grundbuchfälschungen und den Landraub stören.
„Sie (Franco) engagierte sich in einer von Milizen kontrollierten Region von Rio, wodurch deren Wirtschaftsinteressen bedroht waren. In dem Moment, in dem eine politische Persönlichkeit, Mitglied des Parlaments, beginnt, die (lokalen) Netzwerke öffentlich zu hinterfragen, die das Leben dieser Gemeinde bestimmen, greift sie die Interessen dieser kriminellen Gruppen an“, so Nunez im Interview mit O Estado de São Paulo.
Die Ermittlungen könnten trotz all dieser Erkenntnisse gebremst werden. Der zuständige Richter des Obersten Bundesgerichtes (STF), Luiz Fux, gab am Donnerstag (17.1.) dem Antrag von Flávio Bolsonaro statt, wonach die Untersuchung gegen Queiroz bei der Staatsanwaltschaft einzustellen sei. Fux begründete dies mit der parlamentarischen Immunität, die Bolsonaro als Senator genießt. Sein Vater, der Präsident, hatte in den vergangenen Jahren immer wieder gegen die parlamentarische Immunität gewettert. Davon würden nur Korrupte profitieren.
Brasilien: Verbindung zwischen Sohn des Präsidenten und Mordfall Marielle Franco von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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