(Parral, 26. Juni 2016, fdcl).- Angehörige von Verschwundenen und Folterüberlebende haben am gestrigen Sonntag erneut an den Toren der Colonia Dignidad protestiert. Sie forderten Wahrheit und Gerechtigkeit sowie das Ende von touristischen Aktivitäten in der Deutschensiedlung. Etwa sechzig Personen befestigten Transparente in spanischer und deutscher Sprache mit der Aufschrift „Geschlossen wegen Menschenrechtsverletzungen“ am Eingangstor des Ortes, der sich heute „Villa Baviera“ nennt.Die Protest-Aktivitäten begannen bereits am vergangenen Freitag mit einer Demonstration durch die Regionalhauptstadt Talca und einem zweitägigen Hungerstreik der Angehörigenorganisation. Dieser fand in den Räumlichkeiten der Lehrergewerkschaft („Colegio de Profesores“) statt und wurde von verschiedenen sozialen und Studierenden-Organisationen unterstützt. Von Talca aus fuhren die Protestierenden gestern gemeinsam zur etwa 40 km entfernt gelegenen Colonia Dignidad.
Die Vorsitzende der Angehörigenorganisation der Verschwundenen von Talca, Myrna Troncoso, bezeichnete es bei einer Rede am Eingangstor der Colonia es als „beschämend, dass ein Ort, der eine Folterstätte war und an dem viele Menschen ermordet wurden heute ein Tourismuskomplex ist“. Ihr Sohn war 1974 mutmaßlich in der Sektensiedlung verschwunden. Gabriel Rodríguez, der 1975 in der Colonia Dignidad gefoltert wurde, fügte hinzu, dass seiner Meinung nach die heutigen Bewohner der Colonia Dignidad es „angesichts der enormen Reichtümer, die durch Straftaten wie Waffenhandel und Sklavenarbeit – sogar von Kindern – erwirtschaftet wurden, es nicht nötig haben, zu ihrer eigenen Finanzierung auf etwas für die Opfer so verletzendes wie den Tourismus zurückzugreifen.“
Zu einem Dialog kam es, als die für den Tourismus in der Villa Baviera Verantwortliche, Anna Schnellenkamp, die heute noch auf dem Gelände lebt, auf die Protestierenden zuging. Sie versprach, dieses Jahr kein Oktoberfest durchzuführen und bot den Angehörigen und Überlebenden weitere Gespräche an. Sie merkte jedoch an, dass sie sich gegenüber den Angestellten des Tourismusbetriebes in der Pflicht fühle.
Die Proteste finden wenige Tage vor der Ankunft von Bundespräsident Joachim Gauck zu einem Staatsbesuch in Chile (12-14. Juli 2016) statt. Nach dem kürzlichen Eingeständnis von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, dass die bundesdeutsche Diplomatie schwerwiegende Fehler im Fall Colonia Dignidad begangen habe und auf Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der Siedlung nicht angemessen reagiert habe, wird nun erwartet, dass Colonia Dignidad eines der wichtigen Themen des Gauck-Besuchs wird. Laut Der Spiegel haben sich in den letzten Wochen mehrere Bundestagsabgeordnete mit Schreiben an den Bundespräsidenten gewandt in denen sie Gauck baten, bei seinem Besuch in Chile deutsche und chilenische Opfer der Colonia Dignidad zu empfangen und damit ein Zeichen zu setzen für eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad (vgl. Der Spiegel Nr. 22/2016, S. 65).
Zur Vorbereitung der Reise des Bundespräsidenten dient laut der chilenischen Zeitung „La Segunda“ eine Reise des Lateinamerikareferatsleiters des Auswärtigen Amtes, Dieter Lamlé. Das chilenische Nachrichtenportal „El Mostrador“ berichtete gestern, dass Lamlé in den kommenden Tagen die ehemalige Colonia Dignidad besuchen werde. Im Hinblick auf die Verteilung von Mitteln im Rahmen eines einzurichtenden Hilfsfonds, wolle er sich über den Zustand in der Siedlung informieren. Zudem werde er sich mit Adriana Bórquez, einer chilenischen Folterüberlebenden und Efraín Vedder, einem von der Colonia Dignidad zwangsadoptierten ehemaligen Siedlungsbewohner treffen.
Hungerstreik und symbolische Schließung der Colonia Dignidad: Angehörige von Verschwundenen protestieren im Vorfeld des Gauck-Besuchs von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Wie nach der Auflösung der Colonia Dignidad damit umgegangen wurde, in Art bayrischer Bierzelte, fand ich schändlich. Das hätte von Beginn an verhindert werden müssen.