von Darius Ossami, Guatemala-Stadt
(Berlin, 16. Oktober 2008, npl).- Die Aufarbeitung der blutigen Geschichte des Bürgerkriegs in Guatemala hat gerade erst begonnen und ist ein wichtiger Teil im Kampf gegen das Vergessen. Seinen blutigen Höhepunkt fand der Krieg gegen die Zivilbevölkerung in den Jahren 1980 bis 1983, als das guatemaltekische Militär einen regelrechten Vernichtungsfeldzug gegen Teile der indigenen Hochlandbevölkerung führte. So gab es auf dem III. Amerikanischen Sozialforum gleich mehrere Tage der Erinnerung, an denen sich zahlreiche Opfer zu Wort meldeten und ihre Geschichte erzählten.
Bis heute sind nicht alle Massaker und alle Opfer gezählt. Kein einziger der Täter wurde bestraft. Das Schweigen und diese Straflosigkeit zu durchbrechen, war und ist das Ziel der Sozialforumsveranstaltungen zum Thema. Viele der Wände der Räume, in denen Veranstaltungen stattfanden, waren voller Plakate mit den Namen von Opfern und von Orten, an denen Massaker stattgefunden haben. 15 Gemeinden waren auf dem Forum präsent, trauten sich, von ihren Erlebnissen zu berichten und die Schuldigen zu benennen. Neben dem Verein für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung AJR, fordert auch die Organisation HIJOS Gerechtigkeit für die 250.000 Todesopfer und 50.000 Verschwundenen, sowie die Bestrafung der Täter. Dazu Raúl Nájera von HIJOS: „Wir sind eine Organisation von jungen Leuten, die Kinder, Angehörige und Freunde von Personen zusammenführt, die während des Krieges vom Militär hingerichtet oder verhaftet wurden. Außerdem kümmern wir uns um Compañeros und Compañeras, die der Repression durch den Staat ausgesetzt sind.“
HIJOS versucht nicht nur, das kollektive Gedächtnis wachzurütteln, sondern auch an revolutionäre Prozesse anzuknüpfen. Dabei setzen sie auf symbolische Prozesse und Aktionen auf der Strasse. Sie gehen zu den Häusern der damaligen Militärführung, um Nachbarn und Angehörige auf die Rolle dieser Militärs im Bürgerkrieg hinzuweisen. Auch kämpfen sie für die Entmilitarisierung von Gebieten, in denen das Militär immer noch sehr präsent ist. Raúl Nájera beschreibt das Vorgehen von HIJOS folgendermaßen: „Einer unserer Grundsätze ist: Kein Vergessen. Nicht vergessen, was passiert ist, um das Wichtige dieser Zeit des Terrors und des Widerstandes in Erinnerung zu behalten. Es war sehr schwer, das Schweigen zu durchbrechen und noch schwerer, die Verantwortlichen beim Namen zu nennen. Es ist ein Kampf, der Jahre gedauert hat, aber inzwischen ist es gelungen, die Leute dazu zu bringen, das Grauen dieser Verbrechen in konkrete politische Aktionen umzuwandeln.“
Auch 12 Jahre nach dem Friedensschluss ist es in Guatemala gefährlich, sich für die Aufarbeitung der Vergangenheit einzusetzen. Das Büro von HIJOS wurde zweimal angegriffen und ein General im Ruhestand hat der Organisation öffentlich gedroht. Der Bruder von Raúl wurde von Bewaffneten entführt und bedroht. Dessen ungeachtet strebt HIJOS einen landesweiten symbolischen Prozess gegen die Militärführung und die Oligarchie an. Auch Ríos Montt soll nach dem Willen von Organisationen wie HIJOS wegen Völkermord vor Gericht gestellt werden. Der evangelikale Politiker war in der Hochphase des Bürgerkrieges Diktator und ließ ganze Gemeinden gnadenlos verschwinden. Das die Überlebenden jetzt anfangen, sich zu artikulieren, war lange überfällig und ist ein Erfolg.
Anmerkung der Redaktion: Zu diesem Text kann unter www.npla.de/onda/index.php ein Radiobeitrag abgerufen werden.
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