Am 30. April 2021 starb der mexikanische General José Francisco Gallardo Rodríguez an Covid-19. Für seinen 1993 veröffentlichten Vorschlag, die Stelle eines Ombudsmann beim Militär einzurichten, zogen ihn seine Waffenkameraden vor ein Kriegsgericht und inhaftierten ihn mehr als acht Jahre lang. Sein Versuch, die Armee von innen heraus zu reformieren, war damit gescheitert. In den letzten Jahren arbeitete Gallardo als Dozent an der Autonomen Mexikanischen Nationaluniversität (UNAM). Außerdem engagierte er sich in der heutigen Regierungspartei Morena. Luis Hernández Navarro würdigte den General in der Tageszeitung La Jornada.
(Mexiko-Stadt, 11. Mai 2021, la jornada).- In meinem Land weckt die Erwähnung des Militärs unrühmliche Erinnerungen: an die Unterdrückung des Eisenbahnerstreiks 1959 und den Mord an Campesinoführer Rubén Jaramillo 1962. Wir denken an den Massenmord an den Student*innen 1968 und an das unaufgeklärte Verschwinden sozialer Kämpfer*innen. Die Inszenierung des schmutzigen Kriegs und die Verstrickung mit dem Drogenhandel. Die von Soldaten ausgeführte und von der Truppe gebilligte Vergewaltigung wie im Fall von Valentina Rosendo und Inés Fernández im Bundesstaat Guerrero. Die Unterstützung paramilitärischer Gruppen als Teil der Aufstandsbekämpfung im Bundesstaat Chiapas. Das Leben und Engagement des Generals José Francisco Gallardo zeugen dagegen von dem entschlossenen Bemühen, einen anderen Weg zu beschreiten. Mit seinem Einsatz für den Respekt der Menschenrechte und die Einrichtung einer militärischen Ombudsstelle in Mexiko brachte er in den 90er Jahren das Verteidigungsministerium gegen sich auf. Bereits zu Beginn seiner Laufbahn sollte sich ein Ereignis besonders prägend auswirken.
Im Spätsommer 1970 wurde Gallardo eine Gruppe von Studenten der Autonomen Universität von Guadalajara in Verwahrung gegeben, obwohl keine einzige Regel bestimmt, dass Zivilpersonen in Kasernen festgehalten werden können. Die 18- bis 25-Jährigen kamen aus dem Hauptquartier der 15. Militärzone und standen unter dem Verdacht, der Revolutionären Studentischen Front (FER) anzugehören. Die jungen Leute wurden in die sogenannte Bartolina, ein enges und dunkles Verlies, gepfercht. Der damalige Oberleutnant Gallardo gab den Befehl, sie dort herauszuholen, damit sie sich duschen konnten, und sie mit Decken und Essen zu versorgen. Den jungen Männer versicherte er: Während ich im Dienst bin, wird euch nichts passieren. Kurz nach 2 Uhr nachts kam ein zivil gekleideter Major in die Kaserne, um die Verhafteten mitzunehmen. Ein schriftlicher Befehl lag nicht vor. Unter Verweis auf die Vorschriften weigerte Gallardo sich, die Studenten zu übergeben, obwohl der Major drohte, ihn verhaften zu lassen. Seine Ablösung jedoch übergab die Studenten an den Kommandanten des Konvois, dessen Mitglieder Zivilkleidung trugen und Privatfahrzeuge fuhren. Eine Woche später erfuhr Gallardo durch den gewerblichen Radiosender von Chapala, dass die Studenten von einem Flugzeug der Luftwaffe aus der Militärbasis Zapopan über dem Chapala-See abgeworfen worden waren. Offenbar hatte man sie zuvor mit einem Betäubungsmittel für Pferde eingeschläfert und „hingerichtet“.
Korruption und Säbelhiebe
Bei seinem Eintritt ins Militärkolleg 1963 erlebte Gallardo Missbräuche am eigenen Leib. „Schon als Kadett bemerkte ich die existierende Korruption“, schrieb er später. Alles hatte seinen Preis: Friseursalon, Verpflegung, Prüfungen, Haftbefehle. In der Truppe erlitt er Schläge und schlechte Behandlungen, die ihn zwingen sollten, seinen Prinzipien und seiner Moral abzuschwören. Als er sich der Kavallerie anschloss, wurde er mit 50 Säbelhieben empfangen. Diese brutale Erfahrung lehrte ihn, Schmerzen zu ertragen. Schon bald machte er Bekanntschaft mit ungerechtfertigter Bevorzugung: Obwohl ihm als Jahrgangsbestem der Posten des Ersten Feldwebels der Kadetten zustand, erhielt der Sohn eines einflussreichen Militärs das Amt.
1980 begann Gallardo, an der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) zu studieren und musste schockiert feststellen, dass seine militärische Schulung sofort auf Kollisionskurs mit der universitären Ausbildung geriet: Einmal bekam er 48 Stunden Arrest, weil er „Das Kapital“ von Karl Marx gelesen hatte.
Jahrelange Haft für Forderung nach militärischer Ombudsstelle
Bei den Präsidentschaftswahlen 1988 stellte Gallardo fest, wie die Militärführung den Wahlbetrug zugunsten von Carlos Salinas deckte. Vor der gesamten Führungsspitze der Armee kritisierte er das Verhalten der Militärs. Er wurde daraufhin von seinen Führungsaufgaben entbunden und vom Dienst freigestellt. Eine erbarmungslose Hetze gegen ihn begann. Gallardo seinerseits gelangte immer mehr zu der Überzeugung, dass es einer Reform der Institution von innen bedurfte, um Machtmissbräuche durch die höheren Ränge zu vermeiden. 1993 erreichte die angespannte Situation ihren Höhepunkt. In der Zeitschrift „Forum“ veröffentlichte der General einen Auszug seiner Abschlussarbeit im Fach Sozialwissenschaften mit dem Titel: „Die Erfordernisse eines militärischen ‚Ombudsmanns‘ in Mexiko“. Die Reaktion war fulminant. Auf Drängen der Militärjustiz eröffnete die Generalbundesstaatsanwaltschaft wegen Diffamierung und Verunglimpfung der Armee eine Untersuchung gegen den Direktor der Zeitschrift. Einen Monat nach der Veröffentlichung des Artikels, am 9. November 1993, wurde Gallardo inhaftiert. Gegen ihn gab es 21 – falsche – Anklagepunkte, darunter Veruntreuung von Geldern, Aktenverbrennung, Amtsanmaßung, Beleidigungen, Diffamierung, Verunglimpfungen des Militärs, Körperverletzungen und unrechtmäßige Bereicherung. Der General wehrte sich gerichtlich innerhalb und außerhalb des Landes. Die Bundesjustiz entschied 37 einstweilige Verfügungen zu seinen Gunsten. Die Streitkräfte hielten sich nicht an die Urteile. Zweimal kam Gallardo vor das Kriegsgericht. Er wurde zu 28 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 1996 klagte er vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission. Amnesty International erklärte ihn zum Gefangenen aus Gewissensgründen. Er blieb acht Jahre, zwei Monate und 28 Tage in Haft. Am Ende kam er am 7. Februar 2002 per Präsidentendekret frei.
Vergeblich verlangte General Gallardo von den letzten vier amtierenden Präsidenten die Klärung seiner Stellung innerhalb der Armee, die Wiederherstellung seiner militärischen Würde, moralische und materielle Wiedergutmachung und die Bestrafung der Verantwortlichen seiner Inhaftierung. Dazu forderte er die Einführung von Maßnahmen, die eine Wiederholung des Vorfalls ausschließen sollten. Doch die Regierungen ignorierten den Beschluss des mexikanischen Senats, Gallardo als Brigadegeneral zu ratifizieren und verweigerten sich den mehr als 30 Urteilen der Justiz zugunsten Gallardos.
José Francisco Gallardo starb, ohne seine Dienstränge und Rechte wiedererlangt zu haben. Die Rehabilitierung innerhalb der Streitkräfte blieb ihm verwehrt.
Übersetzung: Gerold Schmidt
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