Diktaturrechtfertigung an einem Gedenkort für Folteropfer

ESMA
Das ESMA-Gebäude: früher Ausbildungsstätte der Marine und Geheimgefängnis der Diktatur, heute Gedenkort für Folteropfer.
Foto: Camilo Del Cerro via wikimedia
CC BY-SA 4.0

(Buenos Aires, 20 Mai 2024, CELS).- Diktatur-Feier in der Gedenkstätte der ehemaligen Escuela de Mecánica de la Armada: Im ehemaligen Ausbildungszentrum der Marine sangen Offiziere im Ruhestand die Hymne der Marine und machten ein Fotoshooting neben einem der Flugzeuge der Todesflüge. Das ehemalige geheime Gefängnis- und Folterzentrum ist seit 20 Jahren ein Ort des Gedenkens. Dort trafen sich am 17. Mai, dem Tag der Marine Absolventen der Abschlussklasse 78, die während der Diktatur in der ESMA studiert hatten, als das Gebäude gleichzeitig zu Ausbildungszwecken und als Folterzentrum genutzt wurde. Die Feier an dem symbolträchtigen Ort ist eine klare Rechtfertigung der Diktatur – mit Genehmigung des Verteidigungsministeriums. Politisch bedeutet das eine Erweiterung des Aktionsrahmens für Minderheitenpositionen in den Streitkräften und ebnet den Weg für ähnliche Aktionen. Affirmative Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: In den sozialen Netzwerken wurde das Veteranentreffen zahlreich geteilt und kommentiert. Viele Nutzer*innen rechtfertigten die repressive Gewalt, der Tenor der Kommentare war, die Feier sei ein erster Schritt zur „Rückgewinnung“ des Geländes, das durch die Umwandlung in eine Gedenkstätte „usurpiert“ worden sei.

Gegen die „Stigmatisierung der Streitkräfte“

Die Entscheidung, die Veranstaltung zu genehmigen, kommt nicht überraschend, hat sich die Milei-Regierung doch schon bei anderen Gelegenheiten ähnlich positioniert: Die zivilen Arbeitsgruppen zur Untersuchung und Analyse der Archive der Streitkräfte, die nach Beweisen für Verbrechen gegen die Menschheit geforscht hatten, wurden aufgelöst, die Ehrung des verurteilten Menschenrechtsverbrechers Horacio Losito auf militärischem Gelände wurde unkommentiert gelassen, und Verteidigungsminister Luis Petri bezeichnet den gesamten Prozess der Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit öffentlich als eine Stigmatisierungskampagne gegen das Militär. In derselben Woche, in der der feierliche Akt der Diktaturrechtfertigung in der ESMA-Gedenkstätte stattfand, sprach sich Präsident Javier Milei wohlwollend über die Straffreiheit und die von Carlos Menem verfügten Begnadigungen aus und bezeichnete sie eine Form der Befriedung. Dass diese 20 Jahre später gerichtlich als verfassungswidrig eingestuft wurden, ließ er dabei unerwähnt.

Gedenkstätten immer mehr für Provokationen genutzt – auch in Deutschland

Was neu ist: In den letzten Monaten besuchte der ehemalige Militäroffizier Aldo Rico die Gedenkstätte – am Jahrestag eines der Militäraufstände gegen die Demokratie, den er angeführt hatte, um die Gerichtsverfahren zur Ahndung der Diktaturverbrechen zu stoppen, und auch die Politikerin Cecilia Pando kam anlässlich des Tages der Veteranen und Gefallenen des Malvinas-Krieges vorbei. Pando ist als Verteidigerin der aufgrund von Verbrechen gegen die Menschheit angeklagten Militärs bekannt. Bisher galten Besuche von Angehörigen der Streit- und Sicherheitskräfte den Fragen der Erinnerung und des demokratischen Zusammenlebens im Rahmen der Bildungsarbeit. Nun aber geht es um Provokation, und das macht diese Besuche problematisch. Ähnliches passiert auch in anderen Ländern. Mit dem Erstarken der so genannten Neuen Rechten in ganz Lateinamerika werden auch in Brasilien, Peru, Chile, Kolumbien und Guatemala Gedenkstätten des Gedenkens angegriffen und zur politischen Positionierung der der extremen Rechten missbraucht.

In Deutschland hat es zwar seit der Einrichtung von Gedenkstätten Vorfälle in den ehemaligen Konzentrationslagern gegeben, doch in den letzten Jahren haben die Angriffe durch rechtsextreme Gruppen deutlich zugenommen. Einige Leiter*innen der Gedenkstätten führen dies auf die politische Situation und die Enttabuisierung des Holocausts durch die extreme Rechte zurück. Aussagekräftige Fotos in den sozialen Netzwerken zu posten ist mittlerweile in Deutschland wie in Argentinien eine beliebte Form der Provokation: Während argentinische Rechte sich neben den Maschinen der Todesflüge fotografieren, machen deutsche Rechtsextreme ihre Selfies vor den Krematorien – mit einem Lächeln im Gesicht.

 

 

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