Die Suche nach Verschwundenen in La Escombrera

Verschwindenlassen
La Escombera, ein Massengrab inmitten einer Schutthalde.
Foto: Dgreusard via wikimedia
BY-SA 4.0

(Medellín, 14. Mai 2025, npla).- La Escombrera („der Schutthaufen”) wird als das größte Massengrab Kolumbiens bezeichnet. Die Bauschuttdeponie liegt in Medellín im Randbezirk Comuna 13. Zwischen 1997 und 2003 wurde die Comuna 13 zum Konfliktschauplatz. In jenen Jahren gab es zahlreiche Operationen des Militärs in Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen. Offiziell sollte die Comuna 13 von städtischen Milizen der Guerillas „gesäubert“ werden, inoffiziell übernahmen die Paramilitärs die Kontrolle.

Massengräber unter Bauschutt

Die Operación Orión am 16. und 17. Oktober 2002 ist wegen des Ausmaßes an Gewalt und der offensichtlichen Zusammenarbeit des Staats mit den Paramilitärs die Bekannteste dieser Militäroperationen. Das Ergebnis waren zahlreiche Tote, Verschwundene und Verletzte. „Es kam zu ‚Säuberungen‘, und die Paramilitärs übernahmen die Kontrolle in der Zone. Über ein Jahr lang hat der Staat das Viertel den paramilitärischen Gruppen überlassen” erklärt der Soziologe Max Yuri Gil Ramírez. Rund 400 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen wurden in diesem Zeitraum angezeigt. „Das sind die Opfer der Paramilitärs”, ergänzt Gil Ramírez. Einen ihrer Stützpunkte in der Zone hatten die Paramilitärs zu dieser Zeit in der Bauschuttdeponie La Escombrera in der Comuna 13. Seitdem prangern Menschenrechtsorganisationen und Angehörige der Opfer an, dass viele der Leichen der gewaltsam Verschwundenen in La Escombrera unter tonnenweise Schutt begraben liegen. Zeugenaussagen von Überlebenden, von ehemaligen Paramilitärs und auch Gerichtsurteile belegen, dass dort Menschen „verhört, gefoltert, ermordet, zerstückelt und heimlich verscharrt” wurden, beschreibt Gil Ramírez. Trotz dieser Beweise wurden in La Escombrera jahrelang weiter „Millionen Tonnen Bauschutt aus der ganzen Stadt” abgeladen” berichtet der Soziologe, was dazu führte, dass sich “an einigen Stellen das Bodenniveau um bis zu 25 Meter anhob”.

Opfer oft als Kriminelle oder Drogenabhängige diffamiert

Im Jahr 2019 ordnete die Sonderjustiz für den Frieden (JEP) an, in La Escombrera Ausgrabungen durchzuführen und den weiteren Schuttabwurf zu stoppen. Seit Mitte 2024 laufen die Ausgrabungen. Im Dezember 2024 wurden die ersten fünf Leichen gefunden, von denen bisher zwei identifiziert werden konnten. Luz Amparo Mejía ist Mitglied des Kollektivs „Mujeres caminando por la Verdad“, das in Medellín und Umgebung nach Opfern von Verschwindenlassen sucht. Sie bezeichnet die Bergung der Toten als „feierlichen Moment“, der den Angehörigen neue Hoffnung gegeben habe. Es sei sehr wichtig, dass es weitere Leichenfunde gibt, so Luz Amparo Mejía, weil dies beweise, dass die Suchenden „nicht verrückt sind”. Jahrelang habe man das gewaltsame Verschwinden der Opfer geleugnet und die Arbeit der Suchenden missachtet, kritisiert Mejía. Den Müttern wird unterstellt, nur auf finanziellen Entschädigungen aus zu sein oder den Staat zu verleumden. Die Opfer selbst werden oft als Kriminelle oder Drogenabhängige diffamiert. La Escombrera sei somit ein „historischer Referenzpunkt“, der auf die massenhaften Menschenrechtsverletzungen in Medellín aufmerksam mache, so Mejía.

Medellín: ein riesiges Massengrab

Die Hoffnungen der Angehörigen werden jedoch weiterhin auf die Probe gestellt. Die Suche nach den Verschwundenen gestaltet sich aufgrund des Ausmaßes dieses Verbrechens als sehr schwierig. Laut Zahlen der Sondereinheit zur Suche verschwundener Personen (UBPD) wurden in den letzten 60 Jahren mehr als 124.000 Menschen im Rahmen des bewaffneten Konflikts Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen. „Viele der Opfer sind unauffindbar. Sie wurden zerstückelt, in Flüsse geworfen, ihre Leichen verbrannt. Einige der Täter leben nicht mehr, oder es fehlt jede Spur von ihnen”, erklärt Max Yuri. Die ohnehin schwierige Suche wird in der Comuna 13 dadurch erschwert, dass die Opfer nicht nur in der Escombrera verscharrt sind- sondern auch an anderen Orten der Stadt. Und auch in La Escombrera liegen mutmaßlich die Leichen von Menschen aus anderen Vierteln Medellíns und der Umgebung. Deshalb bezeichnet Max Yuri Gil Medellín als ein „riesiges Massengrab”. Die Stadt und ihre Randgebiete wurden in der Vergangenheit immer wieder genutzt, um Leichen zu verscharren. Die UBPD geht davon aus, dass in Medellín um die 6000 Menschen Opfer von gewaltsamem Verschwindenlassen wurden.

USAID-Kürzungen beeinträchtigen die Suche

Ende März 2025 kam ein weiterer Rückschlag für die Angehörigen und die Suchenden. Die UBPD kündigte an, die Ausgrabungen zum 1. April vorerst einzustellen. Als Grund nannte die Institution fehlende Ressourcen, um den Einsatz der Schwermaschinerie zu finanzieren. Diese wurden durch Kürzungen internationaler Entwicklungshilfen verursacht. Die US-amerikanische Entwicklungsagentur USAID hatte zuvor Projekte der kolumbianischen Übergangsjustiz, darunter auch die Arbeit der UBPD, mitfinanziert. Derzeit ist unklar, wie es mit den Sucharbeiten in La Escombrera weitergeht. Die Stadt Medellín hat zwar angekündigt, Mittel aus dem städtischen Haushalt bereitstellen zu wollen, um die Suche wieder aufzunehmen. Doch die Ernsthaftigkeit dieser Absicht ist fraglich. Der rechte Bürgermeister Federico Gutiérrez ist ein dezidierter Gegner der progressiven Regierung von Gustavo Petro ebenso wie der Umsetzung des Friedensabkommens.

Las cuchas tenían razón

Nachdem die ersten Leichen gefunden wurden, hat im Januar ein Künstler*innenkollektiv ein Wandbild mit der Aufschrift „Las cuchas tenían razón” („Die Mütter hatten Recht”) gemalt. In weniger als 24 Stunden war es nach einer Anordnung der Stadtverwaltung von Medellín grau überpinselt worden. Als Reaktion darauf begannen landesweit – und sogar im Berliner Mauerpark – Kollektive und Initiativen, das Wandbild zu vervielfältigen. Der Bürgermeister vertrete „eine leugnende und revisionistische Haltung”, so Max Yuri Gil. Das Übermalen der Wandbilder habe als Ziel, „das Geschehene unsichtbar zu machen oder es sogar zu rechtfertigen”. Das Wandbild ist ein Akt der Solidarität mit den Suchenden, gegen das Vergessen, für Wahrheit und Gerechtigkeit, und es macht die Verbrechen sichtbar, die vom Staat in Zusammenarbeit mit den Paramilitärs begangen wurden, Es „war der Auslöser, der den Menschen weltweit das Thema des gewaltsamen Verschwindenlassens ins Bewusstsein brachte”, sagt Luz Amparo Mejía.

Einen spannenden Audiobeitrag zu diesem Thema gibt’s auch: auf Spanisch und auf Deutsch.

CC BY-SA 4.0 Die Suche nach Verschwundenen in La Escombrera von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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