(Mexiko-Stadt, 27. November 2012, cimac).- „Ganz Mexiko wird dich als den grausamsten, den blutrünstigsten und unfähigsten Präsidenten in Erinnerung behalten, der dieses Land jemals regiert hat. Unsere Söhne und Töchter, unsere Brüder und Schwestern, unsere Väter, unsere Mütter sind keine Kollateralschäden. Sie sind unschuldige Opfer deiner Machtgier, deiner politischen Kurzsichtigkeit, deiner Egomanie und Geltungssucht!“
Dies erklärten Mütter und weitere Angehörige von Tausenden von Verschwundenen und Vermissten in einem offenen Brief an Felipe Calderón. Mitglieder der Organisation Fundem (Fuerzas Unidas por Nuestros Desaparecidos/as en México Mit vereinten Kräften für die Verschwundenen in Mexiko) fragten den PAN-Politiker schriftlich, ob er „wirklich mit ruhigem Gewissen“ abtrete, nachdem er „eine der größten menschlichen Tragödien in der Geschichte Mexikos provoziert“ habe, die „hunderttausende Kinder zu Waisen gemacht, etlichen Müttern das Herz gebrochen, unzählige Familien zerstört und einen Schmerz erzeugt hat, der an die folgenden Generationen weitervererbt werden wird“.
Mütter von Verschwundenen rechnen mit Calderón ab
Gemeinsam mit mexikanischen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen teilte der Verband von Familienmitgliedern der Verschwundenen dem scheidenden Präsidenten mit: „Unsere Familienmitglieder haben Namen, sie sind nicht einfach Voruntersuchung oder Situationsbeschreibung Nummer Soundso, sondern Menschen. Und diese Menschen haben Hoffnungen und Träume, sie haben eine Lebensgeschichte, und vor allem haben sie uns: eine Familie, die sie liebt und die sie vermisst und die jeden Moment ihres Lebens darauf verwendet, sie zu suchen.“ Die Regierung lehne es ab, ihnen zuzuhören, lasse es sich aber nicht nehmen, die Verschwundenen für ihr Schicksal selbst verantwortlich zu machen.
„Du hattest die Macht, das Geld und die Waffen, und doch hast du nichts unternommen, um diese menschliche Tragödie abzuwenden. Du hast nichts unternommen, um sie zu suchen; vielleicht, weil es nicht deine Kinder sind. Deinen erfolglosen Krieg hast du ohne jedes Maß fortgesetzt, deine Geltungssucht kannte keine Grenzen. Oh ja, die Geschichte wird sich an dein Versagen erinnern, und wir werden da sein, um dich daran zu erinnern. Das ganze Volk wird dich verurteilen“, so lautet die Anklage der Mütter. „Während deiner sechsjährigen Amtszeit hast du das Recht und die Wahrheit untergraben; unter deiner Führung gediehen Lüge, Straflosigkeit, Korruption und Barbarei; wir mussten den Verlust unserer Rechte und der Regierbarkeit dieses Landes hinnehmen, damit einhergehend den Bedeutungsverlust öffentlicher Institutionen – vielleicht war das alles gewollt? Wie auch immer: Du bist verantwortlich für diese Tragödie. Es gehörte zu deinen in der Verfassung verankerten Pflichten, unsere Sicherheit zu garantieren und für unsere sämtlichen Rechte einzustehen, und du warst nicht annähernd in der Lage, dieser Aufgabe gerecht zu werden.“
„Wir werden dich nicht schlafen lassen“
Während der sechsjährigen Regierungszeit des PAN-Präsidenten fanden etliche Demonstrationen und hunderte Versammlungen statt, auf denen Gerechtigkeit gefordert wurde, ja sogar Hungerstreiks, die Calderón an die von ihm selbst deklarierte politische Maxime der Gleichheit aller Menschen erinnern sollten; dennoch habe der Präsident das Recht lieber selektiv angewandt, so lautet der Vorwurf. Seine eigenen leeren Versprechungen würden ihm folgen, egal, wohin er ginge, hieß es: „Du wirst keine Ruhe finden, wir werden dich nicht in Ruhe schlafen lassen, bis unseren Söhnen und Töchtern endlich Recht geschieht. Auch wenn der Schmerz gigantisch ist, wir rufen dir zu, heute und immer: Wir geben uns nicht geschlagen, sondern hoffen weiter, unsere Lieben eines Tages wieder zu sehen, und genauso hoffen wir, dass der Tag kommt, an dem du auf mexikanischem und auf internationalem Tableau zur Rechenschaft gezogen wirst und dass die Geschichte dich verurteilt. Denn unsere Verschwundenen fehlen. Sie fehlen ihren Familien, und sie fehlen unserer Gesellschaft. Sie haben sie uns lebend genommen, und lebend möchten wir sie wiederhaben!”
Zwischen Januar 2009 und August 2010 verschwanden in Jalisco 385 Frauen und Mädchen. 255 von ihnen (66 Prozent) waren zwischen 10 und 17 Jahre alt. Im Bundesstaat Mexiko verschwanden im Jahr 2010 297 Frauen. Im selben Jahr wurden in Nuevo León 366 Frauen als vermisst gemeldet, in Ciudad Juárez verschwanden 107 Frauen, davon 71 (66 Prozent) minderjährig. Die Zahlen gehen auf einen Bericht zurück, der vergangenen Juli von zivilgesellschaftlichen Organisationen beim CEDAW (Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau) in Auftrag gegeben wurde.
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