Von Katalina Vásquez Guzmán, Página 12
(São Leopoldo, 13. Januar 2018, ihu-unisinos).- Eine Offensive der Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejército de Liberación Nacional) hat den bewaffneten Konflikt in Kolumbien wieder neu entfacht. Misstrauen prägt nun den Dialog in Quito. Besonders beunruhigt über diese Entwicklung sind die abgelegenen ELN-dominierten Gemeinden, in denen der Krieg wieder aufzuflackern droht. Daher wurden große Hoffnungen in den Besuch des neuen UNO-Generalsekretärs gesetzt. Er sollte dazu beitragen, den Dialog wieder in Gang zu bringen und das Misstrauen bezüglich des Friedenswillens der ELN zu bereinigen. Diese hatte nach Auskunft des Verteidigungsministeriums in der zweiten Januarwoche zwölf bewaffnete Angriffe verübt, eine Soldaten getötet und zwei Marinesoldaten verletzt.
Jimmy Rodríguez, Sprecher einer Gewaltopferinitiative in Quibdó, Hauptstadt der verarmten Provinz Chocó, zeigt sich erschrocken über die aktuelle Entwicklung. Neben den Provinzen Arauca, Antioquia, Casanare, Cauca, Nariño und Norte de Santander ist Chocó am stärksten von den Gewalttaten der ELN betroffen. „Schon eine ganze Weile redet jeder nur vom Frieden, aber wir hier in den betroffenen Regionen merkten von Frieden nichts. Was derzeit passiert, können wir nicht als Frieden bezeichnen. Wir sind gefangen in unserer Angst, denn wenn der Dialog scheitert, werden sich die Konflikte unter Garantie verschärfen, und das werden wir schmerzlich zu spüren bekommen.“
Frente Domingo Laín verübt Angriffe
Die zwischen der Nationalen Befreiungsarmee ELN und der Regierung von Juan Manuel Santos in Quito ausgehandelten 100 Tage Waffenruhe waren am 10. Januar verstrichen. Die Dialogpartner*innen, die in Ecuador über den Frieden verhandeln, waren gerade dabei, in die nächste Gesprächsrunde einzutreten, als die Frente Domingo Laín die Angriffe auf die Infrastruktur der Ölförderungsgesellschaft und die Marine verübte, die in klarem Widerspruch zu den seit Februar 2017 im Nachbarland verhandelten und letztendlich erzielten Ergebnissen stehen. Nach diesen Vorfällen ist nun wieder alles offen. Nachdem bekannt worden war, dass die ELN Attentate in Arauca und Casanare verübt hatten, zog der kolumbianische Präsident den kürzlich zum Leiter der Verhandlungskommission ernannten Gustavo Bell aus Quito ab und beorderte ihn zurück nach Bogotá, wo er bis auf weiteres tätig ist.
„Wir aus den am meisten betroffenen Gebieten bitten darum, dass die derzeitige Lage von außen analysiert und geklärt wird, wie es zum Wiederaufflammen den Konflikts kommen konnte, und dass dabei besonderes Augenmerk auf das Wohl unserer Gemeinden gerichtet wird. Die Friedensgespräche müssen so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden“, erklärte Rodríguez von der Nichtregierungsorganisation CONAFRO (Nationales Bündnis der Afro-Kolumbianer*innen). Sicher habe es auf beiden Seiten Irrtümer und Brüche des Waffenstillstandsabkommens gegeben, nun müsse man aber in die Zukunft schauen und sich mit Bedacht auf die kommenden Wahlen vorbereiten. Sollte sich der Krieg im Chocó wieder intensivieren, „dann werden diese ganzen kleinen illegalen bewaffneten Gruppen, die von der Waffenniederlegung der FARC profitieren, und die korrupte Politiker-Kaste, die am Krieg gewinnt, die Situation und die Angst in der Bevölkerung zu ihrem Vorteil nutzen. Und wir, die Bewohner*innen der betroffenen Gebiete, stehen wie immer mittendrin und müssen die Konsequenzen ausbaden“, so Rodríguez weiter.
ELN sieht Schuld bei der Regierung
In ihren Mitteilungen und in sozialen Netzwerken versichern hingegen Kommandant*innen und Friedensabgeordnete der ELN, das „Regime“ sei schuld daran, dass der Waffenstillstand keine spürbare Erleichterung für die Bevölkerung gebracht habe. Die Regierung habe ELN-Camps im Chocó angegriffen und damit das Abkommen zuerst verletzt. Als die ELN ein Treffen mit der Bevölkerung einberufen habe, habe sie ihre Truppen mobilisiert.
Die Uneinigkeit darüber, wie die verschiedenen Brüche des Waffenstillstandsabkommens zu werten seien, veranlasste die Guerilla dazu, sich aus der Arbeits- und Prüfungskommission zurückzuziehen, die im Friedensprozess mit der FARC (die sich zur politischen Partei umformiert hat) bis zur endgültigen Waffenniederlegung und Zerstörung der Kriegsgeräte konstruktiv zusammengearbeitet hatte. „Bis Dezember haben wir an einem Tisch zusammengesessen, um die Differenzen zwischen der Kommission und der Regierung auszugleichen. Da die kompromisslose Haltung der Regierung keine Zusammenarbeit ermöglicht, zieht die ELN ihre Konsequenzen und beruft ihre Vertreter*innen aus der Kommission ab“, so Oscar Serrano, Pressechef der Friedensdelegation in Quito. Während des Waffenstillstands zwischen September 2017 und Januar 2018 kam es zu 40 gewaltsamen Vorfällen. Nur fünf davon wurden durch die Kommission verhandelt. Die UN warten derzeit auf eine Antwort der Regierung bezüglich der Fortsetzung des Waffenstillstands, um gegebenenfalls ihre Mitarbeiter*innen in der Prüfungskommission zu belassen.
Als Chef der Regierungsdelegation muss sich nun Gustavo Bell der Krisensituation stellen. Präsident Juan Manuel Santos habe ihn gebeten, an dem Treffen mit dem UN-Generalsekretär teilzunehmen. Nach dem Gespräch werde entschieden, ob die kolumbianische Regierung den Dialog fortsetzen will, so Bell. Er selbst warte diesbezüglich auf weitere Anweisungen des Präsidenten. Nun sei die Regierung am Zug, so lautet die Einschätzung aus den ELN-Camps. Auch Kommandant Uriel von der Frente de Guerra Occidental, die einen großen Teil der Provinz Chocó dominiert, vertritt diese Ansicht auf seinem Twitter-Account.
Ein Waffenstillstand allein ist nicht die Lösung
Nach Ansicht von Analysten wie Victor de Currea Lugo ist es „die Schuld der Regierung, dass die ELN immer mehr an Boden gewinnt. Die Gebiete, aus denen die FARC sich zurückgezogen hat, hat sie einfach sich selbst überlassen, statt sie vor dem Vormarsch der Paramilitärs zu schützen“. Der Mediziner, der bereits mehrere Bücher speziell über diese Guerilla geschrieben hat, vertritt die Ansicht, dass der Friedensprozess sich nicht ausschließlich auf das Waffenstillstandsabkommen konzentrieren, sondern auch andere wichtige Ziele ins Auge fassen solle, „aber dieses ständige, völlig unnötige Bestreben, die eigene Macht in diesem Gebiet zu demonstrieren, stellt alles andere in den Schatten.“
Rodríguez hingegen ist der Ansicht, die Gespräche seien in eine falsche Richtung gelaufen. „Erinnern wir uns, dass diese Pazifikregion sich für Frieden entschieden hat. Ein beidseitiges Waffenstillstandsabkommen kann jedoch nicht mehr leisten, als dem Land Leid zu ersparen. Der Konflikt selbst wird dadurch jedoch am Leben gehalten. So wird es immer schwieriger, in der Zukunft ein Vertrauensverhältnis herzustellen.“ An die ELN gerichtet, erklärt der junge Afrokolumbianer: „Wenn die ELN sich als Nationale Befreiungsarmee begreift, soll sie bitte nicht die Menschen vergessen, die am allermeisten unter der Situation zu leiden haben, statt sich immer nur auf ihren Groll und den bewaffneten Kampf zu konzentrieren.“
Ricardo Alvarado, Gouverneur von Arauca warnte: „Wir verfallen in unsere alten Irrtümer, verwechseln Schüsse mit Argumenten und Gremien zur Entwicklung von Ideen.“ Beide Provinzen fordern eine rasche Beendigung der Krise, die bereits mehrere Menschenleben gefordert hat. Viele weitere Regionen Kolumbiens schlossen sich per Brief dieser Forderung an.
„Alle sprechen vom Frieden, aber wir fragen uns wo er bleibt” von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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