(Berlin, 14. Dezember 2021, npla).- Im Oktober dieses Jahres erhielten wir im Rahmen der Gira europea por la Vida des EZLN (Ejercito Zapatista de Liberación Nacional) Besuch von der zapatistischen Delegation in Berlin. Nach mehreren Monaten der Vorbereitung und der Ungewissheit aufgrund zahlreicher pandemiebedingter Beschränkungen fand das langersehnte Treffen statt. Wir erlebten eine Woche voller Aktivitäten, Begegnungen und Emotionen. Radio Matraca berichtete über mehrere Treffen und sendete die Live-Übertragung der Noche Cultural. Die Veranstaltung war von verschiedenen migrantischen Kunstinitiativen der Stadt organisiert worden, die ihre Präsentationen an diesem Abend unter das Motto „Kunst und Widerstand“ stellten. Durch den Abend führte das Kollektiv Radio Matraca.
– Wir begleiten die zapatistische Delegation auf ihrer Rundtour für das Leben, für die Würde, für die Rebellion und gegen den kolonialen Kapitalismus. Hinter uns liegen intensive Tage. Am Sonntag kam die Delegation von einem Ort auf dem Land nach Berlin, und am Montag haben wir uns getroffen. Neben mir steht Dalis, eine der Organisator*innen dieses Treffens der zapatistischen Compas mit Kunstkollektiven, die Kunst als eine Form des Widerstands einsetzen. Erzähl uns ein wenig darüber, wie die Idee entstand und was für heute Abend geplant ist.
– Hallo und erst einmal vielen Dank an alle, die uns zuhören, danke, dass ihr mit dabei seid. Als wir hörten, dass die Compas hierher kommen werden und dass sich die Leute überall in Europa auf ihren Besuch vorbereiten, wollten wir in irgendeiner Weise dazu beitragen. Ihre Politik ist für uns immer wieder eine wichtige Inspiration, und wir haben große Achtung vor ihnen und ihrer Arbeit. Für viele von uns ist Kunst eine Form des Widerstands, hier in diesem Raum weit weg von unserem Zuhause. Die Delegation ist hierhergekommen, um sich auszutauschen, um zu hören, wie der Widerstand in diesem Teil der Welt aussieht, mit welchen Konflikten wir konfrontiert sind. Die Compañeros und Compañeras, die in Berlin leben, haben auch einige spannende Dinge zu erzählen, und ich denke, was den Kampf der lateinamerikanischen Völker angeht, sind wir uns alle einig. Wir wollten den Rahmen dieser Veranstaltung nutzen, um über Kunst als Form des Widerstands zu sprechen und uns gleichzeitig zu fragen, ob Widerstand auch eine Form von Kunst sein kann.
– Wir stehen gerade im Zentrum des Geschehens, um uns herum bereiten die Leute das Essen vor, das es nachher geben wird. Neben mir steht jetzt auch eine der Performer*innen. Magst du dich vorstellen?
– Ich bin Michéle Felix Escalante.
– Herzlich willkommen. Du wirst ja gleich auf der Bühne zu sehen sein. Was für eine Art Performance wirst du machen?
– Ich würde es nicht unbedingt Performance nennen. Was ich vorbereitet habe, ist eine Neuinterpretation eines traditionellen Tanzes aus dem Nordwesten Mexikos, aus den indigenen Gemeinschaften der Mayo Yoreme und der Yakis-Kultur im Bundesstaat Sonora.
– Neben mir steht jetzt auch noch unser Compañero Tomás. Du warst gestern bei der Kundgebung auf dem Oranienplatz – ein sehr symbolträchtiger Ort in Berlin. Er ist immer wieder Schauplatz des Kampfes für die Rechte von Migrant*innen – daran erinnert auch ein Mahnmal. Erzähl uns doch ein wenig über den Besuch der zapatistischen Delegation auf dem O-Platz.
– Erst einmal danke an alle, die den heutigen Abend mit organisiert haben. Das Treffen gestern war sehr speziell und sehr interessant, weil es gleichzeitig auch ein Treffen verschiedener Migrant*innengruppen war, und daraus ergab sich dann so eine ganz besondere interkulturelle Dynamik, das war sehr interessant.
Zu den anwesenden Kollektiven und Künstler*innen zählten die Musik- und Aktionsgruppe Comunidad Sikuris Berlin, die Aktivist*innen des Bloque Latinoamérico, die Lateinamerikanische und Karibische Fraueninitiative LAFI, die Gruppe Mawvn, Eli Wewentxru, Michel Felix Escalante und viele in Berlin lebende lateinamerikanische Künstler*innen. Der reichhaltige Gedankenaustausch wurde mit traditionellen indigenen Köstlichkeiten aus verschiedenen Regionen Lateinamerikas gewürzt: Mazamora de maíz, Causa, Aji, Kartoffeln.
– Die Leute stehen schon in langer Schlange für das Essen an, kein Wunder, es sieht auch wirklich super aus. Mal sehen, was ist denn das zapatistische Menü? Rebellischer Maispudding mit subversiven Bohnen, lecker. Als nächstes sprechen wir mit Ana, künstlerische Leiterin der Comunidad Sikuris.
– Hallo und vielen Dank an Radio Matraca an diesem spektakulären Abend, an dem so viele Kollektive teilnehmen. Herzliche Grüße in die Runde von der Comunidad Sikuris Berlin. Wir pflegen die uralten musikalischen Traditionen unserer Vorfahren in den Anden.
– Ich gebe das Mikro weiter an einen Compañero, der sich spontan zu uns gestellt hat, um uns von sich zu erzählen. Du bist Mexikaner, aha. Und wie heißt du?
– Ich bin Nestor Felipe Martinez Quinteros.
– Warum bist du hier bei diesem zapatistischen Treffen?
– Ich lebe seit 10 Jahren in Berlin. Meine Freundin macht gleich den Tanz der Hirsche, sie hat mich mitgenommen. Der Tanz der Hirsche gehört zu den prähispanischen Traditionen. Er hat nur überlebt, weil man ihn an die christlichen Rituale im Nordwesten Mexikos in der Region Sonora-Sinaloa anpassen konnte. So gibt es jetzt in der Karwoche ein Ritual, das indigene Tänze mit christlichen Tänzen vermischt.
– Hier steigt so langsam die Stimmung, die Leute essen, die Bühne wird mit Kerzen hergerichtet, das hat was Rituelles, wie beim Empfang der zapatistischen Delegation. Der Zapatismo ist ja auch eine Form der spirituellen Politik, daher würde ich sagen, die Dekoration entspricht der Größe und Bedeutung dieses wichtigen Besuchs. Die meisten von uns hier sind wahrscheinlich Mestizes, und viele von uns identifizieren sich sehr mit der indigenen Politik und folgen ihr in eine offenen Zukunft, und ich denke, dass dies auch die Position von Radio Matraca ist, ein Kollektiv von Migrant*innen und Mestizes, die sich einer rebellischen und offenen Politik verschrieben haben. Einer der Gründe, warum wir uns entschieden haben, Aktivitäten mit der zapatistischen Delegation zu planen, war auch, bestimmte Leute wiederzutreffen, die hier in Berlin leben. So wie Etna, Afrokolumbianerin, Aktivistin, Feministin, nun ja, eine ganz tolle Person und langjährige Freundin. Hey Etna, was für eine schöne Überraschung.
– Hallo. Ich bin Etna Martínez. Wahrscheinlich sind wir alle aus dem gleichen Grund hierhergekommen: um uns mit den zapatistischen Compañeras und Compañeros auszutauschen, um uns von ihren Kämpfen, ihren Ideen, ihren Entwicklungen inspirieren zu lassen und um ein wenig Kraft und Hoffnung zu tanken. Leider ist es der kolumbianischen Gesellschaft ja nicht gelungen, aus dieser jahrzehntelangen Spirale der Gewalt auszusteigen, der Friedensvertrag hat anscheinend die Türen geöffnet für neue Kriege, neue Zyklen der Gewalt, der Angst, der Vertreibung, aber es gibt in Kolumbien auch knallharte wirtschaftliche Interessen, ein ökonomisches Projekt, das entschlossen ist, unsere Ressourcen zu plündern und das Volk auszurauben, und solange dieses wirtschaftliche Vorgehen nicht grundlegend hinterfragt und radikal umgestaltet wird, wird sich die Hoffnung auf Frieden und Demokratie in meinem Land wohl nicht erfüllen.
– Du arbeitest auch mit rassifizierten Gruppen, oder? Was genau macht ihr hier in dieser Stadt?
– Ich bin Vorsitzende der Lateinamerikanischen Fraueninitiative in Neukölln. Wir befassen uns mit der kritischen Reflexion von Migration, hinterfragen Integration als einzig möglichen Weg und wollen der deutschen Gesellschaft die Verantwortung dieses Landes für die Miseren in unseren Ländern vor Augen halten. Wir wollen einen Austausch ermöglichen, eine Brücke schlagen, um eine kritische radikalfeministische Perspektive auf die Globalisierung des Kapitalismus zu entwickeln.
– Ich würde auch gern Eli Wewentxu noch begrüßen und fragen, ob sie ein paar Worte sagen möchte, aber ich sehe, dass sie sich gerade auf ihren Auftritt vorbereitet… Oh, da kommt sie. Eli Wewentxu, Geigerin, Mapuche, Migrantin. Hallo!
– Zunächst einmal vielen Dank für die Einladung, mari mari kom pu che, für mich ist das hier etwas ganz Besonderes und gleichzeitig ganz Vertrautes. Allein wenn euch sprechen höre, fühle ich mich meinen Leuten ganz nah, und es ist auch sehr bewegend, euch hier zu treffen, so weit von zu Hause, das gibt einem wirklich Kraft. Heute möchte ich einige meiner Kompositionen spielen. Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, meine Geschichte zu erzählen. Die Kompositionen haben also viel mit meiner Identität zu tun, und ich habe auch ein bisschen versucht, die Ästhetik der Geige zu brechen und von der starren Technik abzuweichen, mit der man diesen permanent sauberen Klang erzeugt.
Mit dem rebellischen Klang der Mapuche-Geige verabschieden wir uns aus der zapatistischen Nacht der Kulturen. Mehr Infos über die Gira de la Vida findet ihr in unserem Audiobeitrag. Mit der bevorstehenden vierten Welle kommen neue politische Maßnahmen auf uns zu, die über die Betrachtung von COVID-19 als gesundheitliches Phänomen weit hinausgehen. Der Vormarsch einer oben konstruierten neuen Normalität leistet Ungleichheit, Angst und Gewalt Vorschub, dagegen wollen wir dem Widerstand von unten eine Stimme geben, die Rolle von Kunst und Kultur neu überdenken, ihre verbindende Kraft wertschätzen und mit ihrer Hilfe kollektive Räume der gegenseitigen Fürsorge aufbauen.
Noche Cultural – Die Zapatistische Nacht der Kulturen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Ich wäre gerne dabei gewesen. Ich habe selbst acht Jahre in Mexico gelebt und vor allem die Diskriminierung im eigenen Land gesehen. Ich wollte meine Hermanas und hermanos kennenlernen. Leider wurde über den offiziellen Weg nie geantwortet. Que tengan una buena noche todos. Cuidanse