(Santiago, 23. Juli 2021, Revista Universitaria U.C.).- Elisa Loncón hat einen Traum: dass ihre Sprache Mapudungún als Unterrichtsfach an chilenischen Schulen gelehrt wird. Ihr lebenslanger Kampf gegen Ausgrenzung und Diskriminierung hat ihr gezeigt, dass es kein Mangel, sondern eine Bereicherung ist, eine andere Sprache zu sprechen. Bei ihren Reisen in andere Länder und Kontinente hat die Mutter einer Tochter sich im akademischen Kontext für die Wahrnehmung ihres Volkes und seiner Kultur eingesetzt. In Chile gilt sie als starke Stimme für den Gesetzesentwurf zur Sicherung der sprachlichen Rechte der indigenen Völker, der dem Kongress seit zwei Jahren vorliegt. „Wenn sie uns keinen politischen Rückhalt gewähren, bringen sie unsere Kultur zum Schweigen“, warnt die 53-Jährige. An der Konzipierung des Gesetzesentwurfs, der die Sprache als Menschenrecht und grundlegendes Element der Integration begreift, hatte sie selbst mitgearbeitet.
Ich klopfe unangekündigt an die Tür ihres Büros an der Universität von Santiago. Hier verbringt die Akademikerin einen großen Teil des Tages damit, Texte zu korrigieren und ihren Unterricht vorzubereiten – mit Hingabe und Pflichtgefühl, denn es geht um den Erhalt der indigenen Kultur und Tradition. Ihr Einsatz für die Wahrnehmung der Mapuche-Kultur im In- und Ausland und für die Rechte ihrer Sprache ist ein persönlicher und kollektiver Kampf um die Bewahrung ihrer Identität und der Identität des Volkes, dem sie ihr Leben verdankt.
Aufgewachsen in der Nähe von Traiguén in der Region Araucanía, erlebte sie den Beginn eines Auflösungsprozesses, der ihre Traditionen und Riten und ihre Sprache betraf und von dem sie hofft, dass er nicht zum Verschwinden ihrer Kultur führen wird. Als Universitätsstudentin entdeckte sie für sich den Stolz, Mapuche zu sein und Mapudungún zu sprechen, so laut und deutlich, wie sie es heute noch tut. Eine Schlüsselerfahrung während ihrer Reisen in verschiedene Länder war die Teilnahme an einem Lehrprojekt in Mexiko, bei dem in den Schulen in insgesamt 56 Sprachen unterrichtet wurde, immer in den jeweils praktizierten Sprachen der Region.
Loncón schloss ihr Studium als Englischlehrerin an der Universidad de La Frontera ab. 1986 erhielt sie ein Stipendium des Instituts für Sozialwissenschaften in Den Haag und anschließend ein weiteres von der Universität von Regina (Kanada). Sie absolvierte ein Master-Studium in Linguistik an der Universidad Autónoma Metropolitana, Iztapalapa UAM-I (Mexiko) und ist Doktorandin der Linguistik an der Universität Leiden (Niederlande). Derzeit arbeitet sie als Dozentin an der Universität von Santiago und gibt einige Kurse an der literaturwissenschaftlichen Fakultät der Universidad Católica. Seit mehreren Jahren ist sie in verschiedenen Projekten zur Förderung der Verbreitung des Mapudungún aktiv, so arbeitet sie zum Beispiel mit an der Erstellung von Lehrbüchern für Schulkinder von der ersten bis zur vierten Klasse.
Die unerwünschte Kultur wurde mit dem Stock ausgetrieben
Elisa wurde in einer Gemeinde namens Lefweluán geboren, was so viel bedeutet wie „Halteplatz der Lamaherden“. Ihre Eltern Juan Loncón und Margarita Antileo hatten sieben Kinder. Zuhause sprach man Spanisch und Mapudungún. Seit ihrer Kindheit pflegt sie eine besondere Beziehung zu Sprachen und assoziierte den Umgang mit Worten mit positiven Gefühlen. „Ich bin mit dem Privileg aufgewachsen, in zwei Sprachen zu spielen, zu sprechen und mich auszudrücken“. Ihr Vater habe gewollt, dass alle seine Kinder zur Schule gehen, obwohl es in den indigenen Gemeinden große Vorurteile gegen Schulen gab, da es verboten war, die Sprache der Mapuche zu sprechen. Elisa besuchte also eine Schule, in der es nur einen Lehrer gab, und ging dann zur Universität.
-Waren Ihre Eltern in der Schule?
-Meine Mutter hat drei Jahre lang die Grundschule besucht, mein Vater ist nie zur Schule gegangen. Aber das Lernen hat ihn immer sehr fasziniert, im Alter von 17 Jahren hat er auf einem Bauernhof lesen gelernt. Als Kind wollte er zur Schule gehen. Er ging arbeiten und sparte das Geld für die Schulbücher und alles, aber ein Onkel warnte meine Großeltern, dass er in einer Schule lernen würde, sich für seine Familie und seine Wurzeln zu schämen mit dem Ergebnis, dass er ihnen dann nicht mehr gehorchen würde. Es sei nicht gut, wenn er zur Schule ginge. Und im Grunde traf das exakt zu. Das Bildungssystem hat eine ganze Generation ihrer Sprache beraubt und sie gelehrt, dass es etwas Nutzloses, Unreines, Schmutziges und Wertloses ist, indigen zu sein und eine eigene Sprache zu haben. Das ging so weit, dass man Kindern den Mund mit Seife auswusch, wenn sie Mapudungún sprachen. So heftig war das damals.
-Haben Sie so etwas auch erlebt?
-Nein, bei uns gab es Prügelstrafen mit Ruten und langen Stöcken, oder man musste zur Strafe auf den Steinen knien. Meine Kommilitonen an der Uni erzählten solche Geschichten, wie ihnen der Mund ausgewaschen wurde oder davon, wie die Jungs geschlagen wurden.
-Was hatte der Schulbesuch noch so für Folgen?
-Mein Vater zum Beispiel hat die sozialen Zwänge der chilenischen Kultur nicht so verinnerlicht, deshalb ist er kein Patriarch. Bei meiner Mutter war das anders, sie kam aus einer evangelisch orientierten Mapuche-Familie. Da mein Vater nicht durch die Kirche oder die Schule sozialisiert worden war, hatte er eine viel freiere Art zu denken.
-Hat man das bei Ihnen zu Hause gemerkt, zum Beispiel bei der Aufteilung der Hausarbeit?
-Oh ja, in allem, auch in der Erziehung haben sie sich hervorragend ergänzt. Wir gingen alle in die Stadt, um Gemüse und Eier zu verkaufen. Wir Kinder halfen im Gemüsegarten, auf dem Bauernhof, kümmerten uns um die Tiere, wir hatten außer Hühnern noch Schweine und Schafe. Meine Mutter hat uns eingeteilt. Mein Vater hat sich selbst beigebracht, Möbel zu bauen und eine eigene kleine Werkstatt eingerichtet. Um uns herum wurde immer viel produziert, geackert und im Team gearbeitet.
-Wie war die Stimmung innerhalb der Gemeinschaft, in der Sie lebten?
-Unsere Gemeinde lag ganz in der Nähe von Traiguén. Sie bestand aus 15 Familien, und schon als wir Kinder waren, war sie schon recht gemischt, es gab Chilenen, die mit Mapuche verheiratet waren, „Mapuchisierte“, die Mapudungún sprachen, und auch andersherum. Auf lange Sicht ging die Tradition damit verloren, und die kulturelle Assimilation schritt ziemlich schnell voran. Schon als ich ein Kind war, wurde der Ort der Guillatún-Zeremonie in Traiguén in eine Mülldeponie umgewandelt. Stellen Sie sich das mal vor: ein heiliger Ort voller Müll mitten in der Gemeinde. Schrecklich. Wir Kinder sammelten den Abfall auf, wir taten, was wir konnten, aber die Armut war eben auch sehr groß. Davon abgesehen sind meine Kindheitserinnerungen wunderschön. Wir waren eine große Familie, etwa 14 Personen mit Onkel, Tanten und Cousins. Außerdem kamen immer Leute, die ihr Land und ihr Zuhause verloren hatten. Unsere Tür war jederzeit offen. Jetzt leben meine Eltern immer noch in Traiguén.
Das Emblem der Mapuche
Die Fahne, die heute in verschiedenen Teilen des Landes weht, wurde in den 1990er Jahren entworfen, und Elisa Loncón hat an ihrer Gestaltung mitgearbeitet. Die Fahne spricht für die ethnische Zugehörigkeit und den Zusammenhalt des Volks der Mapuche.
Sprache, eine Naturgewalt
Elisas intellektuelle Prägung ist untrennbar verbunden mit der starken mündlichen Kultur in ihrem Elternhaus: Man erzählte uralte Geschichten, man unterhielt sich, hörte die Nachrichten im Radio, sang und tanzte. „Ein Onkel von mir war ein fantastischer Geschichtenerzähler und brachte uns oft zum Lachen. Mein älterer Bruder Ricardo ist Dichter. Er spielte in einem Theaterstück von Manuel Rodríguez mit, das wir alle auswendig kannten“, erzählt Loncón. Ihre Eltern sparten, um Bücher zu kaufen. „Wir lebten in einer Hütte mit lehmigem Boden, aber wir hatten Bücher über Geschichte und Philosophie. Ich war ein großer Fan von Sokrates und Plato.“ Das traditionelle Wissen und die alten Riten prägten ihren weiteren Werdegang. Schon früh wurde ihr klar, dass Sprache eine Naturgewalt ist. Ihr ständiger Beiname im Mädchengymnasium in Traiguén: „die Indianerin“. Ihren Schulbesuch erinnert Loncón als eine eher unfrohe Zeit voller Einsamkeit und Ausgrenzung. Dennoch beschloss sie 1980, zum Studium nach Temuco zu gehen.
-Wie ging es an der Uni weiter?
-Ich ging in den 1980er Jahren nach Temuco. In meinem Studentenheim kam ich mit anderen jungen Indigenen zusammen, das war ein echtes Glück für mich. Wir sprachen Mapudungún miteinander, und das empfand ich als sehr bereichernd und befreiend, nachdem ich meine Sprache so lange hatte verstecken müssen. Aucán Huilcamán lebte auch dort. Er konnte Zeremonien wie die Rogativa leiten. Das war super, denn er kannte die Regeln perfekt, und dadurch hatte ich die Chance, die Zeremonien besser zu verstehen. Es waren schwierige Zeiten, also engagierten wir uns in der Organisation Admapu, die während der Diktatur gegen das Gesetz zur Aufteilung der Gemeinden kämpfte.
-Sie haben auch an der Gestaltung der Mapuche-Fahne mitgewirkt. Wie kam es dazu?
-1990 gründete sich die Organisation Consejo de Todas las Tierras, und da habe ich mitgemacht. Wir haben viel über die Wiedererlangung unserer Autonomie geredet und darüber, dass wir eine eigene Fahne brauchen. In 300 Gemeinden wurden Umfragen gestartet, und so bekamen wir wertvolle Informationen über Symbole und Farben, mit denen die Mitglieder unseres Volkes sich identifizieren konnten. Sogar Leute aus Argentinien nahmen teil. Es war für uns alle ein persönlicher und zugleich kollektiver „Entkolonialisierungs“-Prozess. Die Schule hatte uns alle „kolonisiert“, dort hatten wir gelernt, uns zu schämen, weil wir eine andere Sprache sprachen als der Rest der Chilenen. Mit der Gestaltung dieses Emblems wurde uns klar, was für einen großen Wert unsere Kultur hat, auch wenn sie anders ist.
-Was hat Ihnen das Studium in den Niederlanden gebracht?
-Ich kam 1987 in die Niederlande, zusammen mit anderen jungen Menschenrechtsaktivisten verschiedener Nationalitäten, und wieder einmal habe ich diese Vielfalt total genossen (…). Da waren Menschen aus Asien, Afrika und Neuseeland und wir Indigenen aus Chile. Als ich zurückkam, beschloss ich, nicht mehr Englisch zu unterrichten, sondern Mapudungún. Englischunterricht geben können alle, aber es gibt nur wenige Menschen, die Mapudungún sprechen, und davon noch viel weniger, die in der Lage wären zu unterrichten.“
Die Mapuche sagen: Das Land atmet durch die Sprache, Mapudungún ist die Sprache der Erde. So empfindet es auch Elisa, und darum widmet sie ihr Leben dem Erhalt dieser Sprache. Der Gesetzesentwurf über die sprachlichen Rechte der indigenen Völker Chiles wurde vom Netzwerk für die Bildungs- und Sprachrechte der indigenen Völker Chiles (Red EIB) ausgearbeitet, das von Loncón mitgegründet wurde. Er fordert die ausdrückliche Anerkennung der plurinationalen chilenischen Gesellschaft und der indigenen Sprachen der Aymara, Quechua, Mapuche, Rapa Nui, Likan Antay, Kaweskar, Selknam, Yagan, Diaguita und Colla durch den chilenischen Staat.
-Welche Bedeutung hat Mapudungún für die Kultur?
-Unsere Sprache vermittelt uns das Gefühl, als Mapuche Teil der Welt zu sein. Wir müssen diese Sprache verbreiten, wir haben keine andere Wahl.
-Und deshalb sind Sie nun zu diesem Feldzug für Ihre Sprache aufgebrochen.
-Genau, vor allem geht es darum, diese Sprache zu lehren. Als junge Frau habe ich mich viel mit der Sammlung von Lebensgeschichten beschäftigt, denn um unser Land zurückzugewinnen, mussten wir uns ein gemeinsames Narrativ erarbeiten.
-Wie würden Sie Ihre Sprache charakterisieren?
-Vom kulturellen Standpunkt aus würde ich sagen, du kannst mit dieser Sprache eine Vision der Welt ausdrücken, in der der Mensch mit der Natur verbunden ist. Mit anderen Worten, wir sind mit den Hügeln verbunden, und unsere Namen sind mit den Tieren, mit den Vögeln verbunden: Das ist unsere Identität.
-Und mit dem Gesetz über die Rechte der Sprachen wollen Sie Ihre Sprache schützen.
-Ja, der Gesetzentwurf sieht vor, dass sie als offizielle Rechte anerkannt werden, die immer schon Bestand hatten. Außerdem schlägt er die Gründung eines Instituts für indigene Sprachen vor, das eine Koexistenz-Politik dieser Sprachen mit dem Spanischen entwickeln soll. Diese Koexistenz müsste im gesamten öffentlichen Raum umgesetzt werden, nicht nur in Schulen, auch in Institutionen und in den Medien. Jedes indigene Kind soll das Recht haben, seine Sprache zu lernen, das wurde als grundlegendes Menschenrecht festgelegt: Wir sind Menschen, weil wir eine Sprache haben. Ohne diese politische Unterstützung haben wir als Kultur keine Überlebenschance. Dieser Ansatz ist also zutiefst menschlich. Die Politik hat dieses Niveau jedoch noch nicht erreicht.
-Warum wurde das Projekt nicht weiter vorangebracht?
-Das ist so: Die Bildungsreform berücksichtigt weder die Sprachen noch die indigenen Völker. Die Projekte zur Lehrerausbildung erwähnen sie nicht einmal. Das Inklusionsgesetz spricht von Vielfalt, bezieht sich aber weder auf die Sprache noch auf die Rechte der indigenen Völker. Die Verordnungen, die jetzt neu herauskommen, sollten die interkulturelle zweisprachige Erziehung ausdrücklich als aktuelle Bildungsmodalität anerkennen, um diesen Ansatz auf gesetzlicher Ebene weiterzuführen, aber sie tun es nicht.
-Versuchen Sie, in Ihrem Unterricht die verlorene Sprache und Kultur zu retten?
-Ja, wir lernen die Grundlagen und arbeiten mit Gebeten, Liedern und Tänzen. Ich nehme die Gruppen zum Beispiel mit zu einer traditionellen Hütte in La Pintana, dort müssen sie dann Mapudungún sprechen, sich vorstellen und so. Dann nehmen wir gemeinsam an einer Zeremonie teil und essen zusammen. Alles, was sie im Laufe des Jahres lernen, müssen sie dort anwenden. Wir müssen Räume für funktionale und praktische Anwendungsmöglichkeiten schaffen.
-Welches Wort magst du am meisten?
-Wir machen an der Universität gerade ein Programm, das mapudugufe heißt, das bedeutet: „mapudungún-sprachig“. Dieses Wort fasziniert mich einfach, weil es genau das benennt, was wir am meisten brauchen. Je mehr Menschen Mapadungún sprechen, desto besser.
Übersetzung: Lui Lüdicke
Elisa Loncón: Je mehr Menschen Mapudungún sprechen, desto besser! von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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