Pablo Neruda. Dichter, Konsul, Kommunist

(Berlin. 23. September 2023, npla).- Am 23. September dieses Jahres jährt sich zum fünfzigsten Mal der Todestag von Pablo Neruda, ein Anlass, an einen außergewöhnlichen Menschen zu erinnern. Als Schriftsteller und Poet, mit all seinem Wirken, war Neruda ein Hoffnungsträger für menschliche Verhältnisse, für Gleichheit und Solidarität mit den Namenlosen und Marginalisierten seines Kontinents. Er erhob seine Stimme gegen Ausbeutung, Faschismus und Ungerechtigkeit weit über den lateinamerikanischen Kontinent hinaus.

Gegen den Faschismus

Am 12. Juli 1904 wurde Ricardo Eliécer Neftalí Reyes Basoalto im südchilenischen Ort Parral geboren. Sein Pseudonym Pablo Neruda nahm er erst später an. Schon früh zeigte sich sein künstlerisches Talent. Er gewann Preise und veröffentlichte 1923 bereits sein erstes selbstfinanziertes Buch. In Santiago de Chile studierte er Französisch und Pädagogik. Ab 1927 trat er in den diplomatischen Dienst ein und war in den ersten Jahren in verschiedenen Ländern Südostasiens als Honorarkonsul tätig. Ab 1933 war er Konsul in Buenos Aires und wechselte ein Jahr später als chilenischer Konsul nach Spanien, erst nach Barcelona und danach nach Madrid. Am 17. Juli 1936 begann der Spanische Bürgerkrieg mit dem Putsch Francos. Für Neruda prägend war der Tod seines Künstlerfreunds Garcia Lorca, der von Franquisten erschossen wurde. Obwohl zu absoluter Neutralität verpflichtet, entschloss sich Neruda, sich gegen den Faschismus einzusetzen. Seine Werke wurden eindeutig politischer. Als die spanischen Putschisten kurz davor waren, Madrid zu erobern, musste er über Marseille nach Paris flüchten. Mit seinen spanischen Erfahrungen veröffentlichte er in Frankreich seinen Lyrikband „Die Dichter der Welt verteidigen das spanische Volk“. 1938 kehrte er zunächst nach Chile zurück, betätigte sich als Redakteur vieler Artikel gegen den weltweiten Faschismus, bevor ein Jahr später die Volksfront in Chile an die Macht kam. Von der chilenischen Regierung wurde er damit betraut, von Paris aus spanischen Flüchtlingen und Exilant*innen die sichere Überfahrt und Flucht nach Südamerika zu ermöglichen. In wenigen Monaten brachte er ca. 2.000 Verfolgte der Franco-Diktatur mit dem speziell dazu umgebauten Passagierdampfer Winnipek sicher nach Chile und rettete viele vor Verfolgung und Tod. Seine nächste Station war Mexiko, wo er drei Jahre neben vielen literarischen Tätigkeiten in der Funktion eines Generalkonsuls arbeitete.

Flucht aus Chile

Ab März 1945 trat er auf der Liste der Kommunistischen Partei Chiles als unabhängiger Kandidat an und wurde nach seiner Wahl Parteimitglied. Der amtierende Präsident Chiles änderte kurz nach gewonnener Wahl unter dem Einfluss des beginnenden Kalten Krieges radikal seinen politischen Kurs, der im Gegensatz zu seinem Wahlversprechen deutlich antikommunistisch wurde. Neruda kritisierte öffentlich diesen Sinneswandel aufs Schärfste, worauf ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde. Wie in Madrid entkam er in letzter Minute seinen Häschern und musste für die nächsten eineinhalb Jahre im Untergrund fast täglich seinen Unterschlupf wechseln. Die einfachen Leute Chiles hatten nicht vergessen, mit welchem Mut er Präsident González widersprochen hatte, und gaben ihm Zuflucht und Schutz. In dieser Zeit entstand sein großes Werk „Canto General“ („Der große Gesang“), eine umfangreiche Sammlung von 15.000 Versen, in denen er die leidvolle Geschichte des lateinamerikanischen Kontinents poetisch verarbeitete und  in immens vielen Beispielen und Bildern Landschaften, Natur und auch die Menschen Südamerikas nicht nur beschrieb, sondern ihnen auf in der Literatur Lateinamerikas einzigartige Weise eine Stimme gab. Ein weiteres Mal war eine Flucht unumgänglich. Mit Hilfe seiner Partei gelang die Flucht über unwegsame Bergpfade nach Argentinien und von dort mit gefälschtem Pass ein drittes Mal nach Paris.

Politisches Engagement bis zum Tod

Am zweiten Weltfriedenskongress 1950 in Warschau erhielt er zusammen mit Pablo Picasso den Friedenspreis. In den folgenden Jahren reiste Neruda in Europa, Indien, China zu einer Vielzahl von Friedenskongressen und setzte sich öffentlich für demokratische Verhältnisse, Sozialismus und gegen Faschismus und die Unterdrückung der Völker ein. Nach seiner erneuten Rückkehr in seine Heimat wurde Neruda von der Kommunistischen Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert, verzichtete aber zugunsten seines Freundes und Parteigenossen Salvador Allende, ebenfalls Kandidat des Wahlbündnisses Unidad Popular, auf seine Kandidatur. Allende gewann die Präsidentschaftswahl 1970. Dazu überredet, wurde Neruda erneut Botschafter in Frankreich. Im Oktober 1971 folgte die Verleihung des Nobelpreises für Literatur in Stockholm, aber sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend.

Der 11. September 1973 änderte alles. An diesem Tag begann der Militärputsch reaktionärer Kräfte unter General Pinochet gegen die demokratisch gewählte Regierung Unidad Popular. Die vollkommene Zerstörung eines ersten sozialistischen Versuchs, Chile ein menschliches Gesicht zu geben, nahm ihren Lauf. Zwölf Tage nach dem Putsch, am 23. September, starb Pablo Neruda. Nie wurde geklärt, ob er seiner Krebserkrankung erlag oder an den Folgen einer mit Absicht verabreichten tödlichen Spritze starb. Nach seinem Tod wurde sein Haus vom Militär geplündert und zerstört. Seine Beerdigung fand lediglich im Beisein seiner Frau und weniger Getreuer statt. Es war ein letztes Zeichen für Menschlichkeit und Solidarität für die Unterdrückten, die Vergessenen und Rechtlosen Lateinamerikas. Soldaten mit vorgehaltener Maschinenpistole waren als stumme Bedrohung bei der Zeremonie anwesend und beobachteten das Geschehen.

Der Große Gesang

Der Höhepunkt seiner schriftstellerischen Entwicklung bildet Nerudas Zentralwerk „Canto General“. Der umfangreiche Gedichtband wurde in unzählige Sprachen übersetzt. In bildhaften Assoziationen erscheint die Komplexität des gesamten Spektrums Südamerikas. Neruda, der sich selbst stets als Dichter des Volkes begriff, verbindet  literarisch die historischen Befreiungskämpfe des Kontinents, die kalten Winde seiner Heimat, die Verbrechen der Usurpatoren, die Schönheit der Vögel des Dschungels und das Leuchten des Meeres und schafft damit ein gedankliches Universum von Menschen, Natur, Tieren, Pflanzen, verbunden mit der Anklage gegen den Coca-Cola-Imperialismus. In Paris hatte Neruda den im Exil lebenden griechischen Komponisten Mikis Theodorakis kennengelernt. Auf Wunsch Allendes kam man überein, Teile des „Canto General“ in einem großen Oratorium zu vertonen. Geplant war die Aufführung des Werks im Nationalstadion in Santiago de Chile, doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Zum geplanten Zeitpunkt der Aufführung war das Stadion bereits in ein Konzentrationslager und Foltergefängnis der Putschisten umgewandelt worden. Zu gleicher Zeit befreite sich Griechenland von seinen faschistischen Obristen. Theodorakis konnte in seine Heimat zurückkehren, und als Symbol internationaler Solidarität wurde das Oratorium statt in Santiago in drei Konzerten im Sommer 1974 in Athen uraufgeführt. Vor mehr als hunderttausend frenetisch feiernder Griechen, die die Diktatur der Militärregierung kurz zuvor abgeschüttelt hatten, verband sich die Hoffnung, dass Gleiches auch in Chile möglich wäre. In den folgenden Jahren wurde das Werk an verschiedenen Orten der Welt aufgeführt.

Lyrik und Politik, Haupt- und Nebenwidersprüche

Selbstdarstellung oder die Stimme aus dem Elfenbeinturm waren nie Nerudas Sache. Kritiker nannten seine Lyrik banal, ja populistisch, er selbst jedoch hatte sich vorgenommen, den stummen und verstummten Menschen Lateinamerikas eine poetische Stimme zu geben, ungeachtet ihres Bildungsgrads. Sein Wirken war für Leute „ohne Schule und Schuhe“, wie er es ausdrückte. In seiner Autobiographie beschreibt er, wie er in einem Gewerkschaftslokal vor einfachen, schlechtbezahlten Arbeiter*innen seine Gedichte vortrug und die Zuhörenden zu Tränen rührte. Neruda verlieh den Worten Flügel, weil er von ihnen und für sie sprach. Seine Worte gaben den Namenlosen ihre Würde und ihre Träume zurück. Erwähnt werden muss aber auch, dass sich Nerudas Politikverständnis nicht unbedingt durch ein gründliches und tiefes analytisches Verständnis auszeichnete. Vieles begriff er oberflächlich, vielleicht naiv. Wie so manch anderer glorifizierte er zunächst die stalinistische Politik. Auch hat es keinen Sinn, sich dem Dichter mit den heutigen Erwartungen an eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien anzunähern: In seiner Autobiografie „Ich bekenne, ich habe gelebt“ gibt er zu, in Sri Lanka eine Frau, die seine Wohnung saubermachen sollte, vergewaltigt zu haben. Er verlies und verleugnete seine Tochter Malva Marina, weil sie an einer unheilbaren Krankheit litt.

Aber immer spürt man in seinem Werk den unbedingten Willen, am Aufbau eines menschlichen Sozialismus mitzuarbeiten und seine Person, sein Amt und seinen Einfluss in die Waagschale zu werfen. Neruda wurde als Verbündeter und Hoffnungsträger gesehen, der einen Schlussstrich unter die jahrhundertlange Ausbeutung und Menschenverachtung zog.

In diesem Augenblick, diesem Augenzwinkern der Agonie wissen wir, dass das Licht endgültig durch die halbgeöffneten Augen dringen wird. ….. Diese Hoffnung ist unwiderruflich.“

 

Die Satrapen

Nixon, Frei und Pinochet

bis heute, bis zu diesem

Monat September 1973

mit Bordaberry, Garrastazu und Banzer

gefräßige Hyänen

unserer Geschichte, nagend

an den Siegesfahnen, die errungen

mit so viel Blut und so viel Feuer,

steckengeblieben in ihren Vorgärten

Höllenhunde,

Satrapen, tausendmal schon verkauft

und Verräter, angestiftet

von den Wölfen aus New York,

Maschinen, hungrig nach Leiden,

funktionierend mit dem Blutopfer

ihrer gemarterten Völker

geldgierige, geschäftige Strichjungen, die

Brot und Luft Amerikas verschachern,

Kot, Jauchegruben, Rudel

von verräterischen Bordellfürsten

ohne anderes Gesetz als die Tortur

und den peinigenden Hunger des Volkes.

 

(Pablo Nerudas letztes Gedicht,

geschrieben September 1973)

 

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