(Bariloche, 16. Oktober 2023, agenciapresentes).- Mitte Oktober fand in Bariloche das 36. Plurinationale Treffen von Frauen, Lesben, Transvestiten, Trans-, bisexuellen, intersexuellen und nicht-binären Menschen in Bariloche statt. Insgesamt nahmen etwa 100.000 Menschen an den Workshops, den spirituellen Zeremonien der Mapuche, zwei Protestmärschen und einer Peña (ein Zusammenschluss von Personen, die gemeinsam an musikalischen, kulturellen oder sportlichen Aktivitäten teilnehmen) teil.
Am Ende des Wochenendes wurde einstimmig beschlossen, dass das nächste Treffen in Jujuy stattfinden wird. Jujuy ist die Provinz mit der größten indigenen Bevölkerung und einem andauernden politischen Konflikt nach der Verfassungsreform von Gouverneur Gerardo Morales. Wie jedes Jahr wurde die Entscheidung über den nächsten Tagungsort am Morgen nach dem Protestmarsch des Treffens getroffen.
Machi Betiana an der Spitze des Protestmarsches
Die Kraft, mit der die Machi (spirituelle Autorität der Mapuche) Betiana Colhuan und Frauen aus verschiedenen indigenen Gemeinschaften den Marsch eröffneten, hallte lange nach. Der Klang des Holzes der Mapuche-Palinen, die laut auf das Pflaster der Straßen schlugen, rief Newen (‚Kraft‘ auf Mapudungun, der Sprache der Mapuche) herbei. Ein Tanz von Kriegerinnen eröffnete den Weg für die Machi. Sie rückte vor, schlug laut ihre Trommel, lächelnd, aber auch mit einer Haltung der Wachsamkeit. Bewacht wurde sie von anderen Aktivist*innen aus dem Frontblock, aus dem Rauch aufstieg. Diese Kraft der Plurinationalität öffnete den Weg für die mehr als 70.000 Menschen, die der Machi folgten und mehr als drei Kilometer durch Bariloche zogen.
Vor einem Jahr wurde die Machi Betiana zusammen mit sechs anderen Frauen festgenommen. Sie waren wenige Tage vor dem 35. Plurinationalem Treffen in San Luis verhaftet worden. Zuvor hatte die von der Präfektur abhängige Albatros-Gruppe (ein Sondereinsatzkommando der argentinischen Marinepräfektur, die sich in der Provinz Buenos Aires befindet) eine repressive Räumungsaktion in der Gemeinde Lafken Winkul Mapu am Ufer des Mascardi-Sees südlich von Bariloche durchgeführt. Diese Nachricht fand während des Treffens im letzten Jahr großen Wiederhall und es wurde lautstark die Freilassung der inhaftierten Mapuche-Frauen gefordert. Damals wurde auch beschlossen, dass der Veranstaltungsort in diesem Jahr Bariloche sein wird, um sie zu unterstützen.
Der Protestzug
Die indigenen Frauen kamen vom Treffpunkt im Alto, einem Viertel von Monoblöcken im höchsten Teil der Stadt. Es waren vor allem die Aktivist*innen des Movimiento de Mujeres y Diversidades por el Buen Vivir und des Tercer Malón de la Paz. Unter ihnen waren Aurora Choque aus der indigenen Gemeinde Inti Yaku Apu Coyamboyq in Coranzuli, Jujuy; die 19-jährige Milagros Lamas aus Salinas Grandes, und andere indigene Aktivist*innen, die seit mehr als zwei Monaten friedlich vor dem Obersten Gerichtshof in Buenos Aires ausharren. Dort warten sie darauf, dass die Forderungen des Dritten Malón de la Paz gehört werden: die Aufhebung der Reform von Jujuy und eine nationale Intervention in der von Gerardo Morales regierten Provinz. Ihre Forderungen bildeten einen wichtigen Teil des Marsches und generell der Agenda des Treffens.
Hinter den indigenen Frauen marschierte das Organisationskomitee mit dem Banner des Treffens. Feministische Gruppen und Gruppen für sexuelle Vielfalt, Gewerkschaften, Studentenbewegungen, politische und kulturelle Organisationen folgten. Nach Angaben der Organisator*innen war es eine der größten Demonstrationen der letzten Jahre in Bariloche.
Transvestiten und Transfrauen marschierten mit ihren Bannern und forderten historische Wiedergutmachung. Auch die Forderung Donde está Tehuel (Tehuel de la Torre ist ein junger Transmann, welcher im März 2021 spurlos verschwunden ist) war sehr präsent.
Der Marsch führte an der Kathedrale vorbei, ließ sonst aber viele der Sehenswürdigkeiten der Stadt aus, da er nicht wie ursprünglich geplant im Stadtzentrum begann. In vielen Abschnitten wurde die Teilnehmer*innen mit Freude begrüßt, sogar durch die Fenster von Wohnungen wank man ihnen zu. An einigen Straßenecken versammelten sich Frauen, um den Protestmarsch zu beobachten. Häufig stimmten sie in die gemeinsamen Gesänge mit ein:
„Lasst es uns hören, lasst es uns hören, dieses Gebiet gehört der Mapuche-Nation“.
„Hoch mit den Rechten, runter mit der Reform“.
„Plurinationale Kraft der Vorfahren“.
„Das gestohlene Land wird zurückgewonnen, geliebt, gepflegt und niemals verhandelt“.
„Machi hör zu, dein Kampf ist unser Kampf“.
Unruhen und vorzeitiges Ende
Es gab auch Momente, in denen vermummte und mit Stöcken bewaffnete Personen von außerhalb des Protestmarsches Unruhe stiften wollten. Die indigenen Frauen positionierten sich, indem sie ihren Kreis schlossen, um die Machi zu schützen und deutlich zu machen, dass diese Leute nichts mit ihnen zu tun hatten.
Als es bereits dunkel war und der Protestzug die Allee entlang ging, die an den See grenzt, wurden die indigenen Frauen, die den Marsch anführten, von Gruppen von Frauen überholt, die in Kolonnen hinter ihnen marschierten. Es war ein angespannter Moment des Drängelns, Schubsens und Rennens. Die indigenen Frauen liefen weiter, da sie nicht wussten, in welche Richtung sie den Hang zum Endpunkt, dem Velodrom, hinaufgehen sollten.
Angesichts der Schwierigkeit, voranzukommen, beschlossen sie, den Marsch einige Meter vor dem Eingang des Velodroms zu beenden. Dort skandierte eine Gruppe von der Bühne aus einige indigene Parolen.
In einem kleinen Kreis bedankte sich die Machi Betiana bei allen. Es gab eine Abschlusszeremonie mit Feuer und Rauch, und die Palines der Krieger*innen kehrten tanzend in der eisigen Luft auf den Boden zurück. Nach vier Stunden Fußmarsch endete der Marsch voller Spannung und ganz anders, als er begonnen hatte.
„Das Plurinationale Treffen ist ein notwendiger und einzigartiger Raum“
Moira Millán, Weychafe (Mapuche-Kriegerin), ist seit mehreren Jahren eine der treibenden Kräfte hinter dem plurinationalen Charakter des Treffen. „Das Treffen bekommt allmählich eine plurinationale Identität. Aber die Sektoren, die aus Parteistrukturen und männlichen, patriarchalischen Führungen kommen, müssen noch an ihrem Rassismus, Machismo und unterwürfigen Gehorsam arbeiten. Dies führt zu einem Verhalten, das für einen horizontalen, heterogenen und jetzt plurinationalen Raum mit einer starken Präsenz von Frauen und Männern aus der LGBTQ+-Bewegung unangemessen ist“, äußerte sie gegenüber agencia presentes.
Trotz des merkwürdigen Ende zeigte sie sich dankbar „für die Bemühungen, Frauen und Vielfalt sichtbar zu machen“, und sagte: „Indigene Frauen und Menschen diverser Identität waren vorher nicht motiviert, hier zu sein. Jetzt sind wir davon überzeugt, dass dies ein valider, notwendiger und einzigartiger Raum ist“.
Am Sonntag fand im Bürgerzentrum eine Versammlung der Feministinnen von Abya Yala statt, an der viele Menschen teilnahmen und bei der man die Stimmen von Referent*innen aus verschiedenen Bereichen hören konnte. Am zweiten Tag gab es Gesangs- und Mapuche-Poesiekreise, Buchpräsentationen von Büchern wie El Tren del Olvido von Moira Millán, und der Dokumentarfilm La Rebelión de las Flores wurde gezeigt. In den vielzähligen Workshops wurden inhaltliche Ergebnisse festgehalten, die Teil des Abschlussdokuments sein werden.
Übersetzung: Mara Gutmann
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