(Oaxaca-Stadt, 10. März 2020, taz).- Verlassene Hörsäle, leere U-Bahnen, geschlossene Ladengeschäfte und zahlreiche Betriebe, in denen die Produktion stillstand – so erlebte Mexiko den Tag, an dem sich viele Frauen aus dem öffentlichen Leben zurückzogen, nicht zur Arbeit gingen und auch keine Hausarbeit leisteten. Um gegen die zunehmende Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu protestieren, hatten Feministinnen für den Montag zu einem nationalen Frauenstreik aufgerufen und ernteten große Zustimmung: Universitäten, Schulen, indigene Organisationen und Behörden schlossen sich ebenso an wie Banken, Unternehmerverbände und hochrangige Politikerinnen. Schätzungen zufolge haben sich mehrere Millionen Frauen an dem Streik mit dem Titel „Ein Tag ohne uns“ beteiligt.
Dass der Aufruf so breite Unterstützung fand, hängt mit zwei Morden zusammen, die in den vergangenen Wochen großes Aufsehen erregten. Anfang Februar wurde die 25-jährige Ingrid Escamilla von ihrem Freund brutal getötet, die Fotos der verstümmelten Leiche erschienen auf den Titelseiten zweier Zeitungen. Wenige Tage später fand man die sterblichen Reste der siebenjährigen Fátima Cecilia in einer Plastiktüte im Müll, das Mädchen war nach der Schule entführt und vergewaltigt worden.
Täglich werden in Mexiko zehn Frauen ermordet
Die Morde und die mediale Zurschaustellung der Leiche von Escamilla seien für die Mobilisierungen ausschlaggebend gewesen, erklärt Lourdes Godínez von der feministischen Nachrichtenagentur CIMAC. „Sie haben unübersehbar gezeigt, was wir seit Jahren sagen: dass Frauen verschwinden und ermordet werden.“ Täglich werden in Mexiko zehn Frauen ermordet, mindestens jede vierte aus geschlechtsspezifischen Gründen.
Bereits am 8. März, dem Internationalen Frauentag, demonstrierten offiziellen Angaben zufolge allein in Mexiko-Stadt 80.000 Frauen, laut Angaben der Organisatorinnen waren es 200.000. Auch in vielen weiteren Städten gingen Aktivistinnen auf die Straße, um gegen Frauenmorde, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung zu demonstrieren.
VW und Audi stellten die Produktion ein
Mit den Demonstrationen und dem Streik wolle man nicht nur die machistischen Verhältnisse anprangern, sagt die Aktivistin Julia Murieda. „Wir fordern auch, dass die Politik das Problem priorisiert und unserem Recht auf ein Leben ohne Gewalt auf der Straße, im Bett, in der Schule und bei den Behörden Geltung verschafft.“
Einige Viertel von Mexiko-Stadt waren deutlich leerer als sonst. Unternehmensketten, Banken und viele Regierungsbehörden hatten vorab verkündet, dass sie den Streik unterstützen und ihren Mitarbeiterinnen frei gegeben. Die deutschen Autobauer Volkswagen und Audi stellten ihre Produktion an dem Tag ein. Ohne die Frauen könne man nicht operieren, erklärte VW.
Kein Streik für informelle Arbeiterinnen
Bankhäuser arbeiteten maximal mit 50 Prozent ihrer Kapazitäten. Universitäten boten Student*innen Seminare an, um über Geschlechtergerechtigkeit und patriarchale Gewalt zu diskutieren. In den hunderten geschlossenen Schulen waren die Eltern aufgerufen, über „die Werte der Erziehung“ nachzudenken.
Auch die Frauen des indigenen Zapatistischen Befreiungsheers (EZLN) im Bundesstaat Chiapas schlossen sich dem Streik an. Radikaler als viele andere feministische Unterstützerinnen richteten sie ihre Kritik an die politische Klasse. „Nieder mit der machistischen Regierung“, riefen sie.
Wenig Widerhall fand der Aufruf wiederum bei Frauen, die als informelle Arbeiterinnen ohne soziale Absicherung an Marktständen, in Restaurants oder Supermärkten tätig sind. Häufig hängt von deren Arbeit das Überleben der Angehörigen ab. So etwa bei Doña Tere, die seit 20 Jahren auf einem Markt Gemüse verkauft: „Wenn ich heute nicht öffne, hat meine Familie nichts zu essen.“
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