Frauenrechtlerinnen nennen Urteil eine historische Entscheidung
Frauenrechtlerinnen sprachen nach dem Urteil, das am Dienstag (Ortszeit) in der Stadt fiel, von einer historischen Entscheidung. Zwar sei es nicht das erste Mal, dass jemand für die Frauenmorde verurteilt werde, erklärte Imelda Marrufo vom „Red Mesa de Mujeres“ – Netzwerk „Tisch der Frauen“. Aber bislang habe es sich um Einzelfälle gehandelt, die Strafen seien viel niedriger ausgefallen. Außerdem seien erstmals Organisationen von Frauen und Angehörigen in die Ermittlungen eingebunden worden, die seit vielen Jahren für die Aufklärung des „Feminizid“ genannten Phänomens kämpfen.
Seit 1993 sind in Ciudad Juárez, einer Stadt an der Grenze zu den USA, immer wieder Mädchen sowie junge Frauen verschwunden. Sie wurden später, häufig schlimm zugerichtet, tot aufgefunden. Wie viele insgesamt ermordet wurden, ist umstritten. Offizielle Stellen sprechen von 700, NGOs wie das „Red Mesa de Mujeres“ von mehreren Tausend.
Auch über die Frage, was mit dem Entführten genau passierte, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Außer Zweifel steht, dass viele für die organisierte Kriminalität arbeiten mussten, etwa in der Prostitution oder im Drogenschmuggel. Möglicherweise wurden ihre Körper aber auch für den Organhandel ausgebeutet oder sie mussten für blutige sexuelle Spiele von Mitgliedern der Mafia herhalten.
Frauen mussten für die Kartelle anschaffen oder Drogen verkaufen
Unbestritten ist, dass die Kartelle in Kooperation mit korrupten Polizist*innen und Beamt*innen für viele der Morde verantwortlich sind.
Im Fall der jetzt verurteilten Männer wurden die 15- bis 25-jährigen Frauen zwischen 2009 und 2011 mit falschen Arbeitsangeboten angelockt, dann entführt und zur Prostitution gezwungen.
Die Täter arbeiteten als Söldner der „Aztecas“, einer bewaffneten Truppe des „Juárez-Kartells“. Sie zwangen ihre Opfer, sich im als Puff bekannten „Hotel Verde“ sowie im Gefängnis der Stadt zu prostituieren. Die bereits als vermisst bekannten Frauen wurden auch illegal in den Knast gebracht, damit sie dort Geld für die Kriminellen anschaffen. Ihren Kunden mussten sie Drogen verkaufen.
Wer sich zu arbeiten weigerte oder zu flüchten versuchte, den töteten die Männer. Ebenso ermordeten sie die Frauen, wenn sie für die Prostitution nicht mehr attraktiv genug erschienen. Dann legten die „Aztecas“ die Leichen 40 Kilometer von der Stadt entfernt in der Region „Valle de Juárez“ ab. Dort fand man nicht nur die sterblichen Überreste jener elf Frauen, über deren Tod jetzt verhandelt wurde. Immer wieder haben Mörder ihre Opfer dort abgelegt.
Opfer des Menschenhandels
„Das Gericht hegt keine Zweifel daran, dass die elf Opfer verletzlich waren, weil sie sehr jung waren und sich in einer prekären wirtschaftlichen Lage befanden“, erklärten die Richter. Deshalb seien sie zu Opfern des Menschenhandels geworden. Die Täter hätten die gewalttätige Situation ausgenützt, die in Ciudad Juárez herrsche.
In dem drei Monate dauernden Verfahren sagten 184 Zeuginnen und Zeugen aus, darunter auch Angehörige der Ermordeten. Durch die vielen Beweise und Aussagen sei erstmals juristisch belegt, dass der Frauenmord tatsächlich stattfinde und keine „schwarze Legende“ sei, wie der Bürgermeister der Stadt vor wenigen Monaten behauptet habe.
Im Dezember 2009 verurteilte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof die mexikanische Regierung wegen einiger Frauenmorde in Ciudad Juárez. „Der Staat ist seiner Verpflichtung, zu ermitteln, nicht nachgekommen – und damit seiner Verpflichtung, das Recht auf Leben, persönliche Integrität und persönliche Freiheit zu garantieren“, kritisierten die Richter.
Weitere Ermittlungen gefordert
In der Grenzstadt wurde inzwischen, wie in dem Urteil gefordert, ein öffentliches Denkmal für die Verstorbenen errichtet. Die Frauenmorde gingen jedoch in ganz Mexiko weiter und ebenso die Straflosigkeit. Allein in den Jahren 2012 und 2013 sind nach Angaben des privaten Forschungsinstituts Observatorio contra el Feminicidio 3.892 Frauen ermordet worden.
Nach UN-Angaben haben die Frauenmorde in Mexiko allein zwischen 2006 und 2012 um 40 Prozent zugenommen, 95 Prozent davon seien nicht strafrechtlich verfolgt worden. Das „Red Mesa de Mujeres“ sowie die Angehörigengruppe „Justicia para Nuestras Hijas“ (Gerechtigkeit für unsere Töchter) forderten nach der Urteilsverkündung, dass die Ermittlungen weitergehen müssten. Schließlich seien sowohl die Hintermänner der Verurteilten, die Chefs der „Aztecas“, als auch die Polizist*innen und Beamt*innen, die das kriminelle Netz deckten, weiterhin auf freiem Fuß.
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