Brasilien: Frauen und Schwarze stärker von Arbeitslosigkeit betroffen

Von Railídia Carvalho*, correiocidadania.com.br

(Montevideo, 03. April 2017, Comcosur).- Eine Umfrage zu soziologischen Fragestellungen des Brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik IBGE (Instituto Brasileiro de Geografia e Estatística) belegt mit Zahlen, was in der brasilianischen Gesellschaft bereits wahrnehmbar ist: Frauen und Menschen mit schwarzer Hautfarbe sind von der Wirtschaftskrise und dem Anstieg der sozialen Ungleichheit im Land am stärksten betroffen.

Tendenz: Arbeitslosigkeit ist schwarz und weiblich

Eine am 23. Februar 2017 veröffentlichte Umfrage des IBGE kam zu dem Schluss, dass Frauen und Menschen mit schwarzer Hautfarbe diejenigen sind, die am stärksten unter dem Anstieg der Arbeitslosigkeit leiden (gemeint sind Arbeitslose, unterbeschäftigte Arbeitskräfte und solche, die arbeiten wollen, aber keinen Arbeitsplatz finden). Unter denjenigen, die ihre Hautfarbe mit ’schwarz‘ angeben, liegt der Prozentsatz bei 14,4 (bei denjenigen, die ihre Hautfarbe mit ‚weiß‘ angeben, bei 9,5 Prozent); unter den Frauen bei 13,8 Prozent, während der Anteil der Männer mit 10,7 Prozent angegeben wird.

Die Daten des IBGE sind Teil der regelmäßig erhobenen Haushaltsstudie PNAD, wobei hier die Daten des vierten Quartals 2016 zu Grunde liegen. In diesem Zeitraum lag die Arbeitslosenquote bei 22,2 Prozent und stieg so gegenüber dem dritten Quartal 2016 (21,2 Prozent) weiterhin an. Im vierten Quartal 2015 wurde eine arbeitslose Bevölkerung von 17,3 Prozent verzeichnet.

Maßnahmen der Regierung Temer gehen zu Lasten von Frauen

„Wir haben täglich kritisiert, dass die Absetzung der Präsidentin in Brasilien die brasilianische Bevölkerung in Mitleidenschaft zieht – insbesondere die Frauen. Wo schon historisch gesehen die Herrschaft des Kapitals und die Unterdrückung durch das Patriarchat vorherrschen, werden die Frauen behandelt wie Bürgerinnen zweiter Klasse“, bekräftigte Lúcia Rincón, Präsidentin des Brasilianischen Frauenverbandes UBM (Unión Brasilera de Mujeres).

Die Umfrage zeige auf, dass die Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern hinsichtlich der Beschäftigungsquote in allen fünf Regionen Brasiliens gleichermaßen existiert. So sind auch mehrheitlich Frauen (50,3 Prozent) arbeitslos und suchen einen Job. Die Amtsenthebung von Dilma Rousseff in Brasilien und die Maßnahmen, die nachfolgend von der Regierung Temer ergriffen wurden, seien abermals ein deutlicher Beweis für diese Situation, so Rincón.

„Die vom IBGE angegebene Prozentzahl ist außerdem ein Indikator, der die Situation der Frauen im Land darstellt”, so Rincón zur Datenerhebung. Ihrer Meinung nach übt das Kapitel derzeit viel Druck aus, der zu Lasten der Arbeit und auf Kosten der Arbeit des brasilianischen Volkes gehe. „Die Politik unserer Regierung hat uns unserer Reichtümer enteignet und führt immer mehr zu einem Verlust unserer Rechte. Dem Volk wird vor Augen geführt, dass es sich im Kampf behaupten muss, um dieses Ausbluten zu verhindern und zu stoppen”, betonte die führende Frauenrechtlerin.

Rosa Anacleto: Schwarze werden in informellen Arbeitsmarkt gedrängt

Die Verschlimmerung der Arbeitslosigkeit verschärft auch die Ausgrenzung der schwarzen Bevölkerung, die sich einem Anwachsen der historischen Benachteiligung ausgesetzt sieht. “In einer Situation der Erwerbslosigkeit wie dieser, sind die schwarzen Arbeiterinnen und Arbeiter die ersten, die entlassen werden. Wir werden aufgrund des Rassismus immer benachteiligt sein, da dieser strukturell und institutionell verankert ist“, erklärt Rosa Anacleto, Präsidentin der Vereinigung Schwarzer im Kampf für Gleichberechtigung Unegro (União de Negros pela Igualdade) von San Paulo. “Die Arbeitslosigkeit trifft zuerst die Schwarzen, die Frauen mit schwarzer Hautfarbe und dann die übrigen Arbeitnehmer. Das drängt die Schwarzen in den informellen Arbeitsmarkt.”

Schwarze verdienen weniger als der Durchschnitt

Sowohl der Vorschlag N° 55 zur Änderung der Verfassung als auch die Reform zur höheren Schulbildung untergraben andere politische Maßnahmen, mit denen diese Bevölkerungsteile gefördert werden sollten. So stoßen diese Brasilianer*innen bei der Suche nach einer Arbeitsstelle auf große Nachteile, zum Beispiel im Vergleich zu der Suche von denjenigen, die ihre Hautfarbe als ‚weiß‘ bezeichnen”, erläutert Anacleto.

Die Studie zeigte, dass die Einkünfte derjenigen, die ihre Hautfarbe mit ’schwarz‘ angeben, bei 1.461 brasilianischen Reales liegen, während diejenigen, die sich als ‚weiß‘ bezeichnen, über 2.660 brasilianische Reales verfügen. Der Durchschnittsverdienst in Brasilien liegt bei 2.043 brasilianischen Reales – der Verdienst der Schwarzen liegt demnach deutlich unter dem Durchschnittseinkommen.

Wirtschaftswisschenschaftlerin Carvalho (USP) fordert Umdenken in der Politik

Der Vorschlag N° 55 zur Verfassungsänderung, der vorsieht, öffentliche Investitionen im Gesundheits- und Bildungswesen für 20 Jahre einzufrieren, wurde im Dezember 2016 angenommen. Wirtschaftswissenschaftler*innen wie Laura Carvalho, Professorin an der Fakultät für Wirtschaft, Verwaltung, Rechnungswesen und Versicherung FEA (Faculdade de Economia, Administração e Contabilidade) der Universität São Paulo USP (Universidade de São Paulo), kritisieren diese Maßnahme, die von der Regierung Temer als wesentlich für den Wiederanstieg des Wachstums und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit angesehen wird. In ihrer Kolumne in der Tageszeitung Folha de Sâo Paulo schreibt Carvalho bereits im Titel: “Regierung setzt beim Wachstum auf das falsche Pferd”.

Ihrer Ansicht nach “wären wirkliche Eckpfeiler notwendig, wie öffentliche Investitionen in eine materielle und soziale Infrastruktur, eine progressive Steuerreform und eine strategische Industriepolitik“.

* Rai­lídia Car­valho ist Journalistin beim Portal Themis, wo der Artikel zuerst publiziert wurde.

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