Zwei Städte, ein Problem. Gentrifizierung in Berlin und Oaxaca

Mariana García erklärt Stickkunst vor Wandbild mit den Regionen Oaxacas zeigt
Mariana García vor gesticktem Wandbild Oaxacas, Foto: Knut Hildebrandt

(Oaxaca/Berlin, 27. Dezember 2023, npla).- Gentrifizierung ist ein universales Phänomen – und eins, das weltweit auch nach ähnlichen Mustern abläuft. Kulturell oder historisch interessante Orte ziehen Abenteuer- und Reiselustige, Künstler*innen und Studierende an. In den von ihnen frequentierten Vierteln entwickelt sich eine lebendige alternative Kunst- und Kulturszene, die diese für den Investorenmarkt attraktiv macht. Denn mit der Aufwertung der Viertel steigen die Miet- und Immobilienpreise. Auf der Strecke bleiben die Alteingesessenen. Unsere Autor*innen Miriam Flores und Knut Hildebrandt haben sich angeschaut, wie sich Oaxaca in Mexiko und der Prenzlauer Berg in Berlin in den letzten Jahren verändert haben. Sie wollten wissen, wie sich die Aufwertung auf das Leben in den Barrios und Kiezen auswirkt und mit welchen Strategien sich die Bewohner*innen gegen die Gentrifizierung wehren.

 

 

Zwei Städte mit einer lebendigen Alternativkultur

Oaxaca, Ende Oktober. Tausende kommen in die Stadt, um dem bunten Treiben zum mexikanischen Tag der Toten beizuwohnen. Noch vor gut dreißig Jahren war Oaxaca ein ziemlich verschlafenes Nest. 1987 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt, hat sich die Provinzhauptstadt im Süden Mexikos mittlerweile zu einem der wichtigsten Touristenmagneten Mexikos gemausert. Und dazu haben nicht nur seine koloniale Altstadt und die farbenfrohen Feste beigetragen, sondern auch eine sich seit Mitte der 2000er Jahren entwickelnde alternative Kulturszene.

Auch der Prenzlauer Berg in Berlin war bis Ende der 80er Jahre ein ruhiger Ort. Viele Wohnungen in den einst herunter gekommenen Gründerzeithäusern standen leer. Nach der Wende kamen junge Künstler*innen und Studierende aus aller Welt in den Prenzlauer Berg und prägten sein heutiges Gesicht mit. In dieser Zeit entstanden Orte wie die Kulturbrauerei und der Mauerpark. Heute zählen sie zu den wichtigsten Attraktionen des Bezirks und machen ihn zu einem der touristischen Hotspots Berlins

Doch wie wirkt sich der Touristenrummel auf die Barrios und Kieze aus? Wie hat sich das Leben in ihnen verändert?

Kein Platz mehr für die Einheimischen

Mariana García ist bildende Künstlerin und Mitgründerin des Künstlerkollektivs „Hacer Tequio“. Sie zog vor über zwanzig Jahren nach Oaxaca, wo sie nicht nur als Teil der alternativen Kunstszene arbeitet, sondern auch lebte. Heute wohnt García in einem Vorort. Denn mit dem Tourismusboom wurde es für sie immer schwieriger, eine günstige Wohnung in der Stadt zu finden. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben sich die Wohnungsmieten verdoppelt, wenn man überhaupt noch etwas zum Mieten findet. Auch der Verkauf ihrer Arbeiten wird für García zunehmend zum Problem. Den Plan, mit einer Freundin zusammen eine kleine Ladengalerie zu eröffnen, musste sie aufgeben. Die Mieten für Gewerberäume sind in den letzten Jahren auf das Drei- bis Fünffache gestiegen, begründet García ihre Entscheidung. Unabhängige Künstler*innen wie sie, aber auch alternative Kunst- und Kulturprojekte können sich diese Preise kaum noch leisten. Wegen der horrenden Immobilienpreise erwerben fast ausschließlich ausländische Investor*innen die oft heruntergekommenen Kolonialbauten in Oaxacas historischem Zentrum, renovieren sie dann und machen daraus Apartments, Hotels, Souvenirshops oder teure Restaurants.

Vom Szenebezirk zum Luxusviertel

Zurück in Berlin. Der Helmholtzplatz liegt im Herzen des Bezirks Prenzlauer Berg. Das ehemalige Arbeiterviertel war nach dem Mauerfall für seine lebendige alternative Kulturszene bekannt. Besetzte Häuser mit ihren Hausbars und Konzertkneipen zogen nicht nur Künstler*innen und Studierende an, sondern machten den Platz und seine angrenzenden Straßen auch attraktiv für Alternativtourist*innen. Heute zählt der Helmholtzkiez zu den teuersten Wohngegenden Berlins. Und schon 2015 wurde festgestellt, dass von den Menschen, die hier zur Wendezeit wohnten, nur noch zehn Prozent da sind. Die anderen sind neu zugezogen, weiß Carola Handwerg, Anwältin für Mietrecht. Sie hat selbst miterlebt, wie sich der Kiez um den Helmholtzplatz verändert hat und weiß, welche Sorgen seine Bewohner*innen bewegen. Als das größte Problem sieht Handwerg an, dass viele der ehemaligen Bewohner*innen nicht das Einkommen haben, um sich die teuren Mieten zu leisten. Denn auch im Prenzlauer Berg wurden die Häuser aufwändig saniert, um teuer vermietet zu werden. Das führt dazu, dass die ursprüngliche Bevölkerung nach und nach wegzieht.

Um dem etwas entgegenzusetzen, bietet Handwerg seit mehr als 20 Jahren im Kiezladen auf der Dunckerstraße eine wöchentliche Mietrechts- und Sozialberatung an. Der Kiezladen ist ein Ort, an dem sich Gruppen für politische und kulturelle Aktivitäten treffen können. Der Kiez lebt von Orten wie dem Kiezladen, an denen Menschen zusammenkommen können, erklärt Handwerg. Wenn die Nachbarschaft sich organisieren will, sei es gegen eine teure Modernisierung oder wegen einer gegen das ganze Haus ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung, dann braucht es einen Ort, wo man sich treffen kann. Und so ein Ort kann der Kiezladen sein.

Auch in Oaxaca formiert sich Widerstand

Orte wie den Kiezladen gibt es in Oaxaca nicht. Und doch organisieren sich die Menschen, um den Charakter ihrer Barrios in der sich schnell wandelnden Stadt zu bewahren. Dabei erhalten sie Unterstützung von Mariana García und dem Kunstkollektiv „Hacer Tequio“. Die fünf Frauen veranstalten regelmäßig Kunstaktionen in den Vierteln Oaxacas. Hier arbeiten sie unter anderem mit einer traditionellen Handarbeit, die als Bordado (Sticken) bekannt ist. Dabei nutzen sie die Kunstform der Textilgestaltung, um ein Bewusstsein für den Ort und seine Kultur und Geschichte zu schaffen.

Zu diesem Artikel gibt’s auch einen Audiobeitrag und ein Video.

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