Warum Otto gewonnen hat?

von Víctor Alejandro Mojica Páez, Otramérica – otramerica.com

(Fortaleza, 10. November 2011, adital).- Man hatte mich schon gewarnt. „Die Region Quiché ist wie ein schlechter Scherz.“ Das sagte ein Gemeindevorsteher aus San Martín de Jilotepeque zu mir, einer, der sein Land so gut wie seine Westentasche kennenlernte, bevor er in dieses Dorf kam ‒ in dem während des Bürgerkrieges von 1960 bis 1996 einige der schlimmsten Massaker verübt wurden. Es ist eines der ärmsten Dörfer des Landes.

„Bruder, weißt du etwas vom Bürgerkrieg?“ frage ich einen jungen Mann mit der Aura eines Kriegsveterans. „Nein“, antwortet er mir. „Aber hier wurden viele Leute umgebracht. Wusstest du das nicht?“

„Nein“, sagt er. „Davon weiß ich nichts.“ „Spricht man hier nicht davon?“, insistiere ich, bereits ein wenig irritiert. „Nein, ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Mir hat man von keinem Krieg erzählt. Und in der Schule schon gar nicht.“

Schweigen über 45.000 offizielle Tote

Es ist unglaublich. Mit genau diesem Indígena sprach ich an der Seitenwand des Regierungsgebäudes, damals, zu einer anderen Zeit. Im Jahr 1980, als das schlimme Massaker stattgefunden hatte. Da befand sich hier ein heimliches Gefängnis.

Der junge Maya-Indígena sucht das Weite, ob er genervt war, weiß ich nicht, und verschwindet zwischen dem Markt und dem, was sein Dorf ist.

Den Guatemaltek*innen, den neuen Generationen, jenen, die in Scharen zu den Wahlurnen liefen, jenen, die an diesem Wahlsonntag in strahlendweißen Hemden aufkreuzen, auf denen „Freiwilliger“ zu lesen ist, jenen haben sie ihre Geschichte zensiert. Ihre 45.000 offiziellen Toten, und die vielen nicht offiziellen.

Der Krieg erscheint in einem ganz anderen Licht ‒ und fast wie eine Lüge ‒ für viele von ihnen. Die heute Stolz wiederholen, dass sie für Otto Pérez Molina gestimmt haben, einen ehemaligen Militär, der den Rang eines Generals innehatte, als die Armee ihre Großeltern und ihre Eltern verschleppte.

Man hat ihnen nie gesagt, dass Quiché, ihr Volk, zum Beispiel, vom Militär umzingelt wurde, um ihre Maya-Brüder zu kidnappen, die alle beschuldigt wurden, bei den Aufständischen zu kämpfen. Sie trennten Frauen und Männer (inklusive der Kinder). Viele endeten in Öfen, in Erdlöchern, wo sie zusammen mit Holz verbrannt wurden, bis nur noch Asche von ihnen übrig war. Anderen schnitt man die Kehle durch oder sie wurden erschossen. Diejenigen, die flohen, wurden von Hubschraubern aus niedergemetzelt.

Mindestens 440 niedergemetzelte Gemeinden

Quiché spielte in diesem Konflikt aufgrund seiner Nähe zur mexikanischen Grenze eine entscheidende Rolle. Von hier drangen die Guerilleros ins Land. Hier wo ich mich jetzt befinde, in den Gemeinden ganz nahe der Grenze, wie Ixcán oder Nebaj, sind die Geschichten des bewaffneten Konflikts voller Terror. Wer überlebte, der musste schuften wie ein Sklave oder eine Sklavin.

Man zählte 440 von jenen Typen niedergemetzelte Gemeinden, die heute in Guatemala an die Macht gelangen und eine Politik der harten Hand versprechen, während das, was im Quiché, wie auch im Rest des Landesinnern dringend gebraucht würde, eine harte Hand im Kampf gegen die Armut ist.

Quiché führt die traurige Statistik der Unterernährung bei Kindern an. Es ist völlig normal Kinder zu sehen (fast wie Bettler*innen, um sie nicht so zu nennen), die alles Mögliche in der Straße verkaufen, schmutzig, auf ihrem Weg um Quetzales bittend, denn Quiché ist ein Markt, wo alle Unternehmer*innen sind ‒ sehr informelle.

Fragen ist immer noch tödlich

Die Straßen wirken verloren mit all den Tüchern und den Indígenas, die anbieten, was du am wenigsten erwartest: Steine, Uhren, Hemden aus Barcelona, Hühner, Sex, Schuhe, Ringe, Maya-Kleidung, Mais, Tito el Bambino oder Shakira.

Es schmerzt, dieses Quiché kennenzulernen, das leidet, dem es noch schlechter geht, als zu jener Zeit. Wo man Angst hat, wie mir eine Restaurantbesitzerin versichert, denn „der Versuch, Gerechtigkeit zu fordern oder das Rufen nach einem toten Familienangehörigen“ kann immer noch tödliche Konsequenzen haben.

Diejenigen Guatemaltek*innen, die gewählt haben, sind relativ jung. Sie haben ihr ganzes Leben lang beobachtet, wie Efraín Ríos Montt, einer der Präsidenten, der mit den Massakern des Krieges in Verbindung gebracht wird, sich völliger Straffreiheit erfreut. Und im Fernsehen als Kongressabgeordneter spricht.

Baldizón ‒ oder gar nicht wählen

Mehr als sieben Millionen waren ins Wahlregister eingeschrieben, mehr als 50 Prozent davon Frauen. Und mehr als die Hälfte von ihnen ging am Sonntag, den 6. November wählen. Ein Großteil von ihnen Jugendliche, so wie jener, den ich im Park kennenlernte.

Sie sind es und die städtische Bevölkerung, die Angst vor der Gewalt haben. Die nicht wissen was es heißt, Hunger zu leiden. Die von der Regierung Maßnahmen fordern, die nur ihrem eigenen Wohl dienen. Die Otto unterstützen und für Otto stimmten. Dem Rest blieb nichts anderes als Baldizón. Oder gar nicht wählen…

Deshalb gehen in Quiché, als das Endergebnis bekannt gegeben wird, die Lichter so früh wie jeden Abend aus. Und die Indígenas kehren heim in ihre Siedlungen, denn sie werden im Morgengrauen des kommenden Montags weiterhin ihr Leben verkaufen. Und vier weitere Jahre schweigen…

 

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