(Mexiko-Stadt, 4. Februar 2021, npla).- Der aktuell wohl charismatischste Bischof Mexikos geht in den Unruhestand. Am vergangenen 29. Januar zelebrierte Raúl Vera nach 20 Jahren seine letzte Messe als amtierender Bischof der Diözese Saltillo im nördlichen Bundesstaat Coahuila. Mit seiner oft beißenden Sozial- und Regierungskritik war (und ist) Raúl Vera für viele unbequem, auch in der eigenen Kirche. Als einer der wenigen übriggebliebenen Vertreter der Befreiungstheologie bezeichnet, zog er selbst im Interview mit der Tageszeitung La Jornada den Begriff der „lateinamerikanischen Theologie“ vor. Raúl Vera López hatte im Juni 2020 die für die katholischen Bischöfe maßgebliche Altersgrenze von 75 Jahren erreicht. Wenige Monate später akzeptierte Papst Franziskus sein Rücktrittsgesuch.
Im Gegensatz zu nicht wenigen seiner Amtskollegen widmete sich der Dominikaner Raúl Vera dezidiert den Armen und Marginalisierten seiner Diözese und über deren Grenzen hinaus. Schon bald nach seinem Amtsantritt baute er eine Migrantenherberge in Saltillo auf. Intensiv setzte er sich für die Rechte der Bergleute ein, die im Bundesstaat in der Regel zu miserablen Löhnen unter menschenunwürdigen Bedingungen unter Tage sind. Für sie und mit ihnen demonstrierte der Bischof auch auf der Straße. Seine Kirche war offen für Homosexuelle, Prostituierte, generell für von der Gesellschaft oft diskriminierte Gruppen. Im Gewaltkontext Mexikos ist Raúl Vera bis heute die Suche nach Verschwundenen und die Solidarität mit deren Familienangehörigen ein besonderes Anliegen. 200 dieser Verschwundenen waren in seiner Abschiedsmesse mit Fotos in der Basilika von Saltillo präsent.
Der „rote Bischof“
Raúl Vera scheute nie davor zurück, sich in die Politik einzumischen. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Durchführung des Ständigen Tribunals der Völker (TPP) in Mexiko. Das Ethikgericht tagte von 2011 bis 2014 im Land. Keine andere Einrichtung dürfte so geballt die verschiedensten Menschenrechtsverletzungen in Mexiko sowie die Rolle des Staates dabei dokumentiert haben. Der „rote Bischof“, wie ihn die spanische Tageszeitung El País jüngst nannte, war ebenso maßgeblich an einer am Ende erfolglosen Bewegung für eine verfassungsgebende Versammlung beteiligt. Raúl Vera hielt sie für absolut notwendig, um die seiner Meinung nach tiefgreifenden Schäden jahrzehntelanger neoliberaler Politik in Mexiko rückgängig zu machen. Der seit Ende 2018 amtierenden Regierung unter Präsident Andrés Manuel López Obrador und ihrem antineoliberalen Diskurs steht der Bischof dennoch skeptisch gegenüber. Hehre Absichten der politischen Klasse konnte er sich nie richtig vorstellen.
Heute fast schon vergessen: 1995 schickte Papst Johannes Paul II. Raúl Vera als Weihbischof in die Diözese San Cristóbal de las Casas im Bundesstaat Chiapas. Viele sahen darin eine Maßnahme, dem dortigen Bischof Samuel Ruiz García einen vermeintlich konservativen Aufpasser an die Seite zu stellen. Denn García wurde vom Vatikan eine zu große Nähe zum indigen geprägten Aufstand der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) vorgeworfen. Doch beide Bischöfe arbeiteten in ihrer Option für die Armen eng zusammen. Gemeinsame Auftritte behielten sie bis zum Tode Garcías im Jahr 2011 regelmäßig bei.
Raúl Veras unbequeme Stimme wird auch nach seiner Emeritierung laut bleiben
Der nun emeritierte Raúl Vera will in seiner Diözese wohnhaft bleiben und sich nicht zurückziehen. Nicht unbedingt zur Freude seines als wesentlich konservativer eingeschätzten Nachfolgers, Bischof Hilario González. Er habe genug Energie, um weiterzumachen, äußerte sich Raúl Vera gegenüber den Medien. Unter anderem übernimmt er die Leitung der Migrantenherberge in Saltillo. Doch wird er sich kaum darauf beschränken. Und Mexiko darf es sich nicht leisten, auf eine unbequeme Stimme wie die Raúl Veras zu verzichten.
Streitbarer Bischof Raúl Vera emeritiert von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar