Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 316 vom 20. November 1997
Inhalt
EL SALVADOR
HAITI
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
KUBA/BRD
KUBA
ARGENTINIEN
BRASILILIEN
BRASILIEN
URUGUAY
ECUADOR
NICARAGUA
GUATEMALA
LATEINAMERIKA
EL SALVADOR
Verbrechen an Jesuiten immer noch ungesühnt
Von Juan José Dalton, npl
(San Salvador, 15. November 1997).- Vor acht Jahren, am 16. November 1989, drangen Soldaten an einem kühlen Morgen in die von Jesuiten geleiteten Zentralamerikanischen Universität (UCA) in El Salvador ein. Der Befehl für die Elitetruppen des Bataillons Atlacatl war eindeutig: Sie sollten die Leitung der Hochschule, eines der wichtigsten Studienzentren im Land, ermorden. Die jesuitischen Priester wurden beschuldigt, „Rädelsführer der Guerilla“ zu sein. Die Streitkräfte waren durch eine Offensive der aufständischen Kräfte in Bedrängnis geraten, die Rebellen drangen bis an den Rand der Hauptstadt vor. Die Machthaber erklärten die Universität zum Kriegsziel.
Sechs Priester und zwei weibliche Angestellte wurden von den Soldaten überrascht. Diese führten ihren Auftrag ohne Zögern aus. „Aktion Handstreich“ nannten sie ihr Mordkommando. Nach der Tat brachten sie die Leichen in den Innenhof der Unterkunftsräume, damit nationale und internationale Presse das makabre Ereignis, das weltweite Empörung hervorrief, verbreiten konnten. Die Absicht bestand genau darin: die salvadoreanische Bevölkerung in Schrecken zu versetzen, um ihre Beteiligung am massiven Aufstand, den die Guerilla mit ihrer Offensive gegen die Hauptstadt auslösen wollte,zu verhindern. Von den sechs Jesuiten hatten fünf die spanische Staatsbürgerschaft, einer die salvadoreanische. Unter den Ermordeten befand sich Ignacio Ellacuría, Rektor der UCA. Alle waren Mitglieder eines illustren akademischen Zirkels in El Salvador, der seine Arbeit in der bewegtesten Zeit leistete, die das zentralamerikanische Land durchgemacht hat: der Bürgerkrieg von 1980 bis 1992. Ellacuría hatte immer eine friedliche Lösung für den bewaffneten Konflikt gefordert.
Einheimische und internationale Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, daß das Verbrechen von der höchsten Militärspitze befohlen wurde. Dazu gehörten die inzwischen aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Generäle René Emilio Ponce, Orlando Zepeda, Gilberto Rubio, Rafael Bustillo, Francisco Elena Fuentes und Humberto Larios – allesamt Mitglieder des Oberkommandos der Streitkräfte. Ihnen allen geht es heute bestens, sowohl gesundheitlich wie wirtschaftlich. Sie leben von ihren erstklassigen Pensionen und unter dem Schutz einer Amnestie, die der 1989 amtierende Präsident Alfredo Cristiani gewährte.
Der aktuelle Rektor der UCA, der Jesuit José María Tojeira, weist auf die immer noch ungeklärten Punkte in dem Mordfall hin. Die Hauptverdächtigen sind Ex-Präsident Cristiani und Francisco Merino – letzterer damals Vizepräsident der Republik – sowie mehrere Diplomaten der US-Botschaft. Unter diesen befindet sich der ehemalige Rechtsberater Richard Chidester. Dieser Diplomat, so offenbart Tojeira, befaßte sich damit, die Sonderstaatsanwälte zu bedrohen, die eine großartige Arbeit bei der Aufklärung der Morde geleistet hätten. „Die Botschaft machte es sich nicht nur zur Aufgabe, viele Aspekte der Nachforschung zu behindern, sondern griff auf niederträchtige Erpressungen gegenüber Personen zurück, die mitarbeiteten“, versichert der Jesuit in einem Beitrag für die kommende Ausgabe der in El Salvador erscheinenden Zeitschrift „Tendencias“. Über diesen Zivilisten schwebt ein Verschwörungs- und Verhüllungsverdacht in einem Verbrechen, das als eines der abscheulichsten betrachtet wird, die sich in Zentralamerika ereignet haben. Was speziell den Ex-Präsident Cristiani angeht, so erklärt der Jesuit Tojeira, vor acht Jahren nicht an dessen Verwicklung in das Verbrechen geglaubt zu haben. Spätere und aktuelle Ermittlungen jedoch bringen Cristiani mit Verfälschungen und Verdunkelungen in Verbindung, die bei den Untersuchungen durch die Ehrenkommission der Streitkräfte unternommen worden sind. Die Kommission sprach die hohen Militärchefs von jeglicher Verantwortung frei. Cristiani schloß sie nicht aus den Streitkräften aus. Weit davon entfernt, schützte er sie stattdessen mit einer Amnestie und entließ sie geschlossen mit allen Ehren und Versorgungsleistungen in den Ruhestand. Bei den Jesuiten verstärkt sich immer mehr der Verdacht, daß Cristiani – derzeit Vorsitzender der Regierungspartei Republikanisch- Nationalistisches Bündnis (ARENA) – dem sogenannten „Plan der Langen Messer“ zustimmte, der vorsah, die wichtigsten Regierungsgegner in den Tagen der Guerilla-Offensive umzubringen. So soll es damals nicht nur den Befehl gegeben haben, die Jesuiten zu ermorden, sondern ebenfalls den Erzbischof Arturo Rivera Damas, den lutherischen Bischof Medardo G ómez sowie die politischen Oppositionsführer Guillermo Ungo und Rubén Zamora. In Erklärungen gegenuber npl verkündete Rodolfo Cardenal, auch einPriester und Vizerektor der UCA, daß der „Jesuiten-Fall“ vor den Interamerikanischen Gerichtshof (CIJ) gebracht worden ist, damit dieser eine Entscheidung fällt, die es erlaubt, die 1993 von Cristiani gewährte Generalamnestie zu widerrufen. Dann könnte das Verfahren neu eröffnet werden und die intellektuellen Urheber des Massakers müßten mit einer Bestrafung rechnen. Cardenal fordert zudem von der spanischen Justiz, sich des Mordes an den Jesuiten anzunehmen, so wie sie dies im Fall der Spanier gemacht hat, die in der vergangenen Dekade in Südamerika ermordet wurden. „Es ist eine Alternative, daß die spanische Justiz ein Rechtsverfahren zu Ellacuría, Segundo Montes, Joaquín L ópez und Ignacio Martín Barc ó eröffnet“, erklärt er. Cardenal selbst überlebte wie durch ein Wunder. An dem frühen Morgen, an dem seine Kollegen ermordet wurden, schlief er im Haus eines Familienangehörigen, weil ihn die Sperrstunde auf dem Nachhauseweg überrascht hatte. Er beurteilt die Auswirkungen der ungesühnten Morde so: „Genau deswegen, weil die Wahrheit verborgen wurde und es keine Gerechtigkeit gab, ist die salvadoreanische Gesellschaft immer noch Opfer von Entführungen und Aktionen von Todesschwadronen.“
Präsident verhindert Erlaß der Agrarschuld
(San Salvador, 18. November 1997, pulsar-Poonal).- „Wir haben einen Präsidenten, der Gefangener der ARENA-Führungsspitze ist. Das macht ihn zu einer Marionette und einem Sprecher des Finanzsektors in unserem Land.“ Mit diesen Worten kritisierte die Abgeordnete Rosario Acosta die Entscheidung von Präsident Armando Calderón Sol, sein Veto gegen ein von der Parlamentsmehrheit verabschiedetes Gesetz über die Agrarschuld einzulegen. Mit dem Gesetz sollten den ärmsten Campesinos ihre landwirtschaftlichen Kreditschulden erlassen werden. Der Vorsitzende der Demokratischen BäuerInnenvereinigung, Eulogio Villalta, erklärte: „Wir glauben, der Präsident hat mit seinem Veto nicht die Konsequenzen von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Unregierbarkeit eingeschätzt. Wir als Campesino-Organisationen werden weiter kämpfen, um Gerechtigkeit für das ganze Land zu erreichen.“ Um das Veto zu überstimmen, braucht das Parlament eine Mehrheit von 75 Prozent. Diese kann nur dann erreicht werden, wenn die komplette Opposition sich einig ist. Aufgrund der bestehenden Spaltung innerhalb der Opposition und des Stimmenkaufes durch die regierende Partei Republikanisch-Nationalistisches Bündnis (ARENA) ist das jedoch unwahrscheinlich.
HAITI
Noch keine Gerechtigkeit für die Opfer des Putsches
(Port-au-Prince, November 1997, haiti info-Poonal).- Anläßlich des sechsten Jahrestages des Putsches gegen Präsident Jean-Bertrand Aristide hat die Beobachtungskommission für Menschenrechte von UNO und OAS an die Opfer und ihre Familienangehörigen erinnert. Sie verwies ebenso darauf, daß die Täter bisher straffrei geblieben sind. Der Bericht der Wahrheitskommission sei zwar vor einem Jahr abgegeben worden, habe aber nicht die notwendige Öffentlichkeit und Verbreitung erfahren, so ein Sprecher der Kommission. Sowohlder Bericht wie auch Geheimdokumente über die paramilitärische Organisation Front für den Haitianischen Fortschritt (FRAPH) könnten wichtige Informationsquellen sein und zu überzeugenden Anklagen gegen die Verantwortlichen führen. Doch immer noch halte die amerikanische Regierung diese Dokumente zurück. Die Kommission lobte den Einsatz von Menschenrechtrgruppen, erklärte aber, diese könnten die Verantwortung des Staates nicht ersetzen.
Die internationalen Menschenrechtsbeobachter boten dem Staat erneut ihre Mithilfe bei der Aufklärung der begangenen Verbrechen an. Kritik übte Kommissions-Vorsitzender Colin Granderson an der Haftpolitik. Verhaftete Personen müßten zu lange (ohne Urteil; die Red.) im Gefängnis bleiben. Granderson empfahl ein System, bei dem Verdächtige bis zur Gerichtsverhandlung auf freiem Fuß bleiben könnten. Er wies zudem auf eine mangelnde Zusammenarbeit zwischen Nationalpolizei, Gefängnis- und Justizverwaltung hin. Wenn die Justizverwaltung nicht sehr bald verbesserte werde, dann würden die Erfolge bei der Polizeiarbeit gefährdet, so Granderson. Seine Kommission selbst blieb jedoch nicht von Kritik verschont. Das Komitee der Organisation Justitia et Pax aus Gonaives prangerte zum Jahrestag des Putsches den Zynismus der Vereinten Nationen und der internationalen Menschenrechtskommission an. Mit ihrem Verhalten hätten sie offensichtlich die Straffreiheit der Täter begünstigt. Justitia et Pax erwähnte ebenfalls die fehlende Freigabe von in der US-Botschaft lagernden Dokumenten über die FRAPH als eine Ursache für die Probleme bei der Aufklärung der Vergangenheit.
Präsident René Préval traf sich am Jahrestag des Putsches mit Vertreter*innen der „Stiftung 30. September“. In dieser Stiftung arbeiten alle Organisationen mit, die sich mit der Lage der Putschopfer beschäftigen. Dort wurden die Forderungen der Bevölkerung erneut zur Sprache gebracht. Dabei erklärte Préval, nicht alle Menschenrechtsverletzungen könnten gleichzeitig in Betracht gezogen werden. Im Moment konzentriere sich die Regierung auf das im April 1994 geschehen Massaker von Raboteau. Dies könne aber der Anfang für einen großen Prozeß gegen die Putschisten sein. Außerdem kündigte der Präsident an, den Bericht der Wahrheitskommission bald von der Regierung veröffentlichen zu lassen.
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
Haitianer*innen unerwünscht
(Santo Domingo, November 1997, haiti info-Poonal).- Die Dominikanische Regierung will eine Zählung unter den haitianischen Zuckerrohrarbeiter*innen durchführen lassen. Konservative Kreise in Haitis Nachbarstaat hatten angeprangert, zahlreiche Saisonarbeiter*innen würden nach der Ernte nicht in ihr Land zurückkehren. Auch wenn immer wieder auf die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der haitianischen Arbeiter*innen hingewiesen worden ist, so bildete die Zuckerrohrernte in der Dominikanischen Republik doch eine Einkommensquelle für sie. Sie war ein Fluchtventil für die Landlosen im Osten und Nordwesten Haitis. In regelmäßigen Abständen richten sich jedoch Aktionen der dominikanischen Behörden gegen die Haitianer*innen. Seit dem 10. September sind verstärkt illegal in der Dominikanischen Republiklebende Haitianer*innen deportiert worden. Seit dem 8. Oktober werden sie direkt von den Zuckerrohrplantagen nach Haiti zurückgebracht. Zukünftige Arbeitsaussichten sind noch schlechter. Die Zuckerrohrindustrie plant einen größeren Einsatz von Maschinen auf den Pflanzungen. Dies wird zu einer drastischen Verringerung der Beschäftigung von haitianischen Arbeitskräften führen. Die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen daraus sind kaum absehbar.
Bilanz des Nationalstreiks
(Santo Domingo, 14. November 1997, pulsar-Poonal).- In Nicht- Regierungskreisen wird der landesweite Streik vom 11. und 12. November als voller Erfolg gewertet. Trotz der starken Militärpräsenz und Massenverhaftungen sowie der Einschüchterung der Presse durch die Regierung, damit erstere nicht über die Proteste berichtete, folgte der überwältigende Teil der Bevölkerung dem Streikaufruf. Die Regierung und verschiedene Medien erklärten allerdings, für die Bevölkerung sei der Protest wie ein Ferientag gewesen. Sie erklärten nicht, warum 340 Personen verhaftet und 23 verwundet wurden, und ein Todesopfer zu beklagen ist. Die Sprecherin der Koordination der Volksorganisationen, Luz Zeneida Mejía, versicherte, der Süden des Landes sei zu 90 Prozent lahmgelegt worden. Eine genauso hohe Streikbeteiligung wurde aus der Hauptstadt gemeldet. In der Region von Cibao war der Streik praktisch zu hundert Prozent wirksam (dies gilt vor allem für den ersten Streiktag; die Red.). Mejía sagte auch, von Seiten der Bevölkerung habe es keine Gewaltausbrüche gegeben. Die Gewalt sei von den kombinierten Polizei- und Militäreinheiten ausgegangen. Streikführer Ramón Almánzar drückte sich in dem Sinne aus, die Regierung könne alle möglichen Unterdrückungseinheiten einsetzen; die Bevölkerung habe sich gegen die offizielle Wirtschaftspolitik ausgesprochen. Die Probleme, die zu dem Streik führten, bleiben jedoch bestehen. Die Regierung hat erklärt, die Löhne ebensowenig anheben zu wollen wie die entlassenen staatlichen Beschäftigen wieder einzustellen. Auch die Stromrationierungen werden in den kommenden Monaten alltäglich sein.
KUBA/BRD
Tuchfühlung
(Havanna, 17. November 1997, pl-Poonal).- Der deutsche Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Helmut Schäfer, kam am Montag (17.11.) mit der kubanischen Vizeaußenministerin Isabel Allende zusammen, um „über Themen von gemeinsamem Interesse“ zu sprechen, wie die einheimische Presse informierte. Schäfer befindet sich zu einem dreitägigen offiziellen Staatsbesuch auf Kuba. In verschiedenen Gesprächen mit der kubanischen Seite wird er politische, kulturelle, wirtschaftliche und juristische Fragen erörtern. Vorgesehen ist auch ein Besuch in der Provinz Matanzas, wo es ein Landwirtschaftsprojekt mit deutscher Beteiligung gibt. Nach dem Gespräch mit Schäfer versicherte Allende, das kubanische Außenministerium „schätzt die Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland hoch ein und diesesZusammentreffen wird dazu dienen, Angelegenheiten von großem Interesse zu diskutieren“. Der deutsche Staatssekretär seinerseits erklärte, seine Reise nach Kuba müsse dazu dienen, die Beziehungen zwischen den beiden Nationen zu verstärken.
KUBA
Wirtschaft wächst deutlich langsamer
(Havanna, 17. November 1997, pl-Poonal).- Der kubanische Vizepräsident Carlos Lage hat ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent für 1997 geschätzt. Obwohl dies im Vergleich zu den 7,8 Prozent des Vorjahres ein deutlich schwächeres Wachstum ist, versicherte Lage, die Tendenz zur wirtschaftlichen Erholung werde auch in den kommenden Jahren anhalten. Er gründete seine Auffassung auf den weiter steigenden Tourismus (in den vergangenen Jahren um durchschnittlich 20 Prozent jährlich) sowie die anhaltend steigende Beteiligung von Auslandskapital. Obwohl dieses durch das Helms-Burton-Gesetz beeinträchtigt worden sei, habe es sich auch nach der Verabschiedung des Gesetzes (auf Kuba) entwickelt. Lage äußerte sich anläßlich der Eröffnung eines Treffens der Vorsitzenden und leitenden Funktionär*innen von Zentralbanken aus Lateinamerika und der Karibik in Havanna. Ziel der Gespräche ist der Meinungsaustausch über die Hauptprobleme des internationalen Finanzsystem. Kuba gründete erst vor kurzem eine eigene Zentralbank. Bankchef Francisco Soberon erklärte gegenüber seine Kolleg*innen aus Venezuela, Peru, Honduras, Uruguay, Ecuador, Jamaica, Mexiko, Chile und der Dominikanischen Republik, Kuba werde das Jahr 1997 mit einer Arbeitslosigkeit von 7 Prozent, einer Inflationsrate von maximal 2,5 Prozent und einem Haushaltsdefizit von weniger als 2 Prozent des Bruttosozialproduktes abschließen.
ARGENTINIEN
Geheime Waffenarsenale
(Buenos Aires/Montevideo, 14. November 1997, comcosur-Poonal).- Die Tageszeitung „Página 12“ aus Buenos Aires hat die Existenz geheimer Waffenarsenale in der Hauptstadt aufgedeckt. Diese befinden sich zum Teil sogar unter dem Schutz der Polizei. Von den berühmten russischen Maschinengewehren AK 47 bis zu den als „Rockets“ bekannten kleinen US-Raketen ist demnach alles in den Waffenlagern zu haben. Waffen jeglicher Art können, so Página 12, gekauft oder ausgeliehen werden. Viele Kriminelle leihen sich den Untersuchungen der Zeitung zufolge Kriegswaffen aus und geben dafür einen bestimmten Anteil ihrer Beute ab oder liefern eine Anzahlung in bar.
Menem-Regierung wird in Europa des Völkermordes angeklagt
Von Juan Michel
(Bünos Aires, 17. November 1997, alc-Poonal).- Mit Anzeigen in denwichtigsten spanischen, italienischen und französischen Zeitungen, hat die Organisation „Survival International“ begonnen, die argentinischen Indígena-Völker zu unterstützen. In den Anzeigen wird die Regierung von Präsident Carlos Menem angeklagt, die Indígenas im Norden des Landes zu mißhandeln. Für die Wichi, die an den Ufern des Flußes Pilcomayo leben, habe die Regierung Menem „nur ständiger Betrug, Plünderung und Zerstörung eines jahrtausende alten Volkes bedeutet“, versichert Survival International. Der „Auslöschungsprozeß“ gehe weiter, während das argentinische Kabinett die wiederholten Versprechen, kommunale Landtitel zu überreichen, nicht erfülle. In der argentinischen Verfassung schreibt ein Passus vor, den Indígenas Land- und Eigentumstitel für die Territorien zu verleihen, die sie „traditionellerweise bewohnen“. Clara Braggio, Sprecherin von Survival International, versichert: „Indem das Eigentum der Wichi an ihrem Territorium nicht anerkannt wird, verletzt die argentinische Regierung ihre eigene Verfassung und die internationale Gesetzgebung.“ Ihre Organisation werde die Kampagne fortführen, „bis sich die Versprechen in Aktionen umgesetzt haben“. Einer der konkreten Fälle ist der des Zusammenschlusses von 35 Indígena-Gemeinden in der Organisation „Lhaka Honhat“ (Unser Land). Die Gemeinden forden etwa 640.000 Hektar für sich. Die Provinzregierung erkannte schon 1991 die Legitimität dieser Forderung an. Doch die Nachfolgeadministrationen verzögerten immer wieder die Übergabe von Landtiteln. Im September vergangenen Jahres gab nach der wochenlangen friedlichen Besetzung einer sich im Bau befindlichen internationalen Brücke erneut ein Versprechen der Provinzregierung. Geschehen ist seitdem nichts. Die Regierung weigert sich, die Indígenas zu empfangen und antwortet nicht auf ihre Brie fe. Ein anderes Beispiel ist das der Gemeinde „Hoktek Tói“, der Eigentumstitel für 29 Hektar Land versprochen wurden. Ein minimaler Teil des hergestammten Territoriums von 75.000 Hektar, die von der Provinzregierung „privatisiert wurden, ohne die indigenen Bewohner*innen, die ihr Land nicht aufgeben wollen, zu fragen. Derzeit wird mitten in dem Gebiet, wo sich die Gemeinde befindet, ein Bereich von 1.000 Hektar Wald abgeholzt. Das wird der Gemeinde die wichtigsten Mittel für ihre Subsistenzwirtschaft entziehen. Die zugesicherten 29 Hektar umfassen nur die Wohnstätten, die Gärten und den Friedhof.
BRASILILIEN
Noch mehr Anpassung
(Brasilia/Montevideo, 14. November 1997, comcosur-Poonal).- Die Regierung von Präsident Fernando Henrique Cardoso hat zu einem neuen Haushalts- und Steuerpaket gegriffen, um ihr ins Wanken geratenes Wirtschaftsprogramm, den „Plan Real“ zu retten. Die insgesamt 51 Massnahmen beinhalten unter anderem die Entlassung von fast 35.000 im öffentlichen Dienst beschäftigten Personen sowie die Streichung von 70 000 offenen Stellen. Die staatlichen Ausgaben werden auf allen Gebieten – mit den Ausnahmen Gesundheitswesen, Bildung, Sozialhilfe und Agrarreform – gekürzt. Lohnerhöhungen werden suspendiert. Durch Steuererhöhungen beispielsweise bei den Flughafengebühren, soll die Einnahmenseite des Staates aufgebessert werden. Der Maßnahmenkatalog hat die übrigen Staaten des Mercosur in Aufregung versetzt, da sie indirekt von den Auswirkungen betroffen sein werden. Die Meinungsumfragen zeigen eine deutlich Ablehnung der Regierungsentscheidung. In Sao Paulo, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat des Landes, verurteilten 53 Prozent der Befragten den neuen Plan. Die bisher hohe Popularität von Cardoso ist rapide abgesunken. In Rio de Janeiro blockierten Mitglieder der Einheitszentrale der Arbeiter*innen (CUT) aus Protest das Stadtzentrum.
BRASILIEN
Ein Versuch von Gerechtigkeit – Entschädigung für Indígenas
(Brasilia/Montevideo, 14. November 1997, comcosur-Poonal).- Die Panaras aus dem Mato Grosso, wegen ihrer Grösse die „Riesen- Indios“ genannt, werden als erste in der brasilianischen Geschichte eine Entschädigungszahlung wegen Völkermord erhalten. Diesen begingen die Verantwortlichen der Militärdiktatur gegen die Ethnie, als sie die Straße durch den Amazonas bauten. Das Urteil des Bundesgerichtes von Brasilia macht den Weg frei für ein ganze Welle von möglichen Prozessen. Hunderte von Stämmen sind im Namen des wirtschaftlichen Fortschritts in Brasilien dezimiert worden. Die letzten Überlebenden der Panaras im Mato Grosso werden umgerechnet 450.000 Dollar von der Regierung als Ausgleich für die an ihnen begangenen Verbrechen erhalten. In den Jahren von 1973 bis 1975 verloren drei Viertel ihrer Bevölkerung das Leben, sie starben hauptsächlich an Krankheiten wie Erkältung und Durchfall. Die traurige Episode fand ihren Höhepunkt, als 79 Überlebende im Schockzustand in einem Flugzeug der Luftwaffe in den tausend Kilometer entfernten Nationalpark Xingú gebracht und dort „angesiedelt“ wurden. In dem Gerichtsurteil von Brasil heißt es: „Die wirtschaftlichen Interessen der Transamazónica (der den Amazonas durchquerenden Straße; die Red.) sind mächtig. Aber über diesen Interessen mußte die gesetzliche Pflicht stehen, die Indios zu schützen.“ Der Richter ist Vater eines der fünf Jugendlichen, die vor sechs Monaten einen auf der Straßen schlafenden Indígena der Pataxó verbrannten, „um sich zu vergnügen“, wie er später gestand.
URUGUAY
Militärs wollen keine Wahrheit
(Montevideo, 14. November 1997, comcosur-Poonal).- Der uruguayische Bischof Pablo Galimberti hat gefordert, das Schicksal der unter der Diktatur Verhafteten und Verschwundenen aufzuklären. Galimberti, Bischof in der Provinz von San José, hatte vor einiger Zeit vorgeschlagen, die Militärs sollten unter Wahrung des Beichtgeheimnisse über die Vorgänge berichten. Jüngst übernahm die uruguayische katholische Kirche als Institution diesen Vorschlag. Doch Galimberti enthüllte jetzt, daß er bisher ohne Erfolg versuchte, mit der Spitze der Streitkräfte ins Gespräch zu kommen. Die militärischen Befehlshaber hätten monolithisch an ihrer Weigerung festgehalten, die Vergangenheit zu überprüfen. Galimberti erklärte zudem, jeder Schritt müsse auf das Ziel des „sozialen Friedens“ ausgerichtet sein und auf der Gerechtigkeit und den Rechten aller basieren. Im Gegensatz zu den Streitkräftenhaben die Angehörigen der Verschwundenen die Haltung der uruguayischen Bischofskonferenz begrüßt. Allerdings konnten sie sich nicht mit dem Begriff „gegenseitige Vergebung“ anfreunden, den die Bischöfe in ihrem Dokument erwähnen. Javier Miranda, Anwalt und Sohn eines Verschwundenen, erklärt: „Uns bleiben Zweifel, denn wir glauben, für absolut nichts um Vergebung bitten zu müssen.“ Er fügt hinzu, daß diese Forderung in jedem Fall auf einem „legitimen Recht“ beruht, „die Wahrheit aufzudecken“. Die Familienangehörigen der Opfer erkennen an, daß die Haltung der Kirche auf jeden Fall geholfen hat, größere Sensibilität und Bewußtsein bei Gruppen zu schaffen, die zuvor geschwiegen haben. Miranda versichert: „Wir wollen nicht zu irgendeinem Abkommen kommen, das ist nicht unsere Aufgabe. Wir wollen, daß das Schicksal der Verhafteten und Verschwundenen aufgeklärt wird, daß die Wahrheit bekannt wird, daß eine Antwort auf diese vier Fragen gegeben wird: Wie, Wann, Wo und Warum.“
ECUADOR
Freilassung von 3.000 Häftlingen steht bevor
(Quito, 18. November 1997, pulsar-Poonal).- Nach jahrelangen Protesten gegen die Überfüllung der Gefängnisse erreichten die Häftlinge ein teilweises Gehör der staatlichen Autoritäten. In den kommenden zwei Monaten werden voraussichtlich 3.000 Personen, die wegen Drogenkonsums eine Haftstrafe zu verbüßen hatten, entlassen. Die Bundesstaatsanwaltschaft und die Kongreßmehrheit einigten sich auf ein Gesetz, das bestimmten Drogenkonsum nicht mehr als Delikt ansieht und außerdem die Rehabilitation der Drogenabhängigen fördert. In Ecuador beträgt die Gefängnisbevölkerung etwa 10.000 Personen. Mit den Entlassungen könnten sich auch die Haftbedingungen etwas verbessern. Der Bundesstaatsanwalt begründete die Maßnahme denn auch unter anderem mit den derzeit untragbaren Haftzuständen.
NICARAGUA
Proteste gegen Holzschlag
(Managua, 12. November 1997, alc-Poonal).- Einheimische Umweltorganisationen organisierten am 10. November mit Partnergruppen in Miami, New York und Washington einen Internationalen Aktionstag zur Verteidigung der Wälder Nicaraguas. Der Protest richtete sich spezial gegen das südkoreanische Unternehmen „Compania Maderera Sol del Caribe“ (SOLCARSA). Das Unternehmen erhielt am 8. Oktober 1997 von den nicaraguanischen Behörden eine 30jährige Konzession, 62.000 Hektar Wald an der Atlantikküste auszubeuten. Dies wird auch die Lebensumstände der in der Küstenregion wohnenden Ethnien der Sumos und Misquitos beeinträchtigen. Die verschiedenen Umweltgruppen, die unter anderem die Unterstützung der evangelischen Kirchenorganisation CEPAD haben, kündigten eine breite soziale Bewegung an, um die letzten Wälder Nicaraguas zu schützen. Im Landkreis Rosita, 400 Kilomenter östlich von Managua gelegen, wo SOLCARSA seinen Hauptsitz im Land hat, haben Bewohner*innen aus verschiedenen Orten und die lokalen Kirchen mit Wachdiensten und Radiokampagnen begonnen, um die Wälder in Bilwi und Puerto Cabezas, derHauptstadt der Region Atlantico Norte, zu verteidigen. In Managua überreichte am 10. November eine Gruppe Jugendlicher dem Bundesrechnungsprüfer Agustin Jarquin eine umfassende Dokumentation. Darin wird unter anderem gefordert, den millionenschweren Konzessionsvertrag zu untersuchen.
GUATEMALA
Kampagne zu AIDS gestoppt
(Guatemala-Stadt, 12. November 1997, cerigua-Poonal).- Die zweite Phase einer Anti-Aidskampagne der Regierung ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden. In ihr sollten Vorsorgemethoden vorgestellt und Kondome in Gesundheitszentren verteilt werden. Laut Pedro Villanueva, verantwortlich für das Programm, handelt es sich nur um eine begrenzte Verzögerung wegen fehlender Geldmittel, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Die Folgen wäre dennoch schrecklich, da sich die Krankeit nun weiter ausbreiten werde, so Villanueva. Einige AIDS-Aktivist*innen vermuten, die Regierung wolle nicht den Gebrauch von Kondomen als Schutz gegen eine HIV- Infektion unterstützen. „Religiöse Fundamentalist*innen setzen sich in bestimmten Regierungskreisen und den Bildungszentren in eine ere beeindruckenden Weise durch“, so die AIDS-Arbeiterin Laura Asturias. „Anstatt Lösungen anzubieten, erhöhen sie die Anzahl derjenigen, die von der Krankheit betroffen sind.“ Pedro Villanueva sieht in den Kondomen – bei ihnen wird von einem zu 98 Prozent wirksamen Schutz ausgegangen – die angemessenste Vorsorgemaßnahme für Guatemala. Traditionellerweise haben sich die AIDS-Kampagnen jedoch nur auf Treue und Enthaltsamkeit als die besten Wege konzentriert, die Krankheit zu vermeiden. Von den für das Vorsorgeprogramm entworfenen Fernsehspots bezieht sich nur ein einziger auf den Gebrauch von Kondomen. Der erste registrierte AIDS-Fall in Guatemala datiert aus dem Jahr 1984. Seitdem sind nach den offiziellen Angaben 442 Personen an der Krankheit gestorben und mindestens 2.145 Personen wurden mit dem HIV-Virus infiziert. Derzeit werde von monatlich 50 Neuinfizierungen ausgegangen, so Villanueva. Die Pan-Amerikanische Gesundheitsorganisation schätzt, schon im Jahr 2000 könnten wöchentlich 80 Personen in Guatemala an der Krankheit sterben, wenn die Infektionsrate nicht gesenkt werde.
Frauenforum gewinnt zunehmend an Gewicht
(Guatemala-Stadt, 17. November 1997, cerigua-Poonal).- Die örtlichen Komitees der Organisation Frauenforum haben nach den Aussagen der Delegierten Dolores Marroquín zusammen bereits mehr als 5.000 Mitglieder. Marroquin ist auch Mitglied der Versammlung der Zivilen Gesellschaftsgruppen (ASC). Auf der ersten Generalversammlung des Forums in der vergangenen Woche nahmen 250 Frauen aus dem ganzen Land teil. Sie verabschiedeten ein Arbeitsprogramm für 1998. Zu Anfang des kommenden Jahres will die Organisation vor allem die Themen Bildung und Gesundheit diskutieren. Später stehen dann die politische Beteiligung und die Bürgerinnenrechte im Vordergrund. Der dritte Diskussionsschwerpunkt werden die verschiedenen Aspekte derwirtschaftlichen Entwicklung für die Frauen sein.
Indígena-Vertreter*innen ziehen sich von Bildungsberatungen zurück
(Guatemala-Stadt, 17. November 1997, cerigua-Poonal).- Die Verhandlungen über eine Bildungs- und Erziehungsreform in Guatemala werden vorerst ohne die Delegiert*innen der Mayas stattfinden. Diese zogen sich aus Protest zurück, weil ihnen in der entsprechen den 17köpfigen dem Bildungsministerium zugeordneten Kommission nur drei Plätze zugestanden wurden – die Mayas stellen die Bevölkerungsmehrheit. Führende Persönlichkeiten der Koordination der Organisationen des Maya-Volkes Guatemalas (COPMAGUA) kritisieren zudem, daß die Mehrheit der Kommissionsmitglieder von Angehörigen der Privatwirtschaft gestellt wird. Die Maya-Vertreter*innen haben nun eine eigene Kommission gebildet, um sich über das weitere Vorgehen einig zu werden. Die COPMAGUA klagt die Regierungsseite in einer Pressemitteilung an, sich „über eines der Friedensabkommen hinwegzusetzen, das vorschreibt, daß alle Angelegenheiten von direktem Interesse für die Indígena-Völker von diesen und mit diesen behandelt werden müssen“.
LATEINAMERIKA
Ohne Bildung, ohne Hoffnung – Lateinamerika verspielt die Zukunft
(Teil3)
(Lima, Oktober 1997, noticias aliadas-Poonal).- In Teil 3 der Bildungsserie befasst sich John Roß mit dem Fall Mexiko, speziell mit dem:
Kampf der „Abgewiesenen“ – Mexikanische Jugendliche haben immer weniger Zugangschancen zur höheren Bildung
Einer der schrecklichsten Momente der jüngeren mexikanischen Geschichte steht in Zusammenhang mit dem Recht auf höhere Bildung. Am 2. Oktober 1968 eröffneten Truppen der Polizei und Armee auf Befehl des Präsidenten Gustavo Díaz Ordaz das Feuer auf tausende streikende Student*innen während einer Demonstration auf dem Wohngelände von Tlatelolco. Mehr als 300 Personen wurden dabei ermordet. Die Student*innen protestierten unter anderem gegen die von der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) auferlegten Zulassungsgebühren.
Drei Jahrzehnte später hat Präsident Ernesto Zedillo, ehemals Bildungsminister, eine andere Technik für die widerborstige UNAM entdeckt: das akademische Niveau und die Studiengebühren erhöhen; die Schulabgänger*innen an Privatuniversitäten oder vorbereitende Schulen weiterleiten, die sich viele Familien nicht leisten können. Der revolutionäre Philosoph und Bildungsideologe José Vasconcelos gestaltete das System der UNAM im Sinne der Verpflichtung der mexikanischen Revolution, Bildung für die Masse der Bevölkerung zu gewährleisten. Zudem wurde 1929 die universitäre Autonomie garantiert, die jedoch während studentischer Auseinandersetzungen immer wieder verletzt wurde. Der erste Versuch im Jahr 1967, die Zulassung zur Universität zu beschränken, war einer der Faktoren für die bis dahin beispiellose studentische Rebellion und das Massaker im darauffolgenden Jahr.
1987 wollte der Rektor Jorge Carpizo auf Anweisung von Präsident Miguel de la Madrid erneut die Aufnahme erschweren, was zu enormen studentischen Mobilisierungen führte. Zu diesem Zeitpunkt gab es etwa 250.000 eingeschriebene Student*innen. Heute, zehn Jahre später, werden die Türen der UNAM unter der harten Hand des neuen Rektors Francisco Barnes de Castro endgültig zugeschlagen. Eine der umstrittensten Entscheidungen von Barnes ist die Auflösung des Systems der vorbereitenden Schulen, das 1972 etabliert wurde, um armen Student*innen den Zugang zur höheren Bildung zu ermeglichen. Die jährlichen Zulassungsanträge an der Nationaluniversität erreichen dramatische Ausmasse. Während des Studienturnus 1996/97 haben 228.000 Student*innen ihre Aufnahme beantragt, wobei sich die Gesamtzahl der Student*innen auf rund 300.000 belief. Die Hälfte der Antragsteller*innen wurde zur Aufnahmeprüfung oder automatisch aufgrund ihrer Qualifikationen zugelassen. Diese Anzahl reduzierte sich letztendlich auf 34.000, von denen nur ein Drittel nicht aus dem von der UNAM ausgearbeiteten Netz von vorbereitenden Schulen stammt.
Die 80.000, denen der Uni-Eintritt nicht gelang – sie sind als die „Zurückgewiesenen“ bekannt, können die Aufnahmeprüfung nächstes Jahr wiederholen und sich währenddessen an einer der 132 Privatakademien einschreiben, um besser auf die Beantwortung der 120 Fragen vorbereitet zu sein. Trotz der halben Stipendien, die von Universität und Stiftungen vergeben werden, können sich zahlreiche Familien der ArbeiterInnenklasse die hohen Studiengebühren an diesen Schulen nicht leisten. Der fehlende Raum an der UNAM, „das größte Studienhaus“ Mexikos und eines der ältesten des Kontinents, ist ein Beispiel für die Probleme, denen die höhere Bildung Mexikos gegenübersteht. Obwohl in Mexiko jedes Jahr 2.6 Millionen Jugendliche eine weiterführende Schule abschließen, erlangen nur 1.2 Millionen jährlich einen akademischen Titel an den Universitäten, technischen Hochschulen oder Berufsschulen. Eine höhere Bildung ist in Mexiko-Stadt immerhin für 31 Prozent der Jugend erreichbar, aber nur 3,7 Prozent aus dem verarmten südlichen Bundesstaat Chiapas haben Zugang zur universitären Bildung. Die staatlichen Bildungsinstitutionen wie die Universität von Veracruz schließen regelmäßig die Hälfte der Bewerber*innen aus. Auf nationaler Ebene haben nur 14 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 20 und 24 Jahren Zugang zur höheren Bildung. Zum Vergleich: Nach Angaben der Nationalen Vereinigung Mexikanischer Universitäten und Bildungsinstitutionen beläuft sich dieser Anteil in Argentinien auf 43 und in Bolivien auf 22 Prozent.
In Mexiko gibt es 748 Schulen und Universitäten für höhere Bildung, von denen 358 privat sind. „Die Bürokrat*innen, die heute das öffentliche Bildungssystem in Mexiko gestalten, haben fast alle ihren Titel an Privatuniversitäten erhalten“, kommentiert Salvador Martínez de la Roca, StudentInnenführer von 1968, ehemaliger Bundesabgeordneter und langjähriger Professor an der UNAM. Die kritische Situation wird von den fehlenden Anstellungsmöglichkeiten für die 1,6 Millionen Jugendlichen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen, begleitet. „Die Zurückgewiesenen sind eine soziale Zeitbombe“, meint Martínez. 1996 wurde die „Bewegung der Zurückgewiesenen“ ins Leben gerufen, als Bewerber*innen, deren Bekannte und Familienangehörige die Büros der UNAM besetzten und wochenlang den Sicherheitskräften des Universitätsgeländes die Stirn boten. 1997 machen die Zurückgewiesenen jedoch einen entmutigten Eindruck, obwohl sie den jährlichen Bericht des Bildungsministers Miguel Limón vor dem Kongreß mit einer Protestaktion unterbrochen haben.
Enrique Soto, Führer der Zurückgewiesenen, ist in Sorge, daß die Jugendlichen resigniert vor der Tatsache, nie einen Berufstitel zu erhalten, aufgeben. „Barnes will die UNAM in eine Eliteuniversität verwandeln“, meint Soto. Viele, die sich weiterbilden wollen, werden an die technologischen Schulen verwiesen. Folgt man der Argumentation von Martínez, ist dies das Ziel der Restrukturierung des höheren Bildungswesens der Administration Zedillo. Solange die Türen verschlossen bleiben, wird die Situation immer explosiver werden. Die jüngsten Versuche, die Zulassung zur LehrerInnenbildungsstätte Emiliano Zapata im Bundesstaat Morelos zu beschränken, endeten im Chaos und die Zurückgewiesenen, in der Mehrheit Frauen vom Land, blockierten die Straßen. Der Gouverneur von Morelos rechtfertigte die einschränkende Maßnahme damit, zahlreiche Bewerber*innen kämen aus Nachbarbundesstaaten kommen, in denen die LehrerInnen- Universitäten gesättigt seien. Für Martínez ist die Regierungsstrategie klar: „Die Bildungspolitik von Zedillo scheint sich darauf zu richten, die Student*innen von der höheren Bildung auszuschließen, wobei die politischen Kosten so gering wie möglich gehalten werden sollen.“
Poonal Nr. 316 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar