KUBA/USA
BRASILIEN
COSTA RICA
HAITI
Chronik der Ereignisse der vergangenen Wochen:
GUATEMALA
KUBA/USA
Clinton-Gesandter auf verlorenem Posten
(Mexiko, 21. August 1996, prensa latina-POONAL).- Die Mission des nordamerikanischen Diplomaten Stuart Eizenstat, der auf einer Rundreise um Unterstützung für die nordamerikanische Blockadepolitik gegen Kuba wirbt, gestaltet sich schwierig. Eizenstat startete seine Kampagne in Miami, dann reiste er nach Mexiko und Kanada weiter. Doch nicht einmal bei einem Treffen in Miami, der Hochburg der kubanischen Exilgemeinde, konnte der Beauftragte des US-Präsidenten Clinton am 20. August die verschiedenen Strömungen der kubanischen Exilgemeinde überzeugen. Organisationen wie die „Brigade Antonio Maceo“ oder die „ArbeiterInnenvereinigung der kubanischen Gemeinde“ (ATC) in den USA, für ihre Ablehnung der Wirtschaftsblockade bekannt, waren gar nicht erst eingeladen. Auf der anderen Seite verweigerten die reaktionärsten Gruppen wie die „Kubanisch Amerikanische Nationalstiftung“ (FNCA) ihre Teilnahme. Per Telefon von Prensa Latina befragt, brachten die Eingeladenen und die Nicht-Eingeladenen Enttäuschung und Kritik zum Ausdruck.
Nicolas Rios, ein bekannter kubanischer Journalist in Miami und Leiter der Zeitschrift „Contrapunto“, begründete seine Absage damit, bei dem Treffen habe es sich um keine ernsthafte Zusammenkunft gehandelt: „Ich sehe das so, daß diese Person kommt, um die Meinung der Regierenden durchzusetzen. Die Bemühungen haben keinen Wert. Mir gefällt es nicht, manipuliert zu sein.“ Der Rundfunkkommentator Francisco Aruca kennzeichnete den Einsatz von Eizenstat als „Wahlmission“. Diese sei nicht darauf angelegt, tatsächlich Meinungen einzuholen oder Haltungen zu modifizieren, sondern versuche, das kubanische Exil zu beruhigen, um so zu versuchen, Stimmenverluste möglichst gering zu halten. Genau deswegen seien auch die Organisationen wie „Antonio Maceo“ oder die ATC nicht eingeladen worden. Die amerikanischen Behörden hätten die anderen Exilkubaner*innen nicht verärgern wollen. Dennoch habe diese Haltung nicht verhindert, daß konservative Gruppen aufgrund der Einladung an andere gemäßigtere Organisationen nicht an dem Treffen teilnahmen.
Ramon Cernuda von der Menschenrechtskoordination versicherte, er seinach dem Gespräch mit Eizenstat von der Undurchführbarkeit des US- Vorhabens überzeugt. „Für die Regierungen Europas und Lateinamerikas gab es keine neuen Argumente, die für das Helms-Burton-Gesetz sprechen“, sagte er. Auch Cernuda schätzt die Wahlpolitik in den USA höher ein als die erklärte Absicht, die Verbündeten zu überzeugen. Der kubanische Exilant Eloy Gutierrez Menoyo von „Cambio Cubano“ (kubanische Veränderung) glaubt, der Clinton-Gesandte könne trotz seiner Vorbereitung das Helms-Burton-Gesetz nicht verteidigen, denn „es gibt keinen Botschafter, so gut er auch sein möge, der dieses verteidigen kann“. Eizenstat selbst räumte ein, er sei in Miami mit seinem Anliegen auf große Skepsis gestoßen.
BRASILIEN
Kinderarbeit am Pranger
Von Marlinelza de Oliveira
(Río de Janeiro, 12. August 1996, sem-POONAL).- Die Hälfte der im brasilianischen Zuckerrohranbau eingesetzten Arbeitskräfte sind Kinder zwischen sieben und 14 Jahren. Nach Angaben der brasialianischen Arbeitsgerichte arbeiten im Anbau und in der Ernte in den 14 Anbaukomplexen der ländlichen Region Campos bei Río de Janeiro rund 6000 Kinder, insgesamt sind dort 10.000 Arbeitskräfte beschäftigt. Die Minderjährigen müssen dort den Angaben zufolge bis zu zwölf Stunden täglich arbeiten. Minderjährige sind in 40 Prozent der Arbeitsunfälle verwickelt.
Gegen die Kinderausbeutung wird in Brasilien kaum etwas getan. Das größte Land Südamerikas wurde daher auf dem Internationalen Tribunal gegen Kinderarbeit im März in Mexiko-Stadt formal angeklagt. Die brasilianischen Gesetze erlauben solche Arbeit nur in Ausnahmefällen für die Alterstufe von 12 bis 14 Jahren, wenn mit der Arbeit eine Ausbildung und die Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen, verbunden ist. Außerdem wird vorgeschrieben, daß Kindern und Jugendlichen der gleiche Arbeitsschutz garantiert werden muß, der für die Erwachsenen vorgesehen ist.
Kinder sind billige und im allgemeinen einfach zu disziplinierende Arbeitskräfte, Unternehmer schätzen solche Eigenschaften. „Es ist schwierig, in Brasilien eine Ware zu finden, an deren Produktion keine Kinderhände beteiligt waren“, versichert José Carlos Alexim, Direktor der Internationalen Arbeitsorganisation (OIT). Von den hohen Gewinnen, die die Kinderarbeit den Industrien einbringt, bleibt nur eine verschwindend geringe Summe bei den kleinen Arbeiter*innen. 70 Prozent von ihnen bekommen nach den Tabellen des brasilianischen Statistikinstitutes IGBE mit 48 US-Dollar nur die Hälfte des monatlichen Mindestlohns. 65 Prozent der jugendlichen Arbeiter*innen zwischen 10 und 17 Jahren müssen dafür weit mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten.
Im Bundesstaat Sao Paulo, dem größten Industriezentrum des Landes, stellen die Kinder von 5 bis 14 Jahren 15 Prozent der Arbeitskraft. Viele von ihnen haben mit Klebstoffen, Lösungsmitteln und anderenSubstanzen zu tun, die beim Einatmen irreparable Gesundheitsschäden verursachen können. Die Chemikalien greifen Herz und Atemwege, etliche Kinder sind an den Folgen gestorben. Nicht besser sind die Bedingungen in der Schuhindustrie von Rio Grande do Sul. Dort, so schätzen die Gewerkschaften und die Arbeitsbehörde selbst, sind 30 Prozent der Beschäftigten minderjährig. Die Arbeitszeit beträgt elf Stunden, bezahlt wird der Mindestlohn. Um die staatliche Kontrolle irrezuführen, werden in der Schuhindustrie ganze Familien unter Vertrag genommen, die jenseits aller gesetzlichen Regelungen produzieren. Ein weiteres Beispiel ist die Pitahanfindustrie: aus der harten und rauhen Pflanze müssen Fasern gewonnen werden, mit denen Stricke für Hängematten gemacht werden. Den Kindern werden 2,4 Dollar in der Woche ausbezahlt. Sie müssen mit einem Tuch vor dem Gesicht arbeiten, damit die kleinen Fasern nicht in ihre Lungen kommen. Bei der Produktion kommt es regelmäßig zu grausigen Arbeitsunfällen, Kinder werden an den Augen verletzt, die Hände werden verstümmelt, wenn die harten Fasern in die Maschine gesteckt werden und sich dabei um die Finger schlingen.
Die Kinderarbeit kommt zahlreichen Interessen entgegen. Landwirtschaft und Industrie finden eine zwar nicht qualifizierte, aber sehr billige Arbeitskraft. Der Staat, zur Hilfe gegenüber den Minderjährigen verpflichtet, kommt seiner Verpflichtung nicht nach. Die Kinder sind zur Arbeit gezwungen, um sich selbst und ihren Familien das Überleben zu ermöglichen. Eine UNICEF-Arbeit zeigt eine Art stillschweigender Übereinkunft seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts auf, um den Interessen der wichtigsten Beteiligten bei der Ausbeutung der Kinderarbeit zu entsprechen. In Brasilien handelt es sich nicht um ein Problem, das einzig mit kleinen skrupellosen Unternehmer*innen in Verbindung gebracht werden kann. Auch große und moderne Unternehmen, die stolz auf ihre Wettbewerbsfähigkeit sind, beuten die Arbeitskraft von Kindern aus. Sie wird sogar durch öffentliche Hilfsprogramme und angesehene Nicht- Regierungsorganisationen gefördert, meint die Soziologin Misa Boito, die Organisatorin des Nationalen Tribunals gegen die Kinderarbeit.
Der Staat überträgt die Verantwortung, indem er vorgibt, eine seiner Pflichten sei es, für die Arbeit zu erziehen. Kinderarbeit wird als disziplinierendes Element romantisiert, das vor der Marginalität schütze. Aussagen wie „es ist besser zu arbeiten als zu rauben“ sind nicht selten zu hören. In den Bundesstaaten Ceará und Minas Gerais wurde die Beschäftigung von Minderjährigen 1991 zum Regierungsprogramm. Die Arbeitsrechte wurden für Kinder kurzerhand außer Kraft gesetzt. Die Verantwortlichen rechtfertigten das Programm damit, sie wollten den Minderjährigen eine „würdige“ Arbeit verschaffen. In dem Landkreis Fortaleza, Bundesstaat Ceará, beschäftigt ein Projekt, an dem die Stiftung Wohlergehen des Minderjährigen (FEBEN) beteiligt ist, 3.200 Jugendliche von 14 bis 17 Jahren. Für täglich vier Stunden Arbeit wird ihnen der halbe Mindestlohn ausbezahlt. In Belo Horizonte, Minas Gerais, sind es die Großunternehmen, der Schuh-, Zucker- und Elektrobranche, die Kinderarbeit „benötigen“.
Viele Einrichtungen enden als Vermittler für die billige Arbeitskraftder Kinder. Beispiele lassen sich überall finden. In Minas Gerais protestierten die Gewerkschaften, weil sie in der billigen Kinderarbeit ein Hindernis für die Einstellung von erwachsenen Menschen sahen. In Brasilien sind etwa acht Millionen Erwachsene arbeitslos. Etwa die gleiche Anzahl Kinder und Jugendlicher arbeitet. Wenn ein Unternehmen für unqualifizierte Arbeiten zehn Kinder zum Preis von fünf Erwachsenen einstellen kann, zieht es die Minderjährigen vor. Rodrigo Rocha, Anwalt der Organisation SOS Kinder- und Jugendlichenarbeit (SOS TCA) urteilt: „Die erwachsenen Arbeiter*innen haben für Rechte gekämpft und sie durchgesetzt, die die Unternehmer*innen nicht zahlen wollen.“
Der 14jährige Luciano de Souza kam zu SOS TCA, weil er eine Supermarktkette verklagen wollte. Dort arbeitete er neun Monate lang als „Mädchen für alles“ für den Mindestlohn. Weil die Zwölf-Stunden- Schichten ihm den Schulbesuch unmöglich machten, kündigte er. Als er die ihm gesetzlich zustehende Abschlußzahlung einforderte, wollten seine Arbeitgeber nur 96 Cent bezahlen. Das reichte nicht einmal für die Heimfahrt. Viele Kinder und Jugendliche entscheiden sich für die Arbeit und verlassen die Schule. Nur 22 Prozent der Schüler*innen beenden die Grundschule. Die Abgänge sind nicht freiwillig. Untersuchungen von Nicht-Regierungsorganisationen geben immer den selben Hinweis: Wenn ein arbeitendes Kind gefragt wird, was es gerne machen würde, so lautet die Standardantwort „studieren, um es zu etwas zu bringen“.
Irene Rizzini, mitverantwortlich für die UNICEF-Studie, meint: „Ich bin sicher, das ist nicht das, was das Land für seine Kinder will. Solange diese Minderjährigen keine Bildung bekommen, sind die Arbeit und die Ausbeutung unvermeidlich. Es handelt sich um eine Situation, die eine staatliche Politik verlangt, um sie lösen zu können.“ Die Untersuchungen des IBGE und andere offizielle Daten belegen, daß die Kinderarbeit in dem Maße abnimmt, wie das Familieneinkommen steigt. Eine Hilfsorganisation in der Region Campos garantierte von 1991 bis 1993 jeder Familie, die einen Minderjährigen nicht mehr in die Zuckerrohrplantagen zur Arbeit schickte, eine Gegenleistung im Wert von einem Dollar pro Schultag. Die Aktion hatte Erfolg, bis die Hilfe auslief und die Kinder wieder arbeiten mußten. Die Kinder, die heute arbeiten, sind die Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten der Zukunft. Ohne oder mit geringer Schulausbildung erhalten sie weder die Bildung noch die psychologische Vorbereitung, um Chancen auf einen qualifizierten Arbeitsplatz zu haben. In diesem Sinne äußert sich Rosiver Pavan von der Nationalen Kommission der Rechte für das Kind und den Heranwachsenden von der Gewerkschaftszentrale CUT. Die CUT unterschrieb zusammen mit anderen Organisationen einen offenen Brief an Präsident Fernando Henrique Cardoso. Darin wird eine Politik gefordert, die ein für alle Mal mit der Ausbeutung der Kinderarbeit im Land Schluß macht.
COSTA RICA
Entführte Touristinnen geraten ins Zwielicht
Von Thaís Aguilar (San José, 15. August 1996, sem-POONAL).- Vorgesehen war ein Fernsehinterview mit Beteiligung des Publikums, bei dem Susana Regula Siegfried auf Fragen antworten sollte. Doch am Ende war es eine Verteidigung. Die 50jährige in Costa Rica nationalisierte ehemalige Schweizerin war Anfang des Jahres zusammen mit der 25jährigen deutschen Touristin Nicola Fleuchaus in der Nähe der Grenze zu Nicaragua entführt worden. Das Entführungskommando nannte sich „Viviana Gallardo“ und bestand aus fünf Männern, einige von ihnen Nicaraguaner. Sie forderten 200.000 Dollar für die Freilassung. Die beiden Europär*innen wurden 71 Tage lang in der Grenzregion auf dem Gebiet des Nachbarlandes gefangen gehalten. Während dieser Zeit führten viele Costarikaner*innen Märsche und andere kampagnenartige Aktion durch, auf denen die Entführer aufgefordert wurden, die Frauen gesund und heil freizulassen.
Jetzt sorgten die von „La Nación“, der wichtigsten Zeitung des Landes, veröffentlichten Exklusivfotos für einen Aufruhr im Land. Die Fotos wurden in der Nacht vor der Freilassung der beiden Frauen gemacht. Sie zeigen unter anderem Nicola Fleuchaus, wie sie einen der Entführer küßt und umarmt. Dabei handelt es sich um den Nicaraguaner Julio César Vega Rojas, der am 26. April verhaftet wurde und seitdem in Costa Rica im Gefängnis sitzt. Sowohl die Fotos wie auch die Tatsache, daß die Frauen verschwiegen hatten, die Gesichter einiger der Entführer gesehen zu haben, löste heftige Diskussionen aus. Susana Siegfried hat inzwischen zahlreiche Interviews gegeben. Viele Costarikaner*innen, darunter Mitglieder der Regierung und der Staatsanwaltschaft machen sie nun für das Verhalten ihrer wieder in Deutschland lebenden Haftgefährtin verantwortlich. Die Fotos haben Erschütterung und voreilige Verurteilungen zur Folge gehabt. „La Nación“ brachte erst am Folgetag ein Interview mit einer Psychologin, die das sogenannte Stockholm-Syndrom (die Solidarisierung mit den Entführern; die Red.) und seine möglichen Auswirkungen auf Nicola Fleuchaus und Susana Siegfried erklärte.
HAITI
Angriffe gegen Lavalas-Bewegung erzeugen Unsicherheit und Verwirrung
(Port-au-Prince, 24. August 1996, hib-POONAL).- Die jüngsten Angriffe auf Regierungsgebäude, Verhafungen und Morde, die alle unter mysteriösen Umständen stattfanden, haben Mitglieder der Lavalasbewegung zu Anklagen gegen die Regierung und die UNO geführt, sie würde die Offensive von rechts herunterspielen. Die (rechten) Gegner*innen der Regierung nutzen die Verwirrung aus und kritisieren Lavalas. Die Regierung von Rene Preval ihrerseits treibt ihr neoliberales Wirtschaftsprogramm weiter voran und die immer frustrierteren Organisationen der Demokratie- und Volksbewegung reagieren mit heftiger Kritik und kündigen Proteste an.
Preval und die Regierung sind mit der Situation umgegangen, indem sie ehemalige Soldaten und deren Verbündete eines Komplotts anklagten. Sie verhafteten Mitglieder einer der Parteien, die den Putsch unterstützten und forderten bessere Waffen für die Polizei.Gleichzeitig betonte die Regierung, daß sie nichts von ihrem Hauptziel abbringen wird, seit sie ins Amt kam: die Verabschiedung der Gesetze durch das Parlament, die die neoliberalen Reformen endgültig auf den Weg bringen. Das soll angeblich hunderte Millionen Dollar des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank freimachen. Vor den Abgeordneten erklärte Preval am 20. August: „Jedesmal wenn die Regierung dabei ist, wirtschaftlichen Erfolg zu haben, kann man politische Unordnung beobachten, die den wirtschaftlichen Erfolg vom Weg abbringen will… Stellen Sie sich selbst die Frage: Warum wurde das Parlament angegriffen? Weil wir fast bei der Abstimmung über die letzten beiden Gesetze angelangt sind, so daß wir Ende August vor dem IWF antreten können. Es ist eine Form, das Parlament nicht zur Arbeiten kommen zu lassen.“ Am 23. August traf er erneut mit Abgeordneten zusammen, um den Zeitplan für die abschließende Gesetzesabstimmung festzulegen. Das jüngste Fristende soll der 3. September sein, obwohl Finanzminister Fred Joseph diese Frist ausweitete, indem er „jedes Datum im September“ als gut bezeichnete.
Die Kritik am politischen und wirtschaftlichen Kurs nimmt unterdessen zu. Pater Joachim Samedi (unter Aristide selbst Regierungsmitglied; die Red.) kritisierte das Justizsystem. Die „Oganizasyon Politik Lavalas-North griff die Zentralregierung wegen ihrer Tatenlosigkeit an. Die Polizei alleine könne keine Sicherheit gewährleisten. „Sie sollten Aktivist*innen integrieren.“ In Les Cayes und in der Hauptstadt bauten Mitglieder aus Volksorganisationen Barrikaden auf, um gegen die Unsicherheit und das Nichtstun der Regierung zu protestieren. Als UNO-Truppen einen Demonstranten in der Hauptstadt verhafteten, reagierten die Leute mit Steinwürfen gegen die Regierung. In einem Interview mit „Radio Haiti Inter“ kritisierte der Koordinator der Gruppe „Solidarite Ant Jen/Veye Yo“ die „gegen das Volk gerichtete, anti-nationale Regierung“ scharf wegen ihrer „Abhängigkeit von den großen ausbeutenden Ländern“. Die Führer*innen, von denen viele Teil der demokratischen Bewegung gewesen seien, würden in den Augen der Bevölkerung an Legitimität verlieren. Er rief die Menschen auf, in ihren Nachbarschaften eigene Gruppen für die Sicherheit zu organisieren. „Ich glaube, wir sollten von dieser Erfahrung lernen. Sogar wenn die Regierung über Sicherheit spricht, meint sie nur die Sicherheit der Reichen (die Regierung kündigte gerade neue Schritte an, die Banken zu schützen, d. Red). Das ist eine von ihr getroffene Wahl. Sie könnte keine andere treffen, da sie das Schoßkind der Imperialisten, der Bourgeosie ist“, erklärte der Mann.
Die Plattform Haitianischer Menschenrechtsorganisationen kritisierte die Regierung erneut dafür, nichts für die Entwaffnung zu tun und wandte sich gegen Prevals Versuch, die jüngsten Attacken zu benutzen, um sein neoliberales Programm voranzubringen. „Die Plattform beobachtet den irrigen und unverantwortlichen Charakter solch einer Interpretation“, heißt es. „Die wirtschaftlichen Maßnahmen sind in keinster Weise zu rechtfertigen und noch weniger sind sie in der Lage, die politischen Probleme verschwinden zu lassen.“ Und zur fehlenden Entwaffnung meint die Plattform: „Hat die Regierung geglaubt, sie könne diese Mörder dazu bringen, sich der Idee der Demokratie anzuschließen?“ Sie empfiehlt in Anlehnung an frühereErklärungen eine Neuorientierung der bisherigen Politik, „die dazu tendiert, die Volksschichten von wirklicher politischer Beteiligung auszuschließen“ und spricht sich dafür aus, die „tieferen Gründe“ für den Bruch der Lavalasbewegung zu analysieren.
Chronik der Ereignisse der vergangenen Wochen:
* 16. Juli: der ehemalige General Claude Raymond wird wegen
„subversiver Aktivitäten“ verhaftet.
* 19. Juli: der ehemalige Armeesergeant Andre Armand wird ermordet.
* 26. Juli: 165 US-Soldaten kommen auf Haiti an und patrouillieren in der Hauptstadt in schwerer Kampfausrüstung. Ihr Aufenthalt soll eine Woche betragen, doch einige bleiben offensichtlich länger.Der Fahrer eines Mitglieds von Prevals Privatkabinett verschwindet – bis heute.
* 4. August: Nachts schießen Leute auf der Champ-de-Mars-Avenue um sich und verletzten mindestens 12 Menschen.
* 5. August: In Cap-Haitien töten Diebe einen Angestellten und drei Wächter der PROMOBANK, als sie einen Wagen mit 3,5 Millionen Gourdes entführen.
* 6. August: Preval macht ehemalige Armeemitglieder für die Unsicherheit verantwortlich.
* 10. August: Angehörige der UNO-Hilfsmission für Haiti treffen sich mit dem Präsidenten, um neue Sicherheitsstrategien zu entwerfen. Die Patrouillen sollen erhöht werden.
* 12. August: Ein Mitglied der Nationalpolizei wird umgebracht, ein weiteres verletzt, als sie nahe der Hauptstadt in einen Hinterhalt geraten.
* 14. August: Ex-Armeemitglieder fordern Preval zum Rücktritt auf und warnen ihn vor der Verhaftung ehemaliger Soldaten.
* 17. August: Etwa 20 Männer, fast alle Ex-Soldaten werden in den zentralen Büroräumen der Bewegung für die Nationale Entwicklung verhaftet. Die Partei, die den Putsch unterstützte ist vehement gegen die Lavalasbewegung eingestellt. Sie stellt sich hinter die Forderungen ehemaliger Soldaten.
* 18. August: In der Nacht attackieren 20 Personen in olivgrünen Uniformen die wichtigste Polizeistation in Port-au-Prince, in der sich die tagszuvor verhafteten Leute befinden. Auch das Parlament wird mit Maschinengewehren und Mörsern angegriffen, es entsteht geringer Schaden. Auf den Nationalpalast werden ebenfalls Schüsse abgegeben. Ein Passant wird dabei getötet, zwei Polizeimitglieder verletzt. Schüsse werden auch aus der Umgebung des Hauses von Jean- Bertrand Aristide gemeldet. * 19. August: Auf dem Gelände einer Tankstelle wird eine nicht gezündete Granate gefunden und entschärft. Volksorganisationen errichten brennende Barrikaden in La Saline und protestieren gegen die herrschende Unsicherheit.
* 20. August: Das Pentagon kündigt die Entsendung von 50-US-Marines an, die die Botschaft schützen sollen. Die Botschaft dementiert und spricht von einem einwöchigen Routinejob. Die Nationalpolizei erläßt Haftbefehle gegen Hubert Deronceray, den Chef der Bewegung für die Nationale Entwicklung (MDN) und gegen den Ex-General Prosper Avril. Zwei MDN-Mitglieder, einer davon der zweite Mann in der Partei, werden niedergeschossen. Ein Gesetz, das der Polizei schwerer Waffen erlaubt, wird ins Parlament eingebracht.
Preval erklärt bei Besuchen in La Saline, im Parlament und bei der Nationalpolizei, die Verhaftungen in der MDN-Zentrale hätten eine größere Verschwörung gegen die Regierung vereitelt. Bürgermeister Emmanuel „Manno“ Charlemagne will Beweise haben, daß die sonntäglichen Angriff „gestellt“ waren, „eine Farce, um die Verhaftungen zu rechtfertigen“.
* 22 August: Nachts wird „Television Nationale d'Haiti“ mit Gewehren angegriffen, eine Granate zerstört die Fensterscheiben. Ex- Bürgermeister Evans Paul von der Nationalen Front für den Wechsel und die Demokratie (FNCD) klagt die Regierung an, MDN-Führer zu ermorden und zieht einen Vergleich mit dem Duvalier-Regime. Er ruft zu einer „Nationalen Konferenz“ auf. UNO-Vertreter Enrique Ter Host erklärt: „Die Vergangenheit kann niemals zurückkommen“ und spielt die Angriffe herunter. Sie „stellen das demokratische System oder die politische Stabilität nicht in Frage“.
* 23. August: Preval trifft sich mit Abgeordneten, um die Unsicherheit zu diskutieren und zu betonen, wie wichtig die Abstimmung über die neoliberalen Gesetze sei. Mitglieder und ehemalige Mitglieder der FNCD distanzieren sich von den Erklärungen Pauls.
Premierminister Smarth sagt zu den jüngsten Attacken, sie „empören uns“, aber sie seien keine Gefahr für die Regierung.
GUATEMALA
CERJ fordert sofortige Abschaffung des PAC-Gesetzes
(Guatemala-Stadt, 20. August 1996, cerigua-POONAL).- „Reden und Taten der regierenden Partei der Nationalen Vorhut (PAN) werden solange nicht übereinstimmen, solange die Regierungspartei sich weigere, sofort das Gesetz abzuschaffen, das die paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) schaffte.“ Dies versicherte der Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des Rates der ethnischen Gemeinschaften „Runujel Junam“ (CERJ), Amilcar Méndez. Mit ihm protestierten hunderte Menschen, die meisten von ihnen Mayas, gegen die PAC. Anlaß war der achte Jahrestag der Gründung des CERJ. Diese Organisation entstand in dem Bestreben, gegen zwangsweise (obwohloffiziell freiwillige) Rekrutierungen für die Zivilpatrouillen vorzugehen. Sie wuchs schnell auf mehrere tausend Mitglieder an.
Das Demokratische Bündnis Neues Guatemala (FDNG), für das Amilcar Méndez im Parlament sitzt, hat eine Gesetzesinitiative ausgearbeitet, die den Patrouillen mit sofortiger Wirkung die Legitimität entziehen soll. Die Angelegenheit kann aber laut Parlamentspräsident Carlos García Regas erst behandelt werden, wenn das endgültige Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla unterschrieben ist. Im August hat die guatemaltekische Armee damit angefangen, die ersten paramilitärischen Zivilpatrouillen aufzulösen. Für Méndez handelt es sich dabei allerdings um eine „einseitige Maßnahme, die versucht, die Rolle des Terrors und der Feindseligkeiten, den diese paramilitärischen Gruppen spielen sowie die Verantwortung einiger ihrer Mitglieder bei Menschenrechtsverletzungen, zu verbergen“.
Poonal Nr. 254-255 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar