Militär schweigt nach wie vor zum „Plan Cóndor“

von Vicky Pelaez

(Fortaleza, 05. Dezember 2011, adital).- In der blutigen Epoche der Militärdiktaturen, die Lateinamerika in den 1970er und 1980er Jahren beherrschten, wurde das größte internationale terroristische Netzwerk des 20. Jahrhunderts geschaffen. Schon sein Name „Plan Cóndor“ (Operation Condor) ließ die exilierten und verfolgten Brasilianer*innen, Argentinier*innen, Chilen*innen, Uruguayer*innen, Paraguayer*innen und Bolivianer*innen vor Schreck erzittern.

Eine blutige Hand wusch die andere

Der Plan, der nach seiner Entdeckung die Welt aufrüttelte, beruhte auf einem Abkommen, das die Regierungen von Chile, Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Peru 1975 unterzeichneten, um die politische Unterdrückung zu organisieren. Er bestand im Austausch von Informationen über die Dissident*innen aus jedem einzelnen dieser Länder, um sie in der Folge zu verschleppen, sich gegenseitig zu überstellen, verschwinden zu lassen, sie in ihr Heimatland zurückzubringen oder vor Ort zu ermorden. Während die Verantwortlichen für diese Straftaten in Argentinien und Chile inzwischen verurteilt werden, erreicht der lange Arm der Justiz in diesen Tagen auch Brasilien.

Verfolgte der Diktatur wurden in der Demokratie Präsidenten

Die Urheber der Staatsstreichs in Brasilien im Jahr 1964, General Mariscal Humberto Castello Branco und die Generäle Arthur da Costa Silva, Emilio Garastazú Médici Ernesto Geisel und Joao Baptista Figueiredo, die das Land bis 1985 auf der Grundlage von Terror regierten, hätten sich niemals vorstellen können, dass ihnen das Rad der Geschichte eines Tages einen Streich spielen würde und von ihnen Verfolgte einmal Präsidenten Brasiliens werden sollten.

Doch genau so kam es. 1995 wurde Dr. Enrique Cardoso, der von der Militärjunta aus dem Land vertrieben worden war, zum Präsidenten gewählt. Ihm folgte 2003 mit Luis Inácio Lula da Silva ein ehemaliger Gefangener der Diktatur aus der Führung der Arbeiterpartei. Anfang dieses Jahres schließlich wurde Dilma Vana Rousseff zur ersten Präsidentin Brasiliens gewählt, auch sie hatte als seinerzeitige Guerillera unter den Militärs in Haft gesessen und war gefoltert worden.

Militär gewährte sich selbst Amnestie

Häufig bedeutet die Rückkehr zur Demokratie nicht die sofortige Anwendung der Justiz für die von der Diktatur begangenen Verbrechen. Bevor die brasilianischen Militärs die Macht aufgaben, erließen sie noch das Amnestiegesetz, das sie von jeder Verantwortlichkeit für die Repression der Jahre 1964 bis 1985 befreite – insbesondere für ihre Teilnahme am „Plan Cóndor“.

Brasilien, unbekannter Schauplatz des Kalten Krieges

Im Kontext des Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion nahm Brasilien einen besonderen Platz ein. Es handelte sich um eines der wenigen Länder, das diplomatische Beziehungen mit der Sowjetunion unterhielt, welche die Auffassung vertrat, dass lediglich Kuba und das Brasilien des Präsidenten João Goulart (1961 bis 1964) „fortschrittliche“ Länder in Lateinamerika seien. Dies provozierte Washington. Nach dem Staatsstreich von 1964 kühlten die Beziehungen zur Sowjetunion sich auch bis in die 1970er Jahre ab. Viele brasilianische Kommunist*innen, darunter der Generalsekretär der KP, Luís Carlos Prestes, gingen ins Exil nach Moskau.

Dennoch kam es ab 1975 – genau zu dem Zeitpunkt, als der repressive „Condor“ über Lateinamerika zu fliegen begann – zu einer pragmatischen, strikt auf den Handel begrenzten Annäherung der beiden Staaten. Brasilien begann, wirtschaftliche Unabhängigkeit von den USA zu suchen, während die Sowjetunion nach neuen Märkten Ausschau hielt, ebenso wie nach Weizen-Lieferanten, bestand doch eine US-Blockade. Aufgrund wirtschaftlicher Interessen wurden die ideologischen zurückgestellt, was soweit führte, dass das ZK der KPdSU die Augen schloss vor der Verfolgung ihrer brasilianischen Genoss*innen.

Condor schlüpfte in brasilianischem Nest

Nur sehr wenige wissen, dass Brasilien der Wegbereiter jenes unheilvollen Plan Cóndor war, der allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht diesen Namen trug. Brasilien begann ihn bereits ab 1964 anzuwenden und zu perfektionieren. Obwohl inzwischen so viele Jahre vergangen sind und es zahlreiche politische Veränderungen gegeben hat, haben es die brasilianischen Militärs doch stets verstanden, die Verbrechen der Diktatur zu verschleiern oder aber sie zu rechtfertigen. Statistiken wurden gelöscht oder verborgen, und sowohl die Unterdrücker als auch die Institution Militär wurden als Ganzes vor dem Damoklesschwert der Justiz geschützt.

Der Einfluss der Streitkräfte ist in Brasilien bis zum heutigen Tag so groß, dass es nicht einen einzigen Verurteilten wegen Menschenrechtsverletzungen während der Jahre 1964 bis 1985 gegeben hat. Wenig ist bekannt, aber über 600 Menschen sollen ermordet worden sein, etwa 150 verschwanden, mehr als 50.000 wurden verhaftet, es gab 2.000 Gefolterte und etwa 10.000 Brasilianer*innen gingen ins Exil. Die wahren Zahlen der Opfer müssen allerdings deutlich höher sein, doch die Militärs weigern sich, ihre Archive zu öffnen, sofern sie diese nicht ohnehin zerstört haben.

Wahrheitskommission erstellt Bericht

Ihre Macht ist in der Tat auch im demokratischen Brasilien so groß, dass Lula es während seiner Präsidentschaft (2003 – 2011) ebenso wenig wagte, eine Wahrheitskommission einzurichten, wie es in der Mehrzahl der lateinamerikanischen Länder der Fall war. Vor wenigen Wochen hat Präsidentin Dilma Rousseff, nach viel Unschlüssigkeit und unter Druck der Arbeiterpartei, der sie angehört, es gewagt, das Gesetz über die Wahrheitskommission zu unterzeichnen. Dieses setzt den sieben Mitgliedern eine Frist von zwei Jahren, um einen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in Brasilien während der Diktatur fertigzustellen. Rousseff unterzeichnete ebenfalls das Gesetz über Zugang zu Informationen, das eine Grenze von 50 Jahren zieht, nach der die Geheimarchive geöffnet werden müssen. Das bedeutet, dass die abschließende Wahrheit erst im Jahr 2035 bekannt sein würde. Unterdessen bleibt das 1979 für die Militärs erlassene Amnestiegesetz in Kraft. Es schützt sie vor der Verfolgung aller Menschenrechtsverletzungen im Zeitraum 1946 bis 1988.

Die Militärs wollen nicht, dass die öffentliche Meinung erfährt, dass sie 1964 Anweisungen von US-Präsident Lyndon B. Johnson erhielten, Präsident João Goulart von der Macht zu entfernen, da er gewiss mit der Sowjetunion sympathisiert habe.

Brasilien als Statthalter der USA auserkoren

Der US-Militärattaché Oberst Vernon Walters – einer der finstersten und zugleich intelligentesten Männer des CIA – arbeitete den Plan für den Staatsstreich aus und wählte den General Humberto Castello Branco als dessen Anführer. Walters verführte ihn mit der Idee, dass Brasilien sich in den rechten Arm der USA in Lateinamerika verwandeln würde. Aus dem „rechten Arm“ wurde nichts, Brasilien wurde einfach in ein Labor der Unterdrückung verwandelt, in dem der „Plan Cóndor“ zu einer ersten vorzeitigen Aufführung kam.

Um die Brasilianer in den Folter-Techniken zu trainieren wurde der berüchtigte FBI-Agent Daniel Mitrione entsandt, den die CIA anwarb, da sie ihn für den Folter-Spezialisten par excellence hielt. In Brasilien schuf er sein Labor für die künftigen lateinamerikanischen Folterer, hier erfand er seinen berühmten „Drachen-Stuhl“. Für seine Experimente benutzte Mitrione Bettler aus Belo Horizonte. Später kam noch die Hilfe des französischen Generals Paul Aussaresses hinzu, der seine perfide Kunst im Algerien-Krieg perfektioniert hatte.

In Argentinien gingen brasilianische Schergen ein und aus

Bereits seit dem Jahr 1964 liefen brasilianische Agenten in Argentinien umher, als ob es sich um ihr eigenes Haus handele. Sie verschleppten Oppositionelle der Diktatur des Nachbarlandes. US-Außenminister Henry Kissinger und Vernon Walters entschieden sich 1975 dazu, ihre Erfahrung bei der Verfolgung von Dissident*innen in anderen Ländern für die Schaffung jener Internationale des Terrors zu nutzen, die den Namen „Plan Cóndor“ trug.

Es darf nicht vergessen werden, das bereits sehr viel früher brasilianische Agenten und „Diplomaten“ in Argentinien, Uruguay, Paraguay, Chile und Bolivien an der Arbeit waren, unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Kommunismus, der keine Grenzen kenne und künftige Umstürze in ganz Lateinamerika vorbereite.

Bis zum heutigen Tag fahren die brasilianischen Streitkräfte damit fort, die Geschichte zu verschleiern, die Unterdrücker aus ihren Reihen zu schützen und ein großes Vergessen zu erreichen. Nur eine Frage kommt auf: Die Gefolterten – werden sie vergessen und verzeihen können, genauso wie die Angehörigen der Verschwundenen und der Ermordeten?

 

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