Erinnern heisst nicht, in der Vergangenheit herum zu stöbern. Es ist vielmehr ein kreativer Akt, in dem das was war mit dem was ist verbunden wird. (Marianne Frenk-Westheim)
Marianne Frenk-Westheim ist gerne kreativ und so macht es Spass, gemeinsam mit der 103-Jährigen durch ihre Erinnerungen zu gehen. Zu erzählen hat sie immer etwas: das Leben der agilen Dame umspannt nicht nur drei Jahrhunderte sondern auch zwei Kontinente. 1930 emigrierte die Jüdin Marianne Frenk, gemeinsam mit ihrem ersten Ehemann Ernst, nach Mexiko. Sie verliebte sich auf den ersten Blick in das mittelamerikanische Land –es roch nach Freiheit und strahlte im Sonnenlicht, erinnert sie sich noch heute gern. 1935 wird sie von den Nazis ausgebürgert und erhält die mexikanische Staatsbürgerschaft. Marianne Frenk kann allerdings –ebenso wie ihr Liebling Heinrich Heine mit dem „Vaterlands-Gedanken“ nicht viel anfangen, sie fühlt sich als Weltenbürgerin –zu grenzüberschreitend sind ihre Ideen, um sich geographisch festnageln zu lassen.
Die Kriegsjahre waren angefüllt mit Aktivitäten rund um die Exilgemeinde: etwa 2000 Flüchtlinge aus Nazideutschland –meist intellektuelle Regimekritiker, viele von ihnen Juden. Marianne kannte sie alle: da war der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, Literaten wie Anna Seghers und Ludwig Renn, der Fotograf Walter Reuter oder der Maler Wolfgang Paalen und eben auch der jüdische Kunstkritiker Paul Westheim, der später Mariannes zweiter Mann werden sollte. Ihm ist es auch zu verdanken, dass sie in ihrem Heimatland überhaupt erwähnt wird –die meisten Artikel beschränken sich allerdings auf ihre Rolle als „Frau von Paul Westheim“.
In ihrer Wahlheimat dagegen hat sie sich einen Namen als Literaturdozentin, Hispanistin, Museumsexpertin und als Übersetzerin des mexikanischen Dichters Juan Rulfo gemacht. Mit 94 Jahren beschloss Marianne Frenk-Westheim, dieser Liste noch eine weitere Tätigkeit hinzuzufügen und veröffentlichte ihr erstes Buch „… und tausend Abenteuer“. Die Mexikaner lieben ihre „Mariana“ und zum Geburtstag am 4. Juni reichen sich neben ihrer vielköpfigen Familie, Intellektuelle, Künstler und Minister die Klinke in die Hand.
Obwohl ihr Körper heute gebeugt und an den Rollstuhl gebunden ist, dreht der unruhige Geist weiter am Rad. Was ich denn von dem neuen Günther Grass Roman halte, fragt sie, froh darüber Besuch aus Deutschland zu haben. Es folgt ein Gespräch über Grenzen und Grenzüberschreitungen, über Identität und das Alter, über die Liebe und über den Tod. Ein Nachmittag bei Marianne Frenk-Westheim ist eine Reise durch die Zeit und ein Blick in eine Zukunft in der Kultur nicht durch Grenzen definiert wird sondern durch Ideen.
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