von Marta Escurra
(Lima, 22. November 2009, semlac).- Am Morgen des 6. November rannte Jorgelina Portillo, eine junge Frau der Gemeinschaft der Avá Guaraní aus Itakyry im Departement Alto Paraná, 407 km östlich von Asunción, zu ihrer strohgedeckten Holzhütte, um ihre sechs Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie warnte die Kinder, dass sie unter keinen Umständen das Haus verlassen dürften, weil ihr Leben in Gefahr sei.
Die 31jährige Frau machte sich mit ihrem Mann Ignacio Gauto, dem 40 Jahre alten Oberhaupt der indigenen Gemeinschaft im Bezirk Itakyry, auf den Weg, um das von ihren Vorfahren ererbte Territorium zu verteidigen.
Sie fanden sich vor einem Aufgebot aus Jeeps, Baggern und Lastwagen wieder, das vorgefahren war, als wolle es in den Krieg ziehen. Die Fahrzeuge gehörten Sojaproduzent*innen, die überwiegend aus Brasilien stammten. Sie wollten Jorgelina, Ignacio und weitere 500 indigene Familien von ihrem Land vertreiben, wobei sie sich auf eine richterliche Räumungsanordnung beriefen.
Mit Pfeil und Bogen bewaffnet stellten sich die Indígenas schützend vor ihre Hütten, bis sich die Fahrzeuge endlich zurückzogen. Wenige Stunden später überflog ein Flugzeug dreimal mit rasanter Geschwindigkeit das Gebiet und „ha orembojahú venenope“, erklärte der Kazike Gauto auf Guaraní der Nachrichtenagentur SEMlac: „wir wurden mit Pestiziden besprüht“.
Alto Paraná gehört neben dem Departement Caaguazú zu den wichtigsten Soja–Anbaugebieten Paraguays. Hochrechnungen zufolge erwartet man allein aus dieser Gegend einen Ertrag von 7.155.000 Tonnen Soja zu einem Wert von 2,1 Millionen US–Dollar. Dabei setzen die Sojaproduzenten das Herbizid Glyphosat zum Schutz der Kulturen vor Schädlingen ein.
„Es ist nicht das erste Mal, dass wir besprüht wurden. Letztes Jahr im September haben sie das schon einmal gemacht, und die ganze Gemeinschaft ist krank geworden. Wir hatten viele schlimme Symptome, besonders unsere Kinder“, erzählte Jorgelina, die zur Zeit unter Juckreiz am ganzen Körper leidet, der, wie sie sagt, von den aus dem Flugzeug versprühten Chemikalien herrühre.
So wie sie litten über 200 Indígenas an Reaktionen wie Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Juckreiz am ganzen Körper. Die paraguayische Gesundheitsministerin Esperanza Martínez bestätigte dies.
Die Ministerin reiste einen Tag nach Bekanntwerden des Vorfalls in Begleitung einer Delegation nach Itakyry (Itakyry bedeutet auf Guaraní „Ort mit vielen kleinen Steinchen“). Der Delegation gehörten der Umweltminister Oscar Rivas, die Leiterin der Indígena–Behörde Paraguays INDI (Instituto del Indígena de Paraguay), Lida Acuña, sowie die Ministerin für Kindheit und Jugend Liz Torres und der Sozialminister Pablino Cáceres an.
Die Anzeige
Am Freitag, den 13. November, erstattete die Indígena–Behörde INDI vor der Staatsanwaltschaft von Itakyry eine formelle Anzeige gegen unbekannte Personen „aufgrund des Straftatbestands der schweren Körperverletzung und Nötigung, welcher Angehörige folgender Gemeinden der Avá Guaraní zum Opfer fielen: Ka´a Poty, Ka´aguy Rory, Ka´aty Mirí – Formosa und Loma Tajy; sowie außerdem eine Gemeinde der Mbya Guaraní.“
Vertreter*innen der Pressestelle des INDI erklärten gegenüber SEMlac, diese Anzeige solle die Generalstaatsanwaltschaft von der dringenden Notwendigkeit überzeugen, die Vorkommnisse aufzuklären.
Aus Sicht von Nidia Silvero, der Anwältin der Sojaproduzent*innen, die vor Gericht ihren Besitzanspruch auf die betroffenen Ländereien erstreiten wollen und die wegen des Tatbestands der massiven Vergiftung verklagt wurden, sei der Vorfall frei erfunden. „Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass es eine solche Sprühaktion gegeben hat. Die Sojaproduzenten haben dort nur friedlich mit ihren Fahrzeugen für das Recht auf die ihnen gehörenden Ländereien demonstriert. Einer von ihnen hat sein Flugzeug angeboten, um die Demonstration aus der Luft zu beobachten, aber niemals wurde irgendein Gift versprüht“, erklärte sie gegenüber SEMlac.
Die Indígena Jorgelina Portillo wiederum sagt, sie sei enttäuscht, weil ihre Klage von den Sojaproduzent*innen und deren Vertreter*innen als Lüge hingestellt werde. “Ha’ekuera ojapo peteí: crimen gravísimo. Ohasá oré aká ari, ore roga áre, ore mitá ári, mbohapy vece” („Hier wurde ein sehr schweres Verbrechen begangen, sie sind direkt über unsere Köpfe hinweggeflogen, über unsere Häuser, über unsere Kinder. Sie sind alle halbe Stunde geflogen, dreimal, sie haben uns angegriffen“), antwortete Jorgelina in ihrer Sprache auf die Fragen von SEMlac.
Gesundheitsministerin Martínez bekräftigte gegenüber der paraguayischen Tageszeitung ABC Color: „Die Flugzeuge sind sehr tief geflogen, sie haben die Indígenas richtiggehend eingesprüht.“ Und weiter: „Es hat sich bestätigt, dass gesprüht wurde.“ Der Vorsitzende der linken Partei Partido Popular Tekojoja (PPT) und Senatsabgeordnete Sixto Pereira erklärten unterdessen auf einer Pressekonferenz, dass es sich um einen „Angriff und ein Attentat“ seitens der Sojaproduzent*innen gehandelt habe und die Besprühung absichtlich erfolgt sei.
Die Anwältin der Sojaproduzent*innen beharrte jedoch darauf, dass „diese betroffenen Indígenas nicht aus der Gegend stammen; sie werden benutzt und aus verschiedenen Ecken des Landes herangebracht, weil die Regierung vorhat, diese Ländereien am Ende für sich zu behalten. Sie haben niemals dort gelebt, erst vor zwei Jahren haben sie das Grundstück besetzt.“ „Es ist ganz klar, das hier ist eine inszenierte Show, sie wurde seit dem Tage vorbereitet, an dem diese Indígenas vertrieben werden sollten“, führte Nidia Silvero weiter aus.
Von medizinischem Standpunkt aus gesehen, erklärte der Arzt Miguel Velázquez, sei es auf den ersten Blick schwierig zu bestimmen, weshalb so viele Leute nach der Anzeige der Besprühungsaktion krank geworden seien.
Nach seiner Erfahrung hänge der Grad der Vergiftung „von der Dauer der Einwirkung, der Menge der toxischen Substanz und vor allem vom Alter, dem Ernährungszustand und dem bisherigen Gesundheitszustand“ ab, erläuterte der Neurochirurg, der im Bereich Umweltingenieurwissenschaften an der Universidad Católica Toxikologie lehrt, gegenüber SEMlac.
Weiter führte er aus: „Man muss prüfen, ob die Gegend verseucht ist (Brunnen, Felder und Wasserläufe), um sie dort rauszuholen, weil es noch Spätschäden geben kann, z.B. Missbildungen, Tumore, Nieren– und Hautprobleme“, betonte er.
Weshalb geschieht so etwas?
Aus der Sicht von Esther Prieto, Menschenrechtsexpertin und Beraterin des INDI, passieren solche Dinge in erster Linie deshalb, weil die Rechte der indigenen Völker ignoriert werden. „Die Indígenas haben viele Rechte, die anerkannt sind, sowohl auf der Ebene des internationalen Menschenrechts als auch in der nationalen Gesetzgebung, sie haben positive Rechte, also staatlich anerkannte Rechte“, erklärte sie der Nachrichtenagentur SEMlac. „Das Problem ist, dass die Leute die Rechte der Indígenas nicht kennen, und die wenigen, die sie doch kennen, nicht dazu bereit sind, diese zu respektieren. Die Staatsanwälte und Richter ignorieren sie bzw. ziehen vor, sie zu ignorieren.“
Zweitens, so Prieto, spräche man von den Indígenas meist nur so, als seien sie ein Bevölkerungssektor unter vielen. Dabei „sind es Völker mit eigener Autonomie und Kultur, sie haben ihre eigene traditionelle Rechtsprechung, ihr eigenes Rechtssystem.“ Weiter führte sie aus, es sei das erste Mal in der Geschichte, dass sie brasilianische Landbesitzer*innen auf paraguayischem Territorium antreffe, die sagten, die Avá Guaraní seien in ihre Ländereien eingedrungen. „Die Gebiete, auf denen sich diese Indígenas aufhalten, sind ihre angestammten Territorien. Und dabei sind die Gebiete, die ihnen gehören, in Wirklichkeit viel größer als die, die sie jetzt gerade verteidigen.“
Tatsächlich fordert Jorgelina Portillo alle ihre Rechte ein, besonders ihr Recht auf das Land. „Uns stehen 2.600 Hektar Land zu, auf denen wir Landwirtschaft betreiben und unsere Familien ernähren können.“
„Die Lebensmittel und Medikamente, die uns die Delegation mitgebracht hat, sind bald alle, und wir haben immer noch Kranke zu versorgen … Wir wissen wirklich nicht, was wir machen sollen“, sagte sie, während sie mit den Tränen kämpfte.
(siehe auch: https://www.amnesty.de/urgent–action/ua–300–2009–1/indigene–angegriffen http://altermediaparaguay.blogia.com/temas/genocidio–agroexportador.php)
Luftangriff mit Pestiziden: Sojaproduzent*innen besprühen indigene Gemeinden von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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