von Gerhard Dilger
(Berlin, 14. Oktober 2009, taz).- Um den Präsidentenpalast stehen Dutzende Polizisten in Kampfmontur bereit, während ein bunter Demonstrationszug auf dem Unabhängigkeitsplatz eintrifft. Über 2.000 Indígenas sind Ende vergangener Woche aus verschiedenen Teilen Ecuadors in die Hauptstadt gekommen. Viele tragen Holzspeere, Stirnbänder oder Federschmuck. Manche haben Kriegsbemalung aufgelegt. Sprechchöre schallen über den Platz.
Im Präsidentenpalast selbst kommt es zu einem bemerkenswerten Treffen. Zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt Anfang 2007 empfängt Staatschef Rafael Correa 130 Vertreter*innen der Indígenaorganisationen zu einem Gespräch. Der Sinneswandel des Linkskatholiken kam nicht ganz freiwillig: Ende September hatte der Dachverband der indigenen Völker Ecuadors CONAIE (La Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador) zu landesweiten Protesten aufgerufen, Correa qualifizierte die Demonstrationen mehrfach als „fremdgesteuert“ ab. Als es dann bei Protesten in der Amazonasprovinz Morona Santiago zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam und ein Angehöriger des Volkes Shuar unter ungeklärten Umständen starb, verkündete der Präsident beschwichtigend im Fernsehen den direkten Dialog.
Gut 14 Millionen Menschen wohnen in Ecuador, rund ein Drittel davon sind Indígenas. Seit den 1990er-Jahren stellen sie den kämpferischsten Teil der Sozialbewegungen und trugen maßgeblich zum Sturz zweier Präsidenten bei, auch ein Freihandelsabkommen mit den USA verhinderten sie. Doch die CONAIE wurde durch eine siebenmonatige Regierungsbeteiligung 2003 geschwächt, die Indígena-Partei Pachakutik litt an Korruption und Vetternwirtschaft. Bei den Wahlen 2006 erhielt CONAIE-Chef Luis Macas nur noch 2 Prozent.
Wohl auch deswegen meinte der strahlende Wahlsieger Correa, die Indígena-Organisationen links liegen lassen zu können. „Er hat geschickt unseren Diskurs übernommen“, sagt Inés Shiguango, die Vizepräsidentin des Amazonasverbands der indigenen Völker CONFENAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas de la Amazonía). „Aber was er unter Sozialismus des 21. Jahrhunderts versteht, weiß kein Mensch“.
Auch wenn Ecuadors Präsident hin und wieder dieselbe wolkige Formel wie sein venezolanischer Kollege Hugo Chávez verwendet, tut man ihm Unrecht, wenn man ihn zum Gefolgsmann des Venezolaners degradiert. Als studierter Ökonom, der erst 2005 als Wirtschaftsminister sein politisches Debüt gab, setzt er innerhalb des vielstimmigen Chors der lateinamerikanischen Regierungslinken durchaus eigene politische Akzente: so etwa mit seinen Vorschlägen zu einer regionalen Finanzarchitektur oder einem begrenzten Schuldenmoratorium Ende letzten Jahres. Correa stammt aus dem Bürgertum der Küstenmetropole Guayaquil.
Die neue Verfassung des Landes, erst vor einem Jahr verabschiedet, folgt offiziell der indigen inspirierten Vision vom „sumak kawsay“, dem „guten Leben“. Dies impliziert die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Doch ließ der Präsident gezielt Schlupflöcher in den Verfassungstext einbauen, die erlauben, eine Wirtschaftspolitik fortzusetzen, die auf die Förderung von Erdöl und mineralischen Bodenschätzen setzt. Anfang 2009 peitschte er ein Bergbaugesetz durch, das klar im Widerspruch zum Geist der Verfassung steht. Unbeeindruckt von Protesten ließ er sich im April mit 52 Prozent wiederwählen. Und nun das Wassergesetz: Mario Yaucén Remachi aus der Andenprovinz Chimborazo stört vor allem, dass die traditionellen Wasserräte entmachtet werden sollen, die bisher auf lokaler Ebene die Wasserversorgung regeln. Zudem verbrauchten schon jetzt wenige Großgrundbesitzer und Bananenfarmer einen Großteil des Wassers in der Landwirtschaft, sagt er, nötig sei also eine „Entprivatisierung“.
In Ecuador gibt es an die 10.000 lokale Trinkwasser- und Bewässerungssysteme, die von der Bevölkerung selbst mit Hacke und Schaufel angelegt wurden. Nach dem Regierungsentwurf ist künftig eine zentralstaatliche Kontrollinstanz vorgesehen. Außerdem werden die Wasserreserven durch große Minenprojekte bedroht, durch die das Grundwasser verseucht und große Wassermengen geschluckt werden.
Nicht Privatisierung, sondern eine effektive staatliche Kontrolle sei die Zielrichtung des Gesetzes, erklärt unterdessen Präsident Rafael Correa vor der Runde der skeptischen Indígenas. Beim Bau von Wasserkraftwerken gehe die Regierung ohne Rücksicht auf Anwohner*innen und Umwelt vor, hält Alfonso Morquecho aus der südlichen Provinz Cañar dagegen. Er ist zusammen mit 120 Gleichgesinnten angereist, um den Unterhändler*innen den Rücken zu stärken.
Wie die meisten Demonstrant*innen wirft Morquecho dem Präsidenten, der die Indígenas wiederholt als „infantil“ oder „verrückt“ bezeichnet hatte, fehlenden Respekt vor. Auch während der hitzigen Sitzung im Palast wird Correa mit Zitaten aus seinen samstäglichen Rundfunksendungen konfrontiert, etwa mit dem Satz, dass die Indígenas nur 2 Prozent der Bevölkerung seien. „Wer ist der Dummkopf, der das gesagt hat?“, fragt er aufgebracht. „Sie selbst, Herr Präsident“, kommt die Antwort zurück. Gelächter.
Vier Stunden nach Gesprächsbeginn entspannt sich die Stimmung auf dem Platz. Drinnen hat man sich auf eine Fortsetzung des Dialogs in diversen Arbeitsgruppen geeinigt, etwa über die zweisprachige Erziehung. Auch über die umstrittenen Bergbau- und Wassergesetze soll verhandelt werden – ein echtes Novum.
Übereinstimmend sehen Beobachter*innen die Indígena-Bewegung gestärkt. Das Entgegenkommen der Regierung bedeute einen gewissen Linksschwenk, findet der Soziologe Franklin Ramírez. Der rot-grüne Ökonom und Exminister Alberto Acosta freut sich darüber, dass sich Correa zum ersten Mal zu einem Gespräch gezwungen sah, bei dem er nicht die Bedingungen diktierte: „Es ist eine Riesenchance für die Regierung. Doch ob Correa und sein Führungszirkel tatsächlich einen konzilianteren Kurs einschlagen, ist noch völlig offen.“
Indígenas trumpfen auf von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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