von Gerhard Dilger
(Berlin, 26. September 2011, taz).- Der Mythos des Evo Morales als Südamerikas führendem Umweltapostel ist endgültig dahin. Mit der brutalen Auflösung eines seit Wochen andauernden Protestmarsches bolivianischer Tieflandindigener durch die Polizei hat der linke Staatschef die Spaltung seiner Basis besiegelt. Zugleich versetzt er ökosozialistischen Visionen auf dem Subkontinent einen schweren Rückschlag – bezeichnenderweise mit einem Straßenprojekt.
Morales und sein Vize Álvaro García Linera argumentieren, die 306 Kilometer lange Fernstraße durch eine Naturschutzgebiet sei wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung Boliviens. Die zu 80 Prozent von Brasilien finanzierte Straße gehört aber auch zu einer geplanten Verbindung vom südlichen Rand des Amazonasbeckens bis zum Pazifik, auf der einmal brasilianische Exportgüter transportiert werden sollen. Damit dient sie, wie so viele Infrastrukturprojekte, vor allem Konzerninteressen.
Straße dient Konzerninteressen
Konzipiert wurde diese “physische Integration” Südamerikas unter der Führung Brasiliens bereits um die Jahrtausendwende, also noch vor dem reihenweisen Abtreten der neoliberalen Regierungen. Doch trotz heftiger Kritik von links haben sämtliche progressive Präsidenten von Lula da Silva bis Chávez an dieser Logik festgehalten. Vom Primat des Wachstums um jeden Preis, durch das sich auch die Lage der Armen spürbar verbessern soll, rückt niemand ab – weder Sozialdemokrat*innen noch Staatskapitalist*innen.
Besonders offen wurden und werden die Konflikte zwischen der Betonlinken des 20. Jahrhunderts und den Befürworter*innen des “Guten Lebens” in Bolivien ausgetragen, denn dort sind die sozialen Bewegungen sehr stark: Auf dem alternativen Klimagipfel 2010 in Cochabamba konnten sie wichtige Akzente setzten. Doch dessen Abschlusserklärung nimmt die Regierung Morales ebensowenig ernst wie die neue Verfassung, in der eine Befragung der Bevölkerung vor der Planung von Megaprojekten zwingend vorgeschrieben ist.
Volksabstimmung als Ablenkungsmanöver
Die Volksabstimmung in zwei Provinzen, die Morales am Sonntag ankündigte, wurde durch den Polizeieinsatz Stunden später als propagandistisches Ablenkungsmanöver entlarvt. Ähnlich verhält es sich mit dem Vorwurf, den Morales und García Linera gebetsmühlenhaft vorbringen:Demnach sei der Protestmarsch von der US-Botschaft und von der rechten Oligarchie des Tieflandes gesteuert. Dabei wäre eine alternative Streckenführung durchaus möglich.
In Bolivien geht es aber längst nicht mehr nur um die Fernstraße, sondern auch um das Recht, friedlich gegen sie zu demonstrieren. Evo Morales hat sich gegen die Demokratie und für die Konfrontation entschieden. Paradox, aber wahr: Damit entzieht er zugleich seinem eigenen Machtprojekt den Rückhalt.
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