Die Entkriminalisierung von Drogen – Debatte mit gefesselten Händen

von Edgardo Ayala

(Lima, 31. März 2012, noticias aliadas).- Der kürzlich von dem guatemaltekischen Präsidenten Otto Pérez Molina eingebrachte Vorschlag zur Entkriminalisierung bestimmter Drogen hat für Aufruhr in Zentralamerika gesorgt. Damit möchte er die hohe Kriminalitätsrate in der Region eindämmen. Trotz des großen Medienechos ist es jedoch wenig wahrscheinlich, dass der Konsum und Handel mit bestimmten Rauschmitteln in der Region straffrei behandelt wird.

In einem Radiointerview vom 11. Februar sagte der Regierungschef, dass er beabsichtige, das Thema der Entkriminalisierung wieder in die Debatte zu bringen. „Das bedeutet nicht, dass eine Entscheidung getroffen wird. Dass es schon kein Verbrechen mehr wäre, Drogen zu transportieren oder zu schmuggeln. Das muss alles reguliert werden. Mit all der Technologie, den Ressourcen und den Millionen von US-Dollar, die von den USA der investiert wurden, ist das Problem nicht geringer geworden. Man sprach vom Erfolg des Plan Colombia, aber das einzige was die großen Kartelle geleistet haben, war, diesen wirkungslos zu machen.“

Irreführende Gleichsetzung

Auch wenn in dieser Debatte die Begriffe Entkriminalisierung und Legalisierung wie Synonyme verwendet werden, machen manche einen Unterschied zwischen den beiden Termini: Legalisieren bedeutet die Produktion, den Verkauf und Drogenkonsum frei zu geben, während entkriminalisieren sich darauf bezieht, dass der individuelle Drogenkonsum nicht bestraft wird. Letzteres bedeutet also nicht, dass auch Produktion und Verkauf im großen Stil gesetzlich erlaubt wären.

Nach dieser Ankündigung von Pérez Molina entsandte die US-Regierung am 27. Februar ihre Ministerin für Innere Sicherheit, Janet Napolitano, zu einem Blitzbesuch in die guatemaltekische Hauptstadt, um im Stillen Druck auszuüben. Die Ministerin erklärte: „Die USA halten die Entkriminalisierung nicht für eine geeignete Form, um dem Drogenproblem zu begegnen.“

Mal drüber reden

Eine Woche später war der Vizepräsident der USA, Joseph Biden, unterwegs nach Honduras, um sich kurz mit den zentralamerikanischen Präsident*innen zu treffen. Er ließ von Seiten der US-Regierung ausrichten, dass der Präsident mit der Initiative nicht einverstanden sei, man jedoch die Mitverantwortlichkeit der USA einsehe. Biden zeigte sich bereit, das Thema weiter zu debattieren. In einer Pressekonferenz teilte er mit: „Es lohnt sich darüber zu diskutieren, es besteht jedoch keinerlei Möglichkeit, dass die Regierung von Präsident Barack Obama ihre Drogenpolitik zugunsten einer Legalisierung ändert.“

Der US-Vizepräsident wies zudem darauf hin, dass sein Land sehr engagiert im Kampf gegen den Drogenhandel in der Region vorgehe. Nach seinen Angaben belaufen sich die finanziellen Leistungen seit 2008 auf 381 Millionen US-Dollar, außerdem werde im US-amerikanischen Kongress die Genehmigung einer zusätzlichen Hilfe von 107 Millionen US-Dollar beantragt.

Am Ende des Treffens mit Biden äußerten sich die zentralamerikanischen Präsident*innen in einer gemeinsamen Stellungnahme, in der sie dem US-Regierungsvertreter die enormen sozialen Kosten darlegten, die der illegale Drogenhandel in der Region verursache. Weiter heißt es in der Verlautbarung, dass die USA als weltweit wichtigster Drogenabsatzmarkt Mitverantwortung für das Phänomen tragen.

Alternativensuche ohne die USA

Am 24. März trafen sich die Regierungschefs in Guatemala, um das Thema (trotz der Abwesenheit von El Salvador, Honduras und Nicaragua) weiter zu beraten. Der salvadorianische Analytiker Roberto Cañas meinte hingegen gegenüber der Nachrichtenagentur Noticias Aliadas, „diese Debatte wird zu nichts führen, da die USA sie bereits vorab abgebrochen hat.“

Auf diesem Treffen, bei dem keine Entscheidungen getroffen sondern Vorschläge gesammelt wurden, brachte die Präsidentin von Costa Rica, Laura Chinchilla, die Idee ein, das Thema der Gewalt durch den Drogenhandel vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bringen, um internationale Unterstützung zu erbitten.

Pérez Molina schlug seinerseits vor, dass die zentralamerikanischen Länder für jedes Kilogramm an Drogen, die in Zentralamerika beschlagnahmt oder zerstörten werden, eine finanzielle Aufwandsentschädigung von Seiten der konsumierenden Länder empfangen sollten. Von diesen Mitteln sollten 50 Prozent für den Kampf gegen den Drogenhandel eingesetzt werden, 25 Prozent in das Gesundheitssystem fließen und die restlichen 25 Prozent in die Bildung investiert werden.

Jugendbanden und Drogenhandel

Die Länder im so genannten „nördlichen Dreieck Zentralamerikas“ – Guatemala, Honduras und El Salvador – gehören nach unterschiedlichen internationalen Quellen zu den gewalttätigsten auf der ganzen Welt. Sie sind überfordert mit der Gewalt, die von Jugendbanden, den so genannten „Maras“ und dem organisierten Verbrechen ausgeübt wird.

El Salvador beendete das Jahr 2011 mit 4.373 Morden. Das bedeutet eine Rate von 70 Ermordeten auf 100.000 Einwohner*innen. Nach Angaben der nationalen Zivilpolizei leben in diesem Land 29.000 Personen, die den Jugendbanden zuzurechnen sind. In einer Pressemitteilung vom 23. März 2012 beziffern die zwei wichtigsten Jugendbanden des Landes, Mara Salvatrucha und Barrio 18, die Anzahl ihrer Mitglieder auf 100.000. Die Regierung bestätigt, dass viele der Tötungsdelikte aus den Auseinandersetzungen um den Drogenkleinhandel resultieren, in den Mitglieder der Jugendbanden involviert sind.

Verhandlungen mit Banden werden zum Skandal

Das digitale Infomagazin „El Faro“ veröffentlichte am 14. März, dass sich die Regierung mit den Anführern der beiden Jugendbanden in Verhandlungen befinde, um deren Überführung von einem Hochsicherheitsgefängnis, wo sie derzeit inhaftiert sind, in ein Gefängnis mit weniger Beschränkungen zu besprechen. Im Gegenzug sollten die einsitzenden Anführer damit aufhören, aus dem Gefängnis heraus Morde in Auftrag zu geben. Die Durchschnittsrate von 14 Mordfällen an einem Tag sank in Folge auf fünf bis sechs, gleichzeitig hielten es viele Bürger*innen für skandalös, dass die Regierung mit den Jugendbanden verhandele, deren Anführer angeben, sich wieder in die Gesellschaft eingliedern zu wollen.

Zentralamerika dient als Brücke im Kokainhandel, der sich von Südamerika in Richtung USA erstreckt. Die Region verspürt laut Polizeiberichten bereits den Einfluss des mexikanischen Kartells „Los Zetas“. Man schätzt, dass in Mexiko, das Biden vor dem Treffen mit den zentralamerikanischen Präsidenten besuchte, der Krieg zwischen den Drogenhändler*innen in fünf Jahren bereits mehr als 50.000 Menschen das Leben gekostet hat.

“Es ist zu bedauern, dass die Region so stark an die USA gefesselt ist, die ihr keinen Spielraum lässt, um andere Alternativen für das Problem der Gewalt zu suchen“, erklärt dazu der salvadorianische Analytiker Cañas.

Angst vor „holländischen Verhältnissen“

Der Vorschlag von Pérez Molina hat die konservativen Kräfte in den politischen und sozialen Sektoren der Region aufgeschreckt, ebenso wie die Hilfsverbände für Drogenabhängige.

„Zentralamerika würde sich in einen regionalen Schauplatz des Drogenkonsums verwandeln, so wie es 1976 in Holland bei der Legalisierung von Marihuana geschehen ist“, äußerte sich Jaime Zablah, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Fundación Antidrogas in El Salvador (Fundasalva), gegenüber der Nachrichtenagentur Noticias Aliadas.

Nach Einschätzung von Zablah würde eine Legalisierung von Substanzen wie Marihuana und Kokain negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Jungendlichen und auf das Budget der Krankenhäuser nach sich ziehen. Es würde zu Engpässen bei den Mitteln kommen, da das Autofahren von Jugendlichen im Drogenrausch mehr Verkehrsunfälle und damit ein Ansteigen medizinischer Notfälle verursache. Ein Drittel der Patient*innen in El Salvador begann mit dem Drogenkonsum bereits vor dem 15. Lebensjahr. Die mit 76 Prozent beliebteste Droge ist nach Angaben der Stiftung Fundasalva Marihuana.

Für eine Legalisierung

Die Befürworter*innen einer Legalisierung behaupten hingegen, dass repressive Maßnahmen zur Eindämmung des Drogenkonsums in keinem Land der Welt je funktioniert hätten. In allen Kulturen der Welt werden bereits seit Jahrtausenden Drogen verwendet und auch weiterhin genommen. Alternative Herangehensweisen wären daher nötig, um dem Problem zu begegnen.

“Man sollte einen vernünftigen Mechanismus finden, schrittweise, jenseits des Spektrums von Tabus und Moralisierungen“, so Cañas. Er hält es für wichtig die Erfahrungen von europäischen Ländern zu analysieren, die einen Schritt in Richtung der Suche nach alternativen Lösungswegen gegangen sind und dabei positive Resultate zu verzeichnen haben. “Man müsste beispielsweise mit wissenschaftlicher Genauigkeit untersuchen, ob durch die Legalisierung von Drogen deren Konsum als unmittelbare Konsequenz angestiegen ist” folgert Cañas.

Europäische Erfahrungen

Marihuana bzw. Cannabis gehört weiterhin zu den beliebtesten Drogen bei den EuropäerInnen; obwohl viele Gesetzgebungen in den Ländern eher lax und freizügig ausgerichtet sind, kommt es offensichtlich zu keinem maßlosen Anstieg des Konsums dieser Substanzen. Im Gegenteil, die Tendenz scheint vielmehr zu sinken.

“Kürzlich veröffentlichte Daten für Europa bestätigen die allgemeine Tendenz einer Stabilisierung bzw. Verminderung des Cannabis-Konsums unter den jungen Erwachsenen zwischen 15 und 34 Jahren“ heißt es in dem Jahresbericht 2011 der „Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA).

Die Europäische Union wendet bereits seit 2003 das Konzept der „Schadensbegrenzung” an, das darauf abzielt, negative Auswirkungen, die der Konsum psychoaktiver Drogen mit sich bringt zu vermindern, ohne dabei notwendigerweise den Konsum zu kriminalisieren. Teil dieses Modells ist die Ausgabe von Spritzen an Heroinabhängige, um die Ansteckung mit dem Aids-Virus zu vermeiden. Fast ganz Europa, Kanada, Australien und einige asiatische Länder folgten diesem Vorstoß.

Außerdem wurden Zentren eingerichtet, in denen Drogenabhängige unter Aufsicht und hygienischen Bedingungen ihre persönliche Dosis in erhalten und sie an Ort und Stelle nehmen müssen. Dadurch wird das Einnehmen einer Überdosis oder modifizierter Substanzen, die sich tödlich auswirken können, verhindert.

Signale aus El Salvador

“Es ist notwendig, das Thema eingehend zu untersuchen, denn in einigen Ländern hat der Drogenhandel in dem Moment abgenommen, in dem er nicht mehr ein lukratives Geschäft darstellt“, erklärt María Isabel Rodríguez, Gesundheitsministerin von El Salvador, gegenüber Noticias Aliadas.

Eine hypothetische Entkriminalisierung des Drogenhandels und -konsums müsste von den Parlamenten in jenen zentralamerikanischen Ländern, die diesen Weg verfolgen würden, bewilligt werden. Zumindest in El Salvador zeichnet sich hierbei Raum für eine Debatte ab.

“Die Kriminalisierung darf nicht der letzte Schluss sein, denn es ist klar, dass diese Strategie gescheitert ist, aber genauso wenig dürfen wir den Drogenkonsum unter den Jugendlichen fördern, wir verschließen uns nicht der Debatte, alternative Lösungswege zu suchen“ unterstrich Benito Lara, Abgeordneter der Regierungspartei FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) gegenüber der Nachrichtenagentur Noticias Aliadas.

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