Wegen der Verstrickungen ihres Privatsekretärs in den Skandal und auf Grund des öffentlichen Drucks musste Guatemalas Vizepräsidentin Roxana Baldetti bereits vor zwei Wochen ihren Hut nehmen. Mitte letzter Woche sah sich Präsident Pérez Molina gezwungen, weitere personelle Konsequenzen zu ziehen, indem er seine Innen-, Umwelt- und Energieminister entließ. Vor allem mit Innenminister Mauricio López Bonilla verliert Pérez Molina einen seiner wichtigsten Vertrauten. Der Präsident selbst hat allerdings mehrfach betont, trotz aller Skandale und Demonstrationen bis zum Ende seiner Präsidentschaft im Januar 2016 im Amt zu bleiben.
Beispiellose Verhaftungs- und Demonstrationswelle
Doch die Ermittlungs- und Verhaftungsswelle reißt nicht ab. Am 20. Mai wurde gegen den Chef der guatemaltekischen Sozialkasse IGSS, Juan de Dios Rodríguez, und weitere 15 Mitarbeiter*innen Haftbefehl erlassen. Sie sollen, gegen hohe Provisionen, Medikamente eines Pharmaunternehmens überteuert eingekauft haben. Dem Staat soll dadurch ein Schaden in Millionenhöhe entstanden sein. Unter den Festgenommenen ist auch der Chef der Zentralbank Banguat, Roberto Suárez Guerra, gleichzeitig Vizepräsident der IGSS. Diese Verhaftungen stellen für Otto Pérez Molina einen weiteren Schlag dar: Sowohl Suárez Guerra wie Rodríguez waren in den letzten zwei Jahren vom Präsidenten selbst als Chefs der beiden Institutionen ernannt worden.
Auch gegen die Vorsitzende der Strafkammer des Obersten Gerichtshofes Carol Patricia Flores wird seit Anfang des Monats ermittelt. Die Richterin besitze ein Anwesen, das ihre finanziellen Möglichkeiten als Staatsbedienstete bei weitem übersteige, so die CICIG, damit bestehe der Verdacht auf Bestechlichkeit und Geldwäsche. Flores war die Richterin, die vor zwei Jahren den Prozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt wegen Völkermordes stoppte, nur Tage nach dessen Verurteilung zu 80 Jahren Haft wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der mächtige und reaktionäre Unternehmerverband CACIF hatte nach dem Urteil das Verfassungsgericht erfolgreich dazu bewegt, das Urteil zu annullieren. Schon damals wurden der Justiz vorgeworfen, erheblichem Druck nachgegeben zu haben.
Präsident Pérez Molina denkt nicht an Rücktritt
Nun zeigen die Ermittlungsergebnisse im Falle des Zollbetrugsskandals, dass Entscheidungen der Justiz auch mit geldwerten Zuwendungen beeinflussbar sind. CICIG und Staatsanwaltschaft werfen der Richterin Marta Sierra de Stalling Rechtsbeugung und Bestechlichkeit vor. Sie soll, auf Intervention der Anwält*innen hochrangiger Verdächtiger, die Untersuchungshaft in Haftersatzmaßnahmen umgewandelt haben. Vor kurzem veröffentlichte Aufzeichnungen von Telefonaten zwischen Verdächtigen und Anwält*innen scheinen zu belegen, dass bei dieser Intervention Geld geflossen sein könnte.
Scherbenhaufen statt harte Hand
Pérez Molina, angetreten als Saubermann, der mit einer Politik der harten Hand Korruption und Gewalt einzudämmen versprochen hatte, steht nun vor einem Scherbenhaufen. Doch in Sachen Skandale ist die regierende Patriotische Partei keine unrühmliche Ausnahme. Seit dem Friedensabkommen von 1996 ist keiner Partei die Wiederwahl gelungen. Die drei Wahlvereine, die im letzten Jahrzehnt an der Macht waren, wurden allesamt als „korrupteste Regierung der jüngeren Geschichte“ aus dem Amt gewählt. Der Gruppierung von Noch-Präsident Otto Perez Molina dürfte es nicht anders ergehen, zumal seit auf Grund der aktuellen Skandale der einst aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat der Patrioten aus der Partei ausgetreten ist.
Dass die im September anstehenden Kongress- und Präsidentschaftswahlen einen Politik- oder gar Systemwechsel herbeiführen könnten, ist indes nicht zu erwarten. In den Meinungsumfragen führt derzeit mit Präsidentschaftskandidat Manuel Baldizón und der Gruppierung „Lider“ eine weitere populistische Politikformel, die befürchten lässt, dass es ab nächsten Jahr nur andere Köpfe sein werden, die in den Genuss der Pfründe der Macht kommen werden. Um das zu verhindern, müssten Demonstrationen und CICIG wohl für einen deutlich größeren Kehraus sorgen.
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