von Eva Völpel
(Berlin, 08. Januar 2009, npl).- Bolivien bereitet sich auf sein Verfassungsreferendum vor. Am 25. Januar sind die Bolivianer*innen dazu aufgerufen, über die Annahme oder Ablehnung des unter der Regierung von Evo Morales erarbeiteten Verfassungstextes abzustimmen. Während Umfragen voraussehen, dass 65 Prozent der Wähler*innen der neuen Verfassung ihre Stimme geben werden, gibt es sowohl aus dem rechten als auch dem linken Lager Kritik am Verfassungstext.
Die Rechte des Landes mobilisiert seit Wochen dafür, dass ihre Anhänger*innen, die sich v.a. in den Tieflandprovinzen des so genannten media luna konzentrieren, mit „No“ stimmen. Dafür greift sie mittlerweile auch auf religiös aufgeladene Diskurse und Symbole zurück. Anschaulich beobachten konnte man das in den Städten Sucre und Santa Cruz, in denen die Opposition größere Versammlungen abhielt.
Während in Sucre nicht nur die vier Oppositionspräfekten, sondern auch der katholische Erzbischof Jesús Pérez für eine Ablehnung der neuen Verfassung warben, zeigten in Santa Cruz vor allem Evangelikale Präsenz. Es wird berichtet, ein Pastor habe in Anspielung auf exorzistische Praktiken Boliviens Präsident Evo Morales als Reinkarnation des Teufels und die neue Verfassung als Einfallstor für das Böse dargestellt. Verbreitet bis hin zu Fernsehspots hat sich zudem die Parole „Wähle Gott – stimm mit Nein“. Im Fernsehen wird dieser Aufruf mit einer Bildkomposition untermalt, in der Evo Morales in indigener Tracht einem Jesus Christus gegenüber gestellt wird. Im Hintergrund geht derweil ein Verfassungstext in Flammen auf. Mit derlei Form von Propaganda setzt die Opposition augenscheinlich darauf, die traditionell religiöse Bevölkerung Boliviens zu beeinflussen. MAS-Senator Ricardo Díaz wies zudem darauf hin, dass im Departement Chuquisaca gefälschte Verfassungstexte im Umlauf seien. In diesen würde behauptet, das Recht auf die Ausübung des katholischen Glaubens sowie das Privateigentum sollten angetastet werden.
Auch im linken Lager regt sich Kritik an der neuen Verfassung. Für einige Gruppen und Bewegungen, so für Teile der Landlosenbewegung bzw. für die Gruppe Revolutionäre Marxisten AMR (Agrupación Marxista Revolucionaria), die sogar zu einem Boykott des Verfassungsreferendums aufruft, hat die MAS-Regierung die Stoßrichtung etlicher Artikel zu sehr abgeschwächt. So sei in Artikel 7 ursprünglich die Rede davon gewesen, dass das bolivianische Volk seine Souveränität in „direkter Form“ ausübe. Nun heiße es an entsprechender Stelle, die Souveränität werde in „direkter und zu delegierender Form“ ausgeübt. In Artikel 45 habe es ursprünglich geheißen, dass für „alle Bolivianer und Bolivianerinnen das Recht auf kostenlose Gesundheitsversorgung“ bestehe, nun jedoch existiere kein Vermerk mehr auf den kostenlosen Zugang. Zudem sind einige Gruppen der Meinung, die neue Verfassung gebe den Interessen von Großgrundbesitzer*innen und transnationalen Konzernen zu viel Raum. Sollte ursprünglich festgelegt werden, dass der Staat via öffentliche, soziale oder kommunale Einrichtungen die strategischen natürlichen Ressourcen kontrolliert, ist im endgültigen Verfassungstext die Rede davon, dass öffentliche und kommunale Einrichtungen bzw. Kooperativen zur Nutzung der natürlichen Ressourcen auch private Unternehmen beauftragen können.
Im Vorfeld des Verfassungsreferendums hat derweil die Regierung von Evo Morales begonnen, neue Autonomie-Gesetze auszuarbeiten. Diese müssen, nach einer Annahme des neuen Verfassungstextes, dessen Bestimmungen in konkretes Regelwerk übersetzen. Sowohl indigene Gemeinden als auch die rechten Oppositionsregierungen der Departements pochen auf mehr Autonomie. Artikel 271 der neuen Verfassung sieht in diesem Zusammenhang vor, dass Gemeinden und Regionen ihre Autoritäten künftig direkt wählen können sollen. Auch bei der Verwaltung von Ressourcen und in administrativen Angelegenheiten sollen sie mehr Entscheidungsgewalt erhalten. Doch während Evo Morales am 7. Januar mit indigenen Gemeinden zusammen traf, um sich über zukünftige gesetzliche Autonomieregelungen zu verständigen, nahmen die Oppositionspräfekten Rubén Costas (Santa Cruz), Ernesto Suárez (Beni), Mario Cossío (Tarija) und Savina Cuellar (Chuquisaca) an einem Treffen, zu dem die Regierung für den 6. Januar die Präfekten aller Departements eingeladen hatte, nicht teil.
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