Wem gehört die Welt? Eine Bilanz des G20-Gipfels in Buenos Aires

(Berlin/Buenos Aires, 14. Dezember 2018, npl).- Vom 30. November bis 1. Dezember 2018 fand in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires der 13. G20-Gipfel statt. Ein Jahr nach den Protesten, der Gewalt und der Polizeirepression in Hamburg, trafen sich die Staats- und Regierungschefs der 19 führenden Industrie- und Schwellenländer sowie Vertreter*innen der EU, IWF und Weltbank wieder inmitten einer städtischen Metropole. Und zum ersten Mal überhaupt in Südamerika. Buenos Aires war in diesen Tagen hermetisch von Sicherheitskräften abgeriegelt. Zum alternativen „Cumbre de los Pueblos“, dem „Gipfel der Völker“, kamen trotzdem tausende Besucher*innen.

G20: Die großen Versprechungen

Bereits bei seiner Eröffnungsrede sparte der argentinische Präsident Mauricio Macri nicht mit großen Worten: „Wir haben die Verpflichtung der Welt zu zeigen, dass die aktuellen globalen Herausforderungen auch globaler Lösungen bedürfen.“ Wie viele Beobachter*innen erwartetet hatten, waren die Ergebnisse auf internationaler Ebene dann doch eher bescheiden. Zwar gab es eine gemeinsame Abschlusserklärung. Doch neben einem allgemeinen Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen unter Zurückhaltung der USA und der Verständigung darüber, die Welthandelsorganisation (WTO) reformieren zu wollen, wurden kaum konkrete Vereinbarungen getroffen.

Erfolge für die argentinische Regierung

Für die argentinische Regierung könnte sich das internationale Treffen dennoch gelohnt haben, gelang es ihr doch, ihren rechtsliberalen Kurs abzusichern und sich als Gastgeber als „Teil der Welt“ zu präsentieren. Nach der Ära der Kirchner-Regierungen (2003-2015), die eher auf eine lateinamerikanische Integration setzten als auf die internationale Verflechtung des Landes, sieht Präsident Mauricio Macri das Land wieder als unverbrüchlichen Partner der großen Wirtschaftsmächte. „Wir haben vor, während und nach dem Gipfeltreffen insgesamt 17 bilaterale Gespräche mit anderen Staats- und Regierungschefs geführt. Und jedes von ihnen hat ein gemeinsames Projekt vorangebracht,“ erklärte er im Anschluss an den G20-Gipfel.

Neben Zusammenkünften mit der EU, um das geplante Freihandelsabkommen mit dem Mercosur voranzubringen, wurde mit den USA eine umfassende Unterstützung für den Ausbau der Infrastruktur des Mega-Projekts „Vaca Muerta“ vereinbart. In das weltweit größte Schiefergas-Fördergebiet im südlichen Patagonien hat vor allem der US-Multi Chevron in den vergangenen Jahren Milliardensummen gesteckt. Russland sagte Investitionen in den Bau von Güterbahnverbindungen zu, um in Argentinien abgebaute Ressourcen schnellstmöglich zu den Häfen an die Küste zu transportieren. Detail am Rande: Sollten die Transporte mit Wirtschaftsgütern auf den Schienen oder auf der Straße von Menschen gestört werden – etwa durch eine Blockade – ist zukünftig, so haben es die G20-Staaten beschlossen, das betreffende Land den jeweiligen Unternehmen zum Schadensersatz verpflichtet.

Kritik an Macris Politik

Doch der rechtsliberale Regierungskurs hat in Argentinien viele Kritiker*innen, vor allem in der Zivilgesellschaft. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten drei Jahre hatte massenhafte Entlassungen und eine Inflation im mittleren zweistelligen Bereich zur Folge. Soziale Unterstützung und Subventionen für die Bevölkerung wurden zeitgleich gekürzt. Um den Crash zu verhindern, fragte die Regierung im Frühjahr dieses Jahres Milliardenkredite beim Internationalen Währungsfonds (IWF) an und erhöhte im September die Schuldenlast noch einmal. Der G20-Gipfel hat das Land dagegen umgerechnet 70 Millionen Euro gekostet.

Es gab also genug Anlässe, die die Aktivist*innen aus Argentinien, Lateinamerika und auch anderen Regionen der Welt zum alternativen „Gipfel der Völker“, dem „Cumbre de los Pueblos“ im Vorfeld des G20-Treffens zusammenbrachten. „Hier findet ein mehrfacher Protest statt: gegen die Gipfeltreffen der Mächtigen, die kapitalistische Globalisierung und die zunehmende Militarisierung der Welt“, erklärt der argentinische Menschenrechtler und Wirtschaftswissenschaftler Claudio Katz. Auch über die Sparpolitik und die IWF-Kredite in Argentinien werde debattiert, die zu einer zunehmenden Verarmung der Bevölkerung führten.

Rechtsruck in der Region – qué se vayan todos!

Die Teilnehmenden trafen sich auch unter dem Eindruck des sich vertiefenden Rechtsrucks in der Region. Mit dem neu gewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der für seine faschistischen und frauenfeindlichen Aussagen bekannt ist, werden die Herausforderungen noch größer. Deshalb müssten die progressiven sozialen Bewegungen Lateinamerikas die Einheit in ihrer Vielfalt stärken, erklärt die linke Ökonomin Beverly Keene. Die Diskussionen beim Cumbre hätten deutlich gemacht, dass die lateinamerikanische Integration verteidigt werden müsse. „Das ist die Welt, in der wir leben wollen. Es ist unser Recht und eine Notwendigkeit.“

Zehntausende verschafften sich bei der Abschlussdemo vom „Cumbre de los Pueblos“ am 30. November dann auch Gehör gegen Rechtsruck, Austeritätspolitik und die globalisierte Wirtschaftsordnung. Trotz eines massiven Polizeiaufgebots, einem kurzerhand erklärten Feiertag und einem paralysierten öffentlichen Nahverkehr, zogen die Menschen durch die Straßen von Buenos Aires. Auf der breitesten Straße der Welt, der 9 de Julio, tanzten, musizierten und schrien sie ihre Forderungen den Mächtigen dieser Welt entgegen. Mit einem Slogan, der in der argentinischen Protestbewegung im Dezember 2001 Geschichte geschrieben hat: Qué se vayan todos – alle sollen verschwinden!

 

Zu diesem Text gibt es auch einen Audiobeitrag, den ihr hier hören könnt.

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