Schattenboxen – Das politische Tauziehen hinter dem Mediengesetz

von Jenny Manrique

(Lima, 30. Dezember 2012, noticias aliadas-poonal).- Seit fast einem Jahr ist die argentinische Bevölkerung Zeuge einer juristischen und medialen Schlacht, die sich in den Gerichtssälen, in den Straßen und – natürlich – in den Medien ihren Ausdruck verschafft. Es geht um das Gesetz für Audiovisuelle Kommunikationsdienstleistungen, das 2009 erlassen wurde und bei dem Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihr ganzes politisches Kapital in die Waagschale wirft.

Neues Mediengesetz horizontal erarbeitet

An dem so genannten Ley de Medios (Mediengesetz), mit dem die vorherige, noch aus der Diktaturzeit stammende Regelung außer Kraft gesetzt wurde, so haben dessen Befürworter*innen hervorgehoben, sei auch neu, dass es auf demokratische Weise erarbeitet wurde: Für die Redaktion der 166 Gesetzesartikel wurden 23 Foren und 88 Konferenzen mit Vertreter*innen der Zivilgesellschaft abgehalten.

“Das ist eine neue Herangehensweise, denn der Gesetzesvorschlag wurde horizontal diskutiert. Wir arbeiten mit dem Konsensprinzip und haben erreicht, dass 21 Aspekte, die wir im Kern unserer Organisation diskutiert haben, in das Gesetz aufgenommen wurden“, versichert Néstor Piccone, Mitglied der Koalition für eine demokratische Kommunikation (Coalición por una Comunicación Democrática), gegenüber Noticias Aliadas.

Dieser Zusammenschluss besteht aus 300 Gruppen, von Gewerkschaften bis zu Organisationen der Zivilgesellschaft, Community Radios, kleinen und mittleren Unternehmen, indigenen Völkern, Dienstleistungs-Kooperativen, Universitäten, Gender-Gruppen und Behinderten, die über das ganze Land verteilt sind.

Monopolist Clarín wehrt sich mit Klagen

Die Gegner*innen des Gesetzes befinden sich hauptsächlich unter jenen Mediengruppen, die von den Maßnahmen zur Entmonopolisierung betroffen sind. Diese sehen vor, dass niemand zu viele Lizenzen vereint, was faktisch bedeutet: Ein/e Lizenznehmer/In kann maximal eine Lizenz für ein Satellitensignal erhalten, bis zu 10 Tonkanäle im offenen Empfang oder über Kabel und für 24 maximal Lizenzen des Rundfunks das Bezugsrecht erhalten.

Die Clarín-Gruppe, der größte Medienkonzern des Landes, besitzt momentan insgesamt 237 Lizenzen. Deshalb wäre der Konzern einer der ersten, der Lizenzen abgeben müsste. Aus diesem Grund klagte der Konzern am 1. Oktober 2009 vor der zivilen und der Handelskammer auf Verfassungsbruch bei zwei Artikeln des Gesetzes: Artikel 45, der jede Art von Verboten und Begrenzungen betreffend medienübergreifenden Eigentums regelt und Artikel 161, der einen Zeitraum von einem Jahr festschreibt, um sich an die neue Regelung anzupassen.

Die Justiz ordnete am 26. Oktober 2009 eine einstweilige Verfügung zugunsten der Clarín-Gruppe an, einst ein Verbündeter des Ehepaars Kirchner, während der Amtszeit von Ex-Präsident Néstor Kirchner (2003-2007), damit diese ihre Lizenzen zumindest solange behalten kann, bis der Richter der ersten Instanz, Horacio Alfonso, ein Urteil gefällt hat. Nach einer Unmenge fast täglicher juristischer Entscheidungen bestätigte Richter Alfono am 15. Dezember die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes und der Medienkonzern brachte nun seine juristische Artillerie in Stellung, um Berufung einzulegen.

Handhabung bei anderen Konzerne weniger streng

„Während man vorgibt, das Gesetz radikal auf die Clarín-Gruppe anzuwenden, verfährt die Regierung von Cristina [Fernández de] Kirchner äußerst lax mit dem Rest der Mediengruppen, denen sie erlaubt, gegen bestimmte Aspekte des Gesetzes zu verstoßen oder eine lediglich symbolische Erfüllung der Norm zugesteht“, unterstreicht José Cretazz, Journalist und Dozent an der Argentinischen Universität der Unternehmen UADE (Universidad Argentina de la Empresa) und Nachrichtenchef bei der Tageszeitung La Nación.

Cretazz führt Fälle an, wie den des Unternehmens Telefónica de España, das bei einer Anpassung an das Gesetz nicht all seine dem Fernsehprogramm Telefe angeschlossenen Sender des offenen Fernsehfunks würde behalten können, denn es besitzt in Argentinien bereits das öffentliche Dienstleistungsunternehmen Telefónica de Argentina – nach der neuen Regelung wäre es nicht mehr möglich, beides gleichzeitig zu betreiben. Auch der mexikanische Unternehmer Ángel Remigio González könnte Canal 9 und FM Aspen nicht behalten, denn laut dem neuen Gesetz dürfen Ausländer*innen nicht mehr als 30 Prozent der Aktien an einer Firma halten, die argentinische Medienlizenzen erworben hat.

AFSCA-Chef weist Vorwürfe der Bevorteilung zurück

Martín Sabbatella, Präsident der Föderalen Aufsichtsbehörde Audiovisueller Kommunikation AFSCA (Autoridad Federal de Servicios de Comunicación Audiovisual), die für die Einhaltung des Mediengesetzes geschaffen wurde, versicherte seinerseits jedoch gegenüber Noticias Aliadas, dass – obwohl die Anwendung des Gesetzes insgesamt wegen der einstweiligen Verfügung der Gruppe Clarín noch ausstehe, „ist dies kein Gesetz für eine bestimmte Gruppe“.

“Es gibt jene, die ihre Privilegien und ihre dominante Position, mit der sie sich über den Staat stellen, behalten wollen und da werden wir zwangsläufig eingreifen. Etwa 14 der 21 Gruppen verfügen über einen freiwilligen Plan zur Anpassung und wir werden Schritt für Schritt darüber entscheiden, was mit den Lizenzen geschieht. Wir werden alle Arbeitsplätze respektieren und werden das in den Lizenzverträgen berücksichtigen“, so der Funktionär der Behörde weiter. Wenn der Staat einmal den Amtsweg beschritten habe, werde ein Bewertungsgericht die auszuschreibenden Lizenzen auswählen und Ausschreibungen eröffnen, ein Register der Bieter*innen anlegen, die Zuschläge erteilen und die Übertragung rechtsgültig machen.

„Nationaler Tag des Fremdschämens“

Am vergangenen 7. Dezember (7D), der seit mehr als zwei Monaten als „Tag der endgültigen großen Schlacht“ gehandelt wurde und der jener Tag werden sollte, an dem der Staat den Amtsweg einleiten würde, geschah überhaupt nichts. Die Justiz verlängerte die Frist der einstweiligen Verfügung für den Clarín-Konzern und das Feiern der Regierung musste auf den 9. Dezember verschoben werden, an dem es gleich mehrerer Anlässe zu gedenken gab: 29 Jahre Demokratie, das fünfte Regierungsjahr von Präsidentin Fernández und es war der Vorabend zum Internationalen Tag der Menschenrechte, der am 10. Dezember begangen wurde.

Die Straßen rings um den zentralen Platz Plaza de Mayo füllten sich mit politischen Anhänger*innen des Peronismus, die nun zwar keine Sprechchöre zum Fall der Clarín-Gruppe skandieren konnten, aber sie hielten Reden gegen die Gerichtsbarkeit und erklärten den 7D zum „Nationalen Tag des Fremdschämens“.

“Es ist eine Schande, dass die Justiz nicht dem Volk nicht Recht gibt“, beschwerte sich eine enttäuschte Frau, die beim Movimiento Evita aktiv ist, die jedoch anonym bleiben wollte.

Ganz im Tenor dieser Proteste hielt die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner am Ende der Festlichkeiten eine Rede, bei der sie Sätze sagte wie: „Es ist notwendig, dass die Unabhängigkeit [der Justiz] sich nicht nur auf die Politik bezieht, sondern auch auf die Konzerne (…) Wenn einigen die mediatischen Mittel ausgehen, versuchen sie juristische Mittel zu schaffen um eine Regierung zu stürzen“.

Monitoring noch unklar

In diesem Klima der Rivalitäten scheint es so, als sei die Rückgabe der Lizenzen von Clarín die große Herausforderung an diesem Gesetz. Doch es gibt viel grundsätzlichere Fragen.

“Wir wollen die Wächter dieses Gesetzes sein, denn jene Sektoren, die [mit dieser Regelung] neue Rechte gewonnen haben, sind nicht organisiert und es ist noch immer nicht ganz klar, wie deren Forderungen koordiniert werden“, sagt Néstor Piccone von der Koalition für eine demokratische Kommunikation.

Die meisten Sorgen macht sich Piccone darüber, dass es keine Klarheit über das neue Finanzierungssystem für die Medien gibt, denn wenn man die Regeln dem Markt überließe, „gehen die Mittel des Privatsektors an die großen Firmen und die neu entstehenden Unternehmen müssen unabhängig sein nichtstaatlich.“

Neue Betreiber*innen gesucht

Für Martín Becerra, Forscher und Doktor der Kommunikation “ist das Gesetz im Hinblick auf die argentinischen Großstädte geschrieben worden und man hat dabei nicht an die kleinen Ortschaften gedacht, wo die Angebote begrenzt sind“.

Ein Beispiel dafür sind die 200 Städte, wo das Kabelsignal von Cablevisión (im Besitz von Clarín) zu senden aufhören würde, wenn das Konglomerat seine Lizenzen abgeben würde. Weder die Lizenzverträge noch die Bieter*innen dafür sind bisher klar, weswegen einige befürchten, der Fall von Fibertel (ebenfalls im Besitz von Clarín) könnte sich wiederholen: die Lizenz von Fibertel erlosch 2010 aber es war nicht möglich, sie abzumelden, denn es gab niemanden, der sich dieser Frequenz angenommen hätte.

Die Zuschreibung von 33 Prozent des Spektrums an soziale Organisationen – das Gesetz sieht vor, dass die anderen beiden Drittel jeweils an den Staat und an private Unternehmen gehen – öffnet zwar die Türen dafür, dass im Sinne von Artikel 151 Lizenzverpachtungen und verträge an indigene Völker gehen, damit diese auf AM und FM-Frequenzen und auf offenen Fernsehkanälen senden können. Es legt spezielle Regelungen für Sender mit einer geringen Sendeleistung vor, mit einer Direktzuweisung – und gibt doch Anlass zur Sorge wegen des Ermessensspielraums, mit dem diese Lizenzen vergeben werden und wegen der Befürchtung, dass die Redaktion dadurch käuflich werden könnte.

Regelung für Zugang zu Informationen fehlt

Wall Kintun TV, der erste Fernsehsender der indigenen Mapuche-Völker, Coya und Qom, nahm seinen Betrieb genau am Tag 7d auf Canal 2 in Bariloche auf – und sendete als erstes einen Dokumentarfilm über das Leben von Ex-Präsident Néstor Kirchner, was die oppositionellen Sektoren mit Argwohn zur Kenntnis nahmen.

“Das Gesetz muss man analysieren, in dem man die offizielle Handhabung betrachtet, um die Medien wegen ihrer redaktionellen Linie zu loben oder zu strafen“, hebt Cretazz hervor. „In diesem Zusammenhang fehlt ein Gesetz über den Zugang zu Informationen [es gab ein entsprechendes Projekt, dessen Fortführung die Kirchner-Regierung vergangenen November im Kongress abgelehnt hatte] für Bürger und Journalisten“.

Und so ist das Inkrafttreten des Mediengesetzes, das vom UN-Sonderbotschafter für Meinungsfreiheit, Frank La Rue als „ein Modell für den ganzen Kontinent“ gelobt wurde, zu einem Boxring für Politiker*innen und Unternehmer*innen geworden, deren unüberwindbarer Streit zu einer Angelegenheit von nationaler Bedeutung geworden ist.

 

Weiterlesen:

Frischer Wind im Äther – Infoblatt zu Community Radios in Argentinien

(November 2012, Viviana Uriona)

 

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