Fremdbestimmte Körper: Abtreibungsverbote in Lateinamerika

von Jessica Zeller

Foto von den Unterstützungstagen für Beatriz 2013. Auf dem Transparent steht: (Berlin, 25. Oktober 2015, npl).- Lateinamerika ist weltweit einer der Kontinente mit den schärfsten Abtreibungsgesetzen. Frauen oder Mädchen, die nach Vergewaltigungen schwanger wurden, deren Leben durch eine Schwangerschaft in Gefahr oder bei denen der Fötus nicht überlebensfähig ist, wird in vielen lateinamerikanischen Ländern ein vorzeitiger Abbruch der Schwangerschaft untersagt. Welche gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse stehen hinter diesen Verboten? Wie sieht die konkrete Situation in den jeweiligen Ländern aus?

Einschränkung reproduktiver Rechte nach Transition

Morena Herrera ist salvadorianische Menschenrechtsverteidigerin und feministische Aktivistin. Seit mehr als zwanzig Jahren setzt sie sich für Frauenrechte in ihrem Land ein: „Vor rund 23 Jahren wurde in El Salvador ein Friedensabkommen unterzeichnet. Nach Jahren des Bürgerkriegs bildeten sich demokratische Institutionen heraus, Auch die Rechte von Frauen wurden auf formeller Ebene anerkannt. Doch das tägliche Leben in unserem Land sieht ganz anders aus. Frauen sind in El Salvador nicht gleichberechtigt und werden immer noch diskriminiert, vor allem was die Verletzung ihrer reproduktiven Rechte betrifft.“

Carolina Carrera ist Psychologin aus Santiago de Chile. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für die Entkriminalisierung von Abtreibungen – und sieht durchaus Parallelen zwischen Chile und El Salvador: „Auch bei uns herrschte bis 1989 eine Diktatur. Interessanterweise war unter dem Pinochet-Regime Abtreibung aufgrund medizinischer Indikation erlaubt. Aber eine der letzten Amtshandlungen der Diktatur bestand darin, in Chile ein totales Abtreibungsverbot durchzusetzen.“

Restriktive Abtreibungsgesetze – fast überall

Lateinamerika ist weltweit eine der Regionen mit den schärfsten Abtreibungsgesetzen. Lediglich auf Kuba, in Uruguay und im Distrikt von Mexiko Stadt sind Schwangerschaftsabbrüche überhaupt zugelassen. In Chile, El Salvador und Nicaragua herrscht ein Totalverbot. In zahlreichen anderen lateinamerikanischen Ländern ist die Gesetzgebung sehr restriktiv und erlaubt etwa nur Abbrüche unter sehr eng ausgelegten Indikationslösungen.

Hohe Selbstmordrate bei jungen Frauen

Doch obwohl die Gesetzeslage in Chile und El Salvador gleich ist, gibt es durchaus Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung zwischen den beiden Ländern. Morena Herrera, salvadorianische Frauenrechtlerin, umreißt das Panorama in ihrem Land für die betroffenen Frauen. „Die Situation kommt einem Gefängnis gleich – insbesondere für jüngere Frauen und Mädchen, die ungewollt schwanger werden. Und von denen gibt es immer mehr. Ungefähr ein Drittel aller werdenden Mütter in El Salvador ist unter achtzehn, viele sogar jünger als vierzehn Jahre alt. Es gibt Mädchen, die mit neun oder zehn Jahren ein Kind gebären. Diese Mädchen bekommen ihre Kinder nicht aus freier Entscheidung. Es handelt sich um Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch. Doch das wird nur in den wenigsten Fällen klar so benannt. Aber selbst wenn das der Fall ist: Die Mädchen und Frauen müssen trotzdem das Kind ihrer Peiniger austragen. Viele von ihnen wissen keinen anderen Ausweg, als sich selbst das Leben zu nehmen. Selbstmord ist in unserem Land eine der häufigsten Ursachen von Müttersterblichkeit.“

Der Fall Beatriz

Unterstützungstage für Beatriz 2013 in El Salvador. Foto: Morena HerreraNeben Vergewaltigung steht die medizinische Indikation besonders im Fokus der Debatte. Denn auch wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder der Fötus nicht überlebensfähig, darf eine Schwangerschaft in El Salvador nicht vorzeitig beendet werden. Ein besonders krasser Fall erreichte im Frühjahr 2013 auch die internationale Öffentlichkeit: Beatriz, eine junge Salvadorianerin, war an der Autoimmunkrankheit Lupus schwer erkrankt und in großer Gefahr, die Schwangerschaft nicht zu überleben. Untersuchungen hatten außerdem ergeben, dass der Fötus an Anenzephalus litt: Große Teile des Gehirns und des Schädels waren nicht ausgebildet. Nahezu alle Kinder mit dieser Fehlbildung sterben vor der Geburt oder innerhalb weniger Stunden bis Tage danach. Doch die salvadorianischen Ärzte weigerten sich, bei Beatriz einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen – aus Angst deswegen selbst strafrechtlich verfolgt zu werden.

Morena Herrera, salvadorianische Frauenrechtlerin beschreibt das damalige Geschehen: „Beatriz’ Wunsch nach einem Abbruch der Schwangerschaft – einfach um zu überleben – und seine Ablehnung durch die Ärzte, verdeutlichte alle Widersprüche unseres Rechts- und Gesundheitssystems. Auch vor dem Obersten Gerichtshof El Salvadors wurde ihr kein Recht zugesprochen. Schließlich zog die junge Frau bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und der entschied positiv. In der 26. Schwangerschaftswoche konnte Beatrix einen Kaiserschnitt vornehmen lassen und die Schwangerschaft abbrechen.“

Der Fall Beatriz eröffnete in El Salvador die öffentliche Debatte um die möglichen Konsequenzen eines absoluten Abtreibungsverbots. Viele Menschen identifizierten sich mit dem Schicksal der jungen Frau. Doch bis es in dem mittelamerikanischen Land zu einer Gesetzesänderung kommt, die das Verbot grundsätzlich lockert, scheint es noch ein weiter Weg.

Hoffnung auf Lockerung des Verbots in Chile

In Chile ist man da schon etwas weiter. Zwar sind auch hier die Dunkelziffer an illegal vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüchen und das damit einhergehende gesundheitliche Risiko hoch. Doch es gibt begründete Hoffnung, dass das totale Verbot von Abtreibungen in dem südamerikanischen Land bald gelockert wird. Frauenrechtlerin Carolina Carrera berichtet: „Seit 1989 – also seitdem das totale Abtreibungsverbot in Chile existiert – gab es bereits siebzehn Parlamentsinitiativen, deren Ziel darin bestand, Abtreibungen bis zu einer bestimmten Schwangerschaftswoche zuzulassen oder das totale Verbot wenigstens in drei Fällen einzuschränken: Bei Gefahr für das Leben der Mutter, wenn der Fötus nicht überlebensfähig ist und im Fall einer Schwangerschaft durch Vergewaltigung. Alle diese Initiativen wurden abgelehnt. Erst das aktuelle Gesetzesvorhaben, eingebracht von der Präsidentin Michelle Bachelet, hat ernsthaft Aussicht auf Erfolg.“

Ein langwieriger Prozess

Im August verabschiedete die Gesundheitskommission des chilenischen Abgeordnetenhauses eine Indikationslösung in den genannten drei Fällen. Jetzt steht das Vorhaben in der Verfassungskommission, danach im Abgeordnetenhaus und schließlich im chilenischen Senat zur Abstimmung – ein langwieriger Prozess mit noch offenem Ausgang. Angetrieben wird er neben der Präsidentin selbst von engagierten Frauenrechtlerinnen wie Carolina Carrera. Und von der chilenischen Bevölkerung: 69 Prozent sprechen sich in Meinungsumfragen bei medizinischer Indikation und bei Vergewaltigung für ein Recht auf Abtreibung aus. Wenigstens für die große Mehrheit der Chileninnen und Chilenen ist klar: Frauenrechte, das sind Menschenrechte – ohne Wenn und Aber.

 

Dieser Artikel ist Teil unseres diesjährigen Themenschwerpunkts „Fokus Menschenrechte 2015„.

ondaDazu gibt es es auch einen Radiobeitrag der hier angehört werden kann.

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