Indigene fürchten um ihr Land – AgrarierInnen-Fraktion könnte Schutzklausel kippen

von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Berlin, 23. April 2015, npl).- In Brasilien stehen sich Indígenas und das Agrobusiness feindselig gegenüber. Es ist ein Konflikt um Land, der oft mit Gewalt ausgetragen wird. Noch schützt die Verfassung die Rechte der Indigenen. Doch der konservative Kongress will den Handlungsspielraum der Regierung einschränken.

„Ich nenne es sogar einen Genozid“

„Die Lage der Indigenen ist dramatisch. Ich nenne es sogar einen Genozid. Grund dafür ist, dass Land, das eigentlich uns zusteht, immer wieder Farmern zur Nutzung zugesprochen wird.“ Nailton Pataxó spricht aus eigener Erfahrung. Er ist einer der Kaziken der Pataxó-Indígenas, die im Süden des Bundesstaates Bahia leben. Seit Jahrzehnten leben sie im Konflikt mit Landwirt*innen und Großgrundbesitzer*innen, die Anspruch auf das Land erheben, das einst den Pataxó zugesprochen wurde. Immer wieder gibt es deshalb bewaffnete Auseinandersetzungen.

Auch in anderen Regionen Brasiliens kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Indigenen und denjenigen, die das Land nicht zum Leben, sondern für wirtschaftlichen Profit nutzen wollen. Seit dem Jahr 2000 kamen dabei über 600 Indígenas ums Leben. Nach Angaben des indigenen Missionsrates CIMI ist die Zahl der Gewalttaten in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft angestiegen.

Verfassungsänderung soll schnell wieder auf Tagesordnung

Nailton Pataxó befürchtet, dass sich die Lage weiter zuspitzen wird. In der Verfassung von 1988 ist das Anrecht der Indígenas auf das Land ihrer Vorfahren festgeschrieben. Doch die Einrichtung von indigenen Ländereien ist fast zum Erliegen gekommen. „Statt uns Land zum Leben zu geben und unsere Ansprüche zu schützen, wird genau das Gegenteil gemacht“, erklärt Pataxó und prophezeit: „Demnächst wird der Kongress die Rechte, für die wir so lange gekämpft haben, wieder aus der Verfassung streichen.“

Es geht um PEC 215, einen Verfassungszusatz, mit dem die Entscheidungsgewalt über die Einrichtung von indigenen Ländereien von der Bundesregierung auf den Kongress übertragen werden soll. Dort hat die parteiübergreifende Fraktion der Agrarier*innen großen Einfluss und würde – so befürchten die Indigenen – alle Anträge auf Demarkierung von indigenem Land ablehnen.

Da die Regierung bisher eine Abstimmung über die PEC verhindern konnte, verschwand das Vorhaben in der Schublade. Doch trotz der Wiederwahl der Mitte-Links-Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff bei den Wahlen im vergangenen Oktober kam es im Kongress zu einem deutlichen Rechtsruck. Die AgrarierInnen-Fraktion zählt jetzt über die Hälfte der Parlamentssitze. Ihre Sprecher kündigten bereits an, die Verfassungsänderung sobald wie möglich wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Indigene wollen bestehende Rechtslage beibehalten

Hinzu kommt, dass Anfang Februar mit dem evangelikalen Oppositionsabgeordneten Eduardo Cunha ein Verfechter der industriellen Landwirtschaft zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde. Er kündigte bereits die Einrichtung einer Kommission an, um die Abstimmung über die Verfassungsänderung zu beschleunigen. „Die Profiteure wären neben den Farmern die Holzindustrie, Bergbauunternehmen und die Befürworter von Energiegewinnung durch Stauseen mitten im Urwald“, resümiert Nailton Pataxó.

Noch wird versucht, den Konflikt mittels Dialog zu entschärfen. Cunha empfing mehrere Indígena-Führer zum Meinungsaustausch. Sie beharren darauf, die Rechtslage nicht anzutasten. Andernfalls würden die Indígenas das Kriegsbeil aufgraben.

Die Indigenen fürchten nicht nur die Agrarfraktion im Parlament. Präsidentin Rousseff, die schon während ihrer ersten Amtszeit kaum Interesse für die Anliegen der Urbevölkerung zeigte, nominierte mit Kátia Abreu eine der Wortführerinnen der Agrarier*innen zur Landwirtschaftsministerin. Die frühere Senatorin wirft den Indígenas vor, „mit mittelalterlichen Methoden wie Landbesetzungen“ den Konflikt anzuheizen. Die Indigenen seien „aus dem Urwald gekommen und bedrohen jetzt die produktiven landwirtschaftlichen Flächen“, so Abreu, die im Ruf steht, Indigene nur als Hindernis für das Wirtschaftswachstum zu sehen.

Landverteilung und Schutzbestimmungen

Die Agrarier*innen argumentieren, dass der Staat den wenigen Indígenas schon jetzt viel zu viel Land übereignet hat. Die knapp eine Million Indigenen machen nur ein halbes Prozent der Bevölkerung aus. Die ihnen zugewiesenen Gebiete umfassen aber rund zwölf Prozent des brasilianischen Territoriums.

Aus Sicht der Indígenas ist dies kein Missverhältnis. Denn die meisten indigenen Gebiete liegen im Amazonaswald und sind aufgrund von Schutzbestimmungen gar nicht wirtschaftlich nutzbar. Für sie ist vielmehr die ungerechte Landverteilung in Brasilien fragwürdig: Fast 60 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche ist Eigentum von Großgrundbesitzer*innen, die gerade mal drei Prozent der Landwirt*innen ausmachen.

CC BY-SA 4.0 Indigene fürchten um ihr Land – AgrarierInnen-Fraktion könnte Schutzklausel kippen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert