Stahl für den Export, Umweltverschmutzung vor Ort

von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Berlin, 25. Februar 2009, npl).- Der Bau eines gigantischen Stahlwerks durch Thyssen-Krupp in Brasilien bringt Umweltschützer*innen und Menschenrechtler*innen auf die Barrikaden. Tausenden Fischern werde durch die Verschmutzung des Gewässer der Bucht von Sepetiba im äußersten Westen der Stadt Rio de Janeiro die Existenzgrundlage geraubt, so die Kritiker*innen. Außerdem würden Arbeitsrechte und Umweltauflagen missachtet.

Thyssen-Krupp hingegen will mit der derzeit größten deutschen Auslandsinvestition von 4,5 Milliarden Euro die wachsende Nachfrage nach hochwertigen Stahlplatten befriedigen. Das Hüttenwerk samt eines dazugehörigen Exporthafens soll ab Ende 2009 5,5 Millionen Tonnen Stahl nach Europa und Nordamerika exportieren und sowohl in Deutschland wie in Brasilien langfristig Arbeitsplätze schaffen. Der weltweit zehnt größte Stahlkonzern will mit Hilfe der großen Eisenerzvorkommen in Brasilien seine globale Marktposition ausbauen.

Die Vorwürfe von Umweltschützer*innen, Arbeitsrechtler*innen und Anwohner*innen gegen das Baukonsortium CSA (Companhia Siderúrgica do Atlântico), dem neben Thyssen-Krupp auch der größte brasilianischen Bergbaukonzern Vale angehört, sind happig. Zum einen geht es um den mit Kadmium und anderen Schwermetallen vergifteten Schlamm, den die Bauarbeiten zwischen Flussmündungen und dem offenen Atlantik aufwirbeln. Er stammt von anderen Industrieanlagen, die vor über 20 Jahren ihren Betrieb in der Region eingestellt haben. Die Vergiftung des Wassers hat nach Aussagen der Fischer vor Ort fast alles Leben in der Bucht und teilweise auch in der Uferregion abgetötet. Über 8.000 Fischerfamilien, zusammen an die 40.000 Menschen, klagt die Fischervereinigung Apescari, hätten ihren Lebensunterhalt im Laufe dieses Jahres verloren.

Hinzu kommen die Schäden an den Mangroven in den Baía Sepetiba, die laut brasilianischen Gesetzen geschützt sind. Aufgrund der Vielzahl von Umweltschäden hat die brasilianische Umweltbehörde Ibama mehrfach einen Baustopp verhängt. Sergio Ricardo, Aktivist der lokalen Umweltorganisation, beklagt, dass sich die CSA nicht an die Auflagen hält, da mittels eines kaum transparenten Lizenzverfahrens verschiedene Behörden gegeneinander ausgespielt werden.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die Arbeitsrechte, die nach Aussagen von Gewerkschaftern auf der Megabaustelle missachtet werden. Mehrfach kam es zu Kontrollen seitens der für Arbeitsrecht zuständigen Staatsanwaltschaft, die Verletzungen von Arbeitsverträgen und fehlende Schutzmaßnahmen monierte und schließlich ebenfalls eines Stopp der Arbeiten anordnete.

Dass die Bauarbeiten bisher keinen Tag eingestellt wurden führen die Kritike*innen, unter ihnen die renommierte Nichregierungsorganisation Pacs (Instituto Políticas Alternativas para o Cone Sul), die mit Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung in São Paulo die Schäden dokumentiert, auf die Interessensallianz der Konzerne und der Regierung zurück. Das mit Abstand größte Stahlprojekt in Lateinamerika ist Teil des ehrgeizigen Investitionsprogramms PAC, das sich Präsident Inácio Lula da Silva auf die Fahnen geschrieben hat. Es beinhalten mehrere große Bauvorhaben im ganzen Land, die fast alle von Ökolog*innen und Menschenrechtler*innen kritisiert werden. Nicht nur Lula, auch die Regierung des Bundesstaaten Rio de Janeiro hat großes Interesse an der großen Investitionssumme und dem Versprechen, tausende Arbeitsplätze zu schaffen.

Doch auch um diese Arbeitsplätze gibt es Streit. Die CSA hat Hunderte von chinesischen Gastarbeiter*innen einfliegen lassen, statt der lokalen Bevölkerung Arbeit anzubieten. Tausende Gastarbeiter, die kaum Kontakte zu ihren Umgebung haben, sollten es eigentlich sein. Doch Gewerkschafter*innen verhinderten, das die Thyssen-Krupp-Baustelle eine fremdsprachige Insel mittel in Brasilien wurde.

Mittlerweile sieht sich die CSA einer Vielzahl von Klagen vor Gericht ausgesetzt, in den es um millionenschwere Entschädigungszahlungen, Streit um Baugenehmigungen und Arbeitsrechtverletzungen geht. Zudem wird thematisiert, wieso der Staat dem Konsortium großzügige Steuergeschenke machte, obwohl das Werk ausschließlich für den Export produziert und vor Ort nur viel Müll hinterlässt.

Zugleich fällt auf, wie wenig all diese Vorwürfe in der Öffentlichkeit bekannt sind. In den kritischen Studien über das umstrittene Stahlwerk finden sich Hinweise, dass die Unternehmensleitung zum Schutz der Anlage auf die berüchtigten Milizen zurückgreift, die seit mehreren Jahren in ganz Rio de Janeiro ihr Unwesen treiben. Diese paramilitärischen Gruppen vertreiben Drogenhändlerbanden aus den Armenvierteln, um daraufhin Mafiastrukturen zu errichten, die jegliche staatliche Ordnung ausschließen. Sie bestehen zumeist aus ehemaligen oder aktiven Polizisten und werden für unzählige Morde und andere Schwerverbrechen verantwortlich gemacht.

Stichhaltige Informationen zu diesen Organisationen zu bekommen ist genauso schwer wie gefährlich. Anonym erklären Menschen aus der Region, dass die Milizen mit im Spiel sind und auch schon Kritiker bedroht haben. Mysteriös und bislang nicht aufgeklärt sind auch mehrere Todesfälle auf dem Betriebsgelände. Vergangenes Jahr war bei einem Schiffsunfall ein Fischer schwer verletzt worden, ein anderer war verschwunden. Als nach mehreren Tagen seine Leiche gefunden wurde, stießen die Suchtrupps im Schlamm auf drei weitere Leichen in Arbeitskleidung. Den Anwälten der Fischer*innen und Umweltaktivist*innen ist es bis heute nicht gelungen, hinreichende Informationen zu dem Vorfall zu bekommen.

CC BY-SA 4.0 Stahl für den Export, Umweltverschmutzung vor Ort von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert