Ökofaschismus und Umwelt-Rassismus: Nebeneffekte der Pandemie

(Quito, 17.04.2020, Acción Ecológica).- Weltweit erleben Umweltthemen derzeit Hochkonjunktur. Die gegenwärtige Pandemie wird dabei oft mit den ökologischen Grenzen des Planeten in Verbindung gebracht: das Coronavirus als „Aufatmen“ der Erde. In echten und gefakten Videos sieht man Tiere, die durch die Städte streifen. Bewiesen ist die Abnahme der Schadstoff- und Lärmbelastung, die uns die Vögel in den Innenstädten wieder hören lässt, sowie die Rückkehr der von schlecht geplanter Urbanisierung verfolgten Tiere in verstädterte Welten. In China, Europa, sogar in den USA mit ihren flexibleren Grenzwerten werden deutlich niedrigere CO2-Werte gemessen, was sowohl von der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, von National Geographic als auch vom Carbon Brief von Greenpeace registriert wurde. Die Werte sind je nach Land um 25 bis 80% zurückgegangen. In China sind es z.B. 25%, was 200 Millionen Tonnen CO2 entspricht. Die Pandemie rückt globale und lokale Probleme sowie mögliche Lösungsszenarien in den Mittelpunkt der Diskussionen. Klimawandel, Waldzerstörung und Waldbrände führen die globale Krise nah an alle Gesellschaften heran. Wie der Klimawandel uns die Umweltkrise als weltweites Problem vor Augen führt, zeigt das Coronavirus ähnliches in Bezug auf unseren Körper. Aber: Für alle Themen gibt es unterschiedliche Lesarten, ausgehend von der Position der Macht oder vom Standpunkt der Opfer. Mit der Pandemie ist dies nicht anders.

  1. Der Mythos vom Virus als „Rache der Natur“ gegen den Menschen

Diese Botschaft, die sich wie ein Lauffeuer in den digitalen Medien verbreitete, geht davon aus, dass wir alle gleichermaßen Zerstörer*innen der Natur sind, eine den Planeten bedrohende „Spezies“. Nun sind aber nicht alle Menschen oder Kulturen gleich, es gibt unterschiedliche Grade an Verantwortlichkeit für die Krise. 80% der Menschen auf der Erde sind arm, z.B. Kleinbauern und -bäuerinnen, indigene Völker, auch wenn sie kein Land mehr besitzen. Sie konsumieren weniger und schützen damit die Natur, und sie verfügen über alternative Kenntnisse und Ernährungsechniken. Obwohl sie gegenüber der kapitalistischen Geldwirtschaft nicht immun sind, bewahren sie ihre eigenen Rhythmen und ihre auf Gegenseitigkeit und Dauerhaftigkeit beruhenden Beziehungen zur Natur. Diese Bevölkerungen kann man wohl kaum für die viel zitierte globale Naturzerstörung verantwortlich machen. Die weltweite Verbreitung des Coronavirus wurde durch verschiedene Faktoren ermöglicht bzw. begünstigt: die Globalisierung der Märkte, der Verlust des natürlichen Gleichgewichts und die massive Krise der Gesundheitssysteme.

Umweltzerstörung geht weiter

Die These, dass das Virus gut für die Umwelt sei, wird durch die aktuelle Faktenlage nicht eben gestützt. So ist in Ecuador zwar der Verkehr in den Städten zurückgegangen, aber die Förderung von Erdöl im Amazonasgebiet und das Abfackeln von Gas werden fortgesetzt. Auch der Einsatz von Ackergiften in den exportorientierten Bananen-Monokulturen geht munter weiter. Dasselbe gilt für zerstörerische Bergbau-Aktivitäten und illegale Abholzung auf indigenen Territorien.

Weniger Verkehr in den Städten, mehr Kontrolle gegen das Virus… aber fragt eigentlich jemand nach der Zunahme an Verpackungsmüll für Masken und anderes Plastik? Auch sind die gesundheitlichen Konsequenzen der Chemikalien in den Desinfektionsmitteln kaum bekannt.

An der Front der extraktivistischen Industrien, also in den ländlichen Gebieten, ist die Situation besonders gravierend, hier gibt es sogar eine Zunahme der Förderung von Rohstoffen, inklusive des folgenschweren Bruchs einer Erdöl-Pipeline. Hier besteht für die Bevölkerung kaum die Möglichkeit einer Kontrolle zur Verhinderung der Infektion. Die Regierung reagiert mit einer Intensivierung im Rohstoffsektor und der Neuverschuldung des Landes.

  1. Rechte nutzen das Virus für ihre Standpunkte

Angesichts der Waldbrände im Amazonas und in Australien, der Hitzewellen und verschobenen Jahreszeiten ist der Klimawandel zugleich Realität und Vorbote kommender Krisen. Zahlreiche Studien und offizielle Berichte sprechen von einem bevorstehenden Kollaps des Planeten, sollten wir es nicht schaffen, die Schadstoffemissionen zu mindern, die die Erderwärmung verursachen. Neben Leugner*innen und Scheinlösungen wie Geo-Engineering oder dem Handel mit Emmissionszertifikaten bringt nun auch die extreme Rechte ihre eigene Klima-Agenda in die Diskussion ein und fordert verschärfte Migrationsregelungen und Bevölkerungskontrolle, vor allem im globalen Süden, um der angeblichen “Bedrohung” durch die Menschen aus den südlichen Ländern entgegenzutreten ‑ als ob die verarmten Länder die Erderwärmung verursacht hätten. Dabei ist die geophysisch-biologische Krise das Produkt einer Modernisierung, die von den Zentren der Macht ausgeht. Sie sind die Verursacher der Probleme, die anschließend in die ganze Welt expandieren.

Ökofaschismus auf dem Vormarsch

Die fremdenfeindliche Rechte erkennt langsam das politische Kapital der Krise und des Versprechens, die Welt vor dem Untergang zu bewahren, argumentiert mit individuellen Verantwortlichkeiten und verortet die Schuld an allem bei den Armen und ihrem Mangel an Hygiene und Bildung, um schließlich beim Stichwort Überbevölkerung zu landen. Das nennt man Ökofaschismus. In diesem Kontext brechen sich die denkbar reaktionärsten Positionen Bahn; so gibt es bereits Anregungen zu sozialer Euthanasie: Durch massive Einimpfung des Virus soll das Überleben der Stärksten gesichert werden, denen der Zugang zu Gesundheitsversorgung und materiellen Mitteln offenstehen soll, um Krankheit, Quarantäne und Arbeitslosigkeit zu bewältigen.

Schwer einzuschätzen, was die Zukunft bringt: Infizieren wir uns mit Angst, Aggressivität und Individualismus, oder werden wir gelernt haben, Schönheit und Gemeinschaftlichkeit wertzuschätzen? Wahrscheinlich wird beides zutreffen. Wohin werden sich politische Entscheidungen bewegen? Werden wir unser Eingreifen in die Natur künftig begrenzen oder, unter dem Deckmantel der Krise, den Druck auf die Ökosysteme weiter hochfahren? Das hängt sicher auch von der Kraft des gesellschaftlichen Widerstands und der Mobilisierungsfähigkeit ab.

Sicher ist, dass Umweltthemen so brennend sind wie nie, und damit verbunden die Diskussion um den Erhalt der Biodiversität, der Wälder, Völker und der Vielfalt des Wissens.

Übersetzung Christian Cray

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