Odebrecht-Affäre stellt politische Klasse Brasiliens an den Pranger

Von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 15. März 2017, taz).- „Wir stehen vor der traurigen Tatsache, dass die Demokratie unter Beschuss steht,“ sagte Brasiliens Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot und übergab dem Obersten Gerichtshof kistenweise Beweismaterial und eine höchst brisante Liste. Sie zählt die Politiker*innen auf, die von dem skandalträchtigen Baukonzern Odebrecht Bestechungsgeld erhalten haben sollen – eigentlich das gesamte Establishment in Brasilia: Mindestens fünf amtierende Minister, die Präsidenten von Senat und Parlament, einflussreiche Senator*innen und Parteichefs der Regierungskoalition und nicht zuletzt die Ex-Präsident*innen Dilma Rousseff und Luis Inácio Lula da Silva.

Janot empfiehlt dem höchsten Gericht die Einleitung von insgesamt 83 Strafprozessen. Weitere 211 Verfahren sollen an untergeordneten Gerichten auf den Weg gebracht werden. Grundlage der neuen Flut von Ermittlungen sind über 70 Kronzeugenaussagen von ehemaligen Odebrecht-Managern, von denen einige seit über 20 Monaten in Haft sind. Es geht um nicht deklarierte Parteispenden, illegale Wahlkampfspenden, persönliche Bereicherung und Geldwäsche.

Gemeinsam mit anderen Bauunternehmen hat Odebrecht jahrelang Politiker*innen aller Couleur bestochen, um lukrative und meist überteuerte staatliche Aufträge zu ergattern. Zum Beispiel das Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro, das zur Fußball-WM renoviert wurde. Die Stadt fordert jetzt eine Rückzahlung in dreistelligen Millionenhöhe, nachdem Pfusch in der Buchhaltung festgestellt wurde. Der Umbau kostete schließlich fast das Doppelte des Voranschlags.

Regierung hofft auf Enthüllungs-Overdose

Noch ist die am 14. März übergebene Liste geheim und muss erst von einem Obersten Richter freigegeben werden. Doch lokale Medien haben schon die brisantesten Fälle recherchiert und veröffentlicht. Demnach steht Präsident Michel Temer zwar nicht auf der Liste, muss aber dennoch mit Strafermittlungen rechnen, da er im Jahr 2014 in seiner Residenz Odebrecht-Manager zum Abendessen lud und um Wahlkampfhilfen in Millionenhöhe bat.

Damals war Temer noch Vizepräsident unter Rousseff. Zwei Jahre später übernahm er ihr Amt, nachdem seine Partei PMDB mit der rechten Opposition ein umstrittenes Amtsenthebungsverfahren durchsetzte. Mehrere der jetzt offiziell verdächtigten PMDB-Größen hatten bereits in einem mitgeschnittenen Gespräch zugegeben, dass Rousseff geschasst wurde, um das „Ausbluten“ der Politikerklasse im Zuge der Korruptionsermittlungen zu stoppen. Zumindest dieses Kalkül ging bislang nicht auf.

Brasilia reagierte gefasst, fast überheblich auf den neuen Pegelstand im Korruptionsskandal. Da fast alle Parteien auf der Liste erwähnt wurden, und die Zahl der inkriminierten Politiker*innen derart groß ist, sei davon auszugehen, dass der Effekt schnell wieder verpufft, so die Hoffnung in Regierungskreisen. Zudem wird die Debatte, ob illegale Spenden wirklich illegal sind, munter fortgesetzt. Ein entsprechender Gesetzesentwurf, der viele der Odebrecht-Finanzierungen nachträglich legalisieren würde, soll wieder aus der Schublade hervorgeholt werden.

Auch Kolumbiens Präsident Santos betroffen

Auch in Kolumbien zieht die Odebrecht-Affäre die Regierung in Mitleidenschaft. Präsident Juan Manuel Santos entschuldigte sich am Dienstag für eine illegale Wahlkampfspende. Angeblich wusste er nicht, dass im Jahr 2010 eine Millionenauflage von Wahlplakaten von Odebrecht bezahlt wurde, wie zuvor sein damaligen Wahlmanager eingestand. „Ich entschuldige mich bei den Kolumbianern für diesen Vorfall, der niemals hätte geschehen dürfen“, sagte Santos. Bereits seit Anfang Februar prüft die Staatsanwaltschaft Korruptionsvorwürfe gegen Santos, mehrere Oppositionspolitiker*innen und ehemalige Minister*innen im Zusammenhang mit dem Odebrecht-Skandal.

Der vor rund 70 Jahren von Nachfahren deutscher Einwanderer*innen gegründete Bauriese Odebrecht hat Ende vergangenen Jahres vor einem US-Gericht eingestanden, in zwölf Staaten Hunderte Millionen US-Dollar Bestechungsgeld an Regierungspolitiker*innen gezahlt zu haben. Gericht und Konzern einigten sich auf eine Strafzahlung in Höhe von 3,5 Milliarden US-Dollar, der höchste jemals für Korruptionsvergehen bezahlte Betrag.

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