Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 22. Januar 2018, npl).- Am Dienstag, 23. Januar beginnt im kanadischen Montreal offiziell die sechste und dem Zeitplan nach vorletzte Verhandlungsrunde über das Freihandelsabkommen Nafta zwischen Kanada, den USA und Mexiko. Bereits seit Sonntag gibt es in Montreal jedoch schon direkte Kontakte zwischen den drei Verhandlungsdelegationen, die voraussichtlich bis zum 29. Januar zusammensitzen werden. Die Voraussagen könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete einerseits, die kanadische Regierung rechne damit, US-Präsident Donald Trump werde noch während der Verhandlungsrunde den Rückzug seines Landes aus dem Vertrag verkünden. Andererseits befragte Reuters 45 Wirtschaftswissenschaftler*innen nach ihrer Einschätzung: Nur vier der Ökonom*innen glauben demnach an dieses Szenarium. Die Mehrheit geht davon aus, dass am Ende ein neu verhandelter Vertrag stehen könnte, der relativ geringe Veränderungen gegenüber der aktuellen Version aufweist.
In Mexiko wird den Verhandlungsergebnissen mit besonderer Spannung entgegengesehen. Widersprüchliche Aussagen von Trump und seinem Kabinett haben in den vergangenen Wochen häufiger für eine Achterbahnfahrt der mexikanischen Peso-Währung gesorgt. Optimistische Stimmen verweisen darauf, weder beim Mauerbau und dessen Finanzierung noch bei der Deportation von Migrant*innen aus den USA hätten sich die schlimmen Befürchtungen bisher bestätigt. Ähnlich könne dies beispielsweise mit den Ankündigungen Trumps geschehen, einschneidende Änderungen in der Automobilindustrie durchzusetzen, um einen Teil der Produktion von Mexiko in die USA zurückzuholen. Im vergangenen Jahr wurde mit fast 3,8 Millionen in Mexiko produzierten Fahrzeugen ein neuer Rekord erzielt. Die Steigerung zum Vorjahr betrug 8,9 Prozent. Die Exporte von Fahrzeugen erhöhten sich sogar um 12,1 Prozent auf 3,1 Millionen Einheiten. Davon gingen 77 Prozent zollfrei in die USA. Diese Zahlen zeigen aber auch die Anfälligkeit Mexikos auf, sollte sich die US-Regierung mit ihren Vorstellungen von einer Produktionsverlagerung und möglichen Strafzöllen für Autokonzerne in Mexiko durchsetzen.
Kritik: Mexiko hat keinen Plan
Der mexikanischen Regierung wird von ihren Kritiker*innen vorgeworfen, nach wie vor keinen wirklichen Verhandlungsplan zu haben, sondern auf Zweckoptimismus zu setzen. Der mexikanische Außenminister Luis Videgaray wird mal als eine Art Bettvorleger von Trump, mal als dessen Repräsentant in Mexiko dargestellt. Die Tatsache, dass das Land sich praktisch schon mitten im Wahlkampf für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 1. Juli befindet und derzeit einiges auf die Abwahl der regierenden PRI unter Präsident Peña Nieto hindeutet, macht die mexikanische Verhandlungsposition nicht stärker. Donald Trump deutete vor Kurzem gönnerhaft an, angesichts der Wahlen könne er sich vielleicht „ein bisschen flexibel“ zeigen. Die für März angestrebten Schlussverhandlungen könnten eventuell auf die Zeit nach den Wahlen verschoben werden.
Konstant ist für Mexiko nur die Unsicherheit. Die Wirtschaft hat sich zuletzt wieder leicht abgekühlt. Die Inflation war 2017 mit 6,7 Prozent so hoch wie seit über 15 Jahren nicht mehr. Die meisten Beschäftigten erlitten reale Lohneinbußen von über zwei Prozent. Ein Verhandlungsdesaster in Montreal und fehlende klare Weichenstellungen für die Nafta-Zukunft in die eine oder andere Richtung können härter auf die mexikanische Wirtschaft durchschlagen als die Regierung dies mit Floskeln wie „Mexiko ist größer als Nafta“ glauben machen will. Die mexikanische Verhandlungsdelegation bewegt sich im winterlichen Montreal auf dünnem Eis.
Mexiko und die sechste Nafta-Verhandlungsrunde in Montreal: auf dünnem Eis von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar