(Santander de Quilichao/Bogotá, 9. Mai 2019, amerika21).- Die Umweltaktivistin Francia Márquez ist zusammen mit anderen Sprecher*innen von Afro-Organisationen am Abend des 4. Mai in Santander de Quilichao brutal angegriffen worden. Márquez und ihre Kolleg*innen blieben dabei unversehrt. Zwei Leibwächter des nationalen Sicherheitspersonals sind laut Augenzeug*innen allerdings verletzt und in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden. Der Vorfall rief international Kritik an der Sicherheitslage für Aktivist*innen in dem südamerikanischen Land hervor.
Bereits seit dem 3. Mai waren die Aktivist*innen der Afrokolumbianischen Gemeinschaften (Asociación de Consejos Comunitarios del Norte de Cauca, Aconc, und Procesos de Comunidades Negras, PCN) versammelt, um ein Treffen mit der Regierung für den 8. Mai vorzubereiten. Am 4. Mai haben sie dann plötzlich mehrere bewaffnete Männer zuerst beleidigt und bedroht, dann auf sie geschossen und zwei Granaten geworfen. Alle Aktivist*innen flüchteten umgehend und es kam zu Schusswechseln mit deren Leibwächtern. Die Art und Weise des Angriffs zeigt laut Márquez, dass die Täter alle vor Ort umbringen wollten. Neben ihr zählten zu den etwa 16 Anwesenden auch das höchste Ratsmitglied von Aconc, Víctor Hugo Moreno, sowie Carlos Rosero, Clemencia Carabali und Sofía Garzón. Den Grund für die Attacke sieht Márquez im Engagement der Aktivist*innen für die Verteidigung des Lebens, des Territoriums und der Umwelt begründet.
Engagement gegen Fracking
Präsident Iván Duque und das Innenministerium verurteilten den Angriff scharf. Duque äußerte umgehend die Vermutung, Dissident*innen der Farc könnten das Attentat verübt haben. Zum vereinbarten Treffen am 8. Mai erschien er nicht, sondern sandte lediglich seine Vizeministerin für Inneres. Márquez hingegen hielt sich mit Verdächtigungen zurück. Dies sei nun Aufgabe der Ermittler*innen. Allerdings hob sie hervor, dass wenige Stunden vor dem Angriff der Kongress dem Bau des Mega-Hafens Tribugá zugestimmt und die Regierung von Duque die umstrittene Fracking-Methode zugelassen hatte. Márquez hatte sich in Kampagnen gegen beide Projekte engagiert.
Die Generalbundesanwaltschaft kündigte gemeinsame Ermittlungen mit der Nationalpolizei an. Bereits am 5. Mai ist in Santander de Quilichao ein Sicherheitsrat einberufen worden; unter Beteiligung von Polizei, Militär, der Regierung des Departments, dem Ortsbürgermeister sowie dem Ombudsmann des nationalen Menschenrechtsbüros (Defensoría del Pueblo). Der Sekretär der Regierung von Cauca, Ricardo Cifuentes, erklärte, es gebe Spuren zu den Attentätern. Die Ermittlungen laufen jedoch noch. Gerade die ländliche Gegend um Santander de Quilichao sei regelmäßig Ziel für Angriffe seitens bewaffneter Dissident*innen der Farc. Allerdings könne man noch keine konkrete Verbindung dieser illegalen Gruppierung mit dem Attentat nachweisen.
Wie nach dem Anschlag ebenfalls bekannt wurde, hatte das Menschenrechtsbüro das Innenministerium bereits am 26. April schriftlich über die Gefahren in der Region informiert. Demnach bestehe in der Region ein erhöhtes Risiko für Menschenrechtsverletzungen gegenüber Mitgliedern von politischen Organisationen, Sozialaktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen. Es hätte Einschüchterungen und Morddrohungen gegeben. Zwölf verschiedene Flugblätter mit Drohungen seien dieses Jahr bereits in Cauca verteilt worden, wie die Behörde mitteilt. Daher ruft sie die Regierung auf, wirksame Maßnahmen zu entwickeln, um den Angriffen und der Verwundbarkeit der Bevölkerung vor Ort zu begegnen.
Heftige Kritik an dem Attentat
International wurde das Attentat heftig kritisiert. Das Institut für Menschenrechte der Vereinten Nationen drängt zu einer schnellen Untersuchung des Falls und darauf, die Aktivist*innen umgehend besser zu schützen. Ähnlich äußert sich die Wahrheitskommission Kolumbiens. Sie sieht in dem Anschlag einen direkten Angriff auf den Wiederaufbau des Zusammenlebens, das Grundrecht des Lebens der Aktivist*innen sowie den Schutz ihrer Gemeinschaft. Die Kommission ruft die Regierung auf, Aktivist*innen zu schützen und sich für die Nichtwiederholung des bewaffneten Konflikts in ihren Gebieten einsetzen.
Die Vertreterin der Europäischen Union in Kolumbien, Patricia Llombert, eröffnete am 6. Mai die internationale Buchmesse in Bogotá (Filbo). Auf der Diskussionsveranstaltung „Sozialaktivisten und ihre Vorschläge zum Selbstschutz“ erklärte sie ihrer Anteilnahme für die Opfer des Angriffs. Nicht nur diese, sondern alle derartigen Taten verurteilte sie auf das Schärfste. Sie erklärte sich solidarisch mit allen Menschenrechts- und Sozialaktivist*innen, die sich für Demokratie in Kolumbien einsetzen. Rechte Kreise in Kolumbien bezeichneten diese Menschen fälschlicherweise als Verbündete von illegalen Gruppen. Zudem rief sie zur Teilnahme an der digitalen Kampagne auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mit dem Hashtag #DefendamosLaVida (verteidigen wir das Leben) auf. Damit wolle sie solchen Angriffen und Vorurteilen etwas entgegensetzen. „Wir hoffen auf ein Kolumbien, in dem eines Tages keine Sicherheitskräfte mehr nötig sind, um Kugeln und Granaten abzuwehren, um das Leben von Menschenrechtsaktivisten zu verteidigen,“ so Llombert. Der Schutz der Menschenrechte sei auch ein zentrales Thema zwischen der EU und Kolumbien. Seitens der EU wolle man die Gespräche mit der Zivilgesellschaft intensivieren.
Zahl der Drohungen und Angriffe steigt an
Seit 2018 stieg die Zahl der Drohungen gegenüber Sozialaktivist*innen um 47 Prozent. Zwischen März 2018 und Februar 2019 habe es insgesamt 982 registrierte Drohungen gegeben, so die offiziellen Angaben. 209 Sprecher*innen von Organisationen seien Ziel von gewaltsamen Vorfällen gewesen, wozu Drohungen, Mord und Entführung zählen. Die Vereinten Nationen geben an, dass dieses Jahr bereits 29 führende Sozialaktivist*innen getötet wurden. Als Reaktion auf die Angriffe kündigte Präsident Duque am 8. Mai an, es werde eine neue juristische Institution geben, in der sich Richter*innen speziell mit Gewalttaten gegen Aktivist*innen auseinandersetzen.
Im vergangenen Jahr wurde Márquez mit dem renommierten Goldman Umweltpreis für ihr Engagement gegen illegalen Bergbau im kolumbianischen La Toma geehrt. Ihr Einsatz gilt aber auch dem Kampf gegen Sexismus, Rassismus und Korruption in La Toma. Trotz des Angriffs signalisiert Márquez, dass sie Cauca nicht verlassen werde und weiterhin für die Umwelt und das Recht auf ein Leben in Frieden kämpfen werde.
Gewalttätiger Angriff auf Umweltaktivistin in Kolumbien von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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