von Thomas Guthmann
(Berlin, 18. November 2010, npl).- Neben den klassischen Menschenrechten, wie dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Freiheitsrechten, wie dem Recht auf freie Meinungsäußerung, gibt es die sozialen Menschenrechte. Dazu gehört das Recht auf Arbeit bei angemessener Entlohnung. Die Umsetzung sozialer Menschenrechte gestaltet sich in den Ländern schwierig, in denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung im informellen Sektor arbeitet. Hier gibt es keine etablierten Arbeitsverhältnisse und viele müssen ein Geschäft „erfinden“ mit dem sie versuchen, sich über Wasser zu halten. Ein Recht auf Einkommen ist hier unbekannt.
Informellen Job „Erfinden“
Deutlich wird dies in El Alto, der ärmsten Stadt Boliviens. Wenn man sich in die Ceja – den großen Markt im Zentrum der Stadt – begibt, fallen einem immer wieder alte Männer, junge Frauen mit Kindern auf dem Rücken oder Kinder auf, die Papiertaschentücher päckchenweise verkaufen oder Kaugummis und Zigaretten einzeln anbieten. Mit dem Verkauf von Kleinigkeiten versuchen sie, sich über Wasser zu halten. Viele von ihnen verdienen damit weniger als einen Euro pro Tag und kommen kaum über die Runden.
Zwei Drittel der Bevölkerung ist in El Alto in der informellen Ökonomie beschäftigt. Sie schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, versuchen hier und da was zu verkaufen oder verdingen sich als Tagelöhner*innen. Für sie gibt es keine Altersvorsorge, keine Möglichkeiten zur Fortbildung und keinen Zugang zu ausreichender Gesundheitsvorsorge. Fünfzig Prozent der Bevölkerung haben keinen oder nur einen unzureichenden Zugang zu sauberem Wasser, etwa zwei Drittel verfügen über einen unzureichenden Zugang zur Gesundheitsversorgung und ungefähr 50 Prozent Einwohner*innen haben unzulängliche Bildungschancen. Arbeitsplätze, deren Einkommen zum Leben ausreicht, sind in El Alto Mangelware.
Angemessene Entlohnung bei El Ceibo
Nur wenige Meter vom lauten Treiben im Zentrum der Ceja entfernt, an der Autopista hinab zum Regierungssitz La Paz, findet man ein modernes Geschäftsgebäude. An der Fassade des Gebäudes finden sich Referenzen an die Architektur der alten Kulturen des Landes. Der repräsentative Bau ist angeschrägt und erinnert an eine Pyramide aus Tiwanaku, dem alten spirituellen Zentrum der Aymaras. Im Gebäude befindet sich die Zentrale des Schokoladenproduzenten El Ceibo, dem größten Exporteur von biologisch angebauter Kakaomasse Boliviens. El Ceibo ist ein Zusammenschluss von rund 40 Kakao-Kooperativen in Bolivien.
Mit Hilfe des fairen Handels haben die Kooperativen ein Vorzeigeunternehmen geschaffen. Im Gegensatz zu den prekären Arbeitsverhältnissen in der wenige hundert Meter entfernten Ceja, werden die Menschen hier für ihre Arbeit angemessen entlohnt. El Ceibo versteht sich als soziales und ökologisches Unternehmen, wie der Vorstand Francisco Reinaga betont: „Zu unseren Unternehmenszielen gehört es ein führender Produzent von Kakao zu sein, aber auch die Umwelt zu achten, die Artenvielfalt und die Natur, oder soziale Werte, wie die Gleichheit der Geschlechter. Das sind einige unserer Prinzipien, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind.“
Alternative zur Unsicherheit des informellen Sektors
Der faire Handel stellt eine Alternative zum informellen Sektor dar. Insbesondere kleinen Produzent*innen von Kaffee, Kakao oder Quinoa bietet er die Möglichkeit, der Unsicherheit des informellen Sektors zu entkommen. Mit direkten Handelsbeziehungen versuchen Fair Trade-Unternehmen wie die GEPA den Produzent*innen bessere Produktionsbedingungen zu ermöglichen und andere Formen des Handels zu etablieren.
Bietet der faire Handel Bolivien Entwicklungschancen, um mehr Menschen zu einer angemessenen Entlohnung zu verhelfen? Immerhin gibt es neben El Ceibo noch andere Organisationen, die mit Hilfe der Fair Trade-Idee zu Erfolgsmodellen wurden. So gelang es ANAPQUI (Asociacion Nacional de Productores de Quinua), einem Zusammenschluss kleiner Landwirt*innen, das Hochlandgetreide Quinoa bekannt zu machen. Der faire Handel erschloss den Produzent*innen die Märkte in Europa und den USA. Der Export hat sich im vergangenen Jahrzehnt hier nahezu verdreifacht.
Gut entlohnte Arbeit bleibt Ausnahme
Dennoch sieht Julio Prado – Außenhandelsexperte aus La Paz – keine Möglichkeit, dass in Bolivien durch den fairen Handel mehr gut entlohnte Arbeitsplätze entstehen: „Es gibt zwar sehr erfolgreiche Modelle, wie El Ceibo und ANAPQUI. Das Phänomen, dass das Wachstum einiger Kooperativen ermöglicht hat, hat aber zu geschlossenen Kreisläufen geführt, von denen nur einige wenige profitieren. Diejenigen, die sich außerhalb des fairen Handels befinden haben wenig davon.“
Solange sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, bleiben ANAPQUI und El Ceibo eine Ausnahme. Volkswirtschaftlich spielen sie für Bolivien nur eine untergeordnete Rolle. Erst wenn sich die Rahmenbedingungen ändern würden und die bolivianischen Vorzeigebeispiele nicht nur als Produzent*innen operieren, sondern auch zu Händler*innen ihrer Produkte würden, könne sich das ändern. Bisher wird die klassische Arbeitsteilung auch im fairen Handel reproduziert. In Europa und Nordamerika sitzen die Handelsorganisationen und die Firmen, die die Rohstoffe veredeln. In Lateinamerika die Produzent*innen, die Kakaomasse oder ungerösteten Kaffee – den Rohstoff – in den Norden liefern: „Erst wenn sich das ändert“ merkt Julio Prado an „wird sich auch entscheidend was im Verhältnis verändern“.
Vom fairen Handel zur Schokoladenmesse
Bei El Ceibo schickt man sich mittlerweile an, seine eigene Schokolade zu produzieren und auch in Europa zu verkaufen. 2009 war das Unternehmen erstmals mit einem eigenen Stand auf der französischen Schokoladenmesse vertreten. Demnächst will es zudem eine eigene Verkaufsvertretung in Europa eröffnen. Damit würde das Unternehmen sich vom fairen Handel emanzipieren und vielleicht ein Mosaikstein bilden hin zu einer Welt in der das Recht auf gute Arbeit zu angemessener Bezahlung verwirklicht ist.
(Foto: Thomas Guthmann)
Tipp: Den Audiobeitrag von Thomas Guthmann zum Thema anhören. Der Beitrag gehört zu unserer Kampagne „Menschen. Rechte. Stärken!“, und kann unter der URL http://www.npla.de/de/onda/serien/menschenrechte/content/1118 kostenlos angehört oder heruntergeladen werden kann.
Fairer Handel, Kakao und das Menschenrecht auf gute Arbeit von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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